Aufruhr um Bianca
schwarzen Fleck über dem rechten Auge, von
Ingrid allein für das Prachtexemplar einer
französischen Bulldogge gehalten wurde. Bos-
hafte Zungen behaupteten, ein Foxterrier
müsse bei Biancas Erzeugung eine entschei-
dende Rolle gespielt haben, aber niemand
hielt auf die Dauer der glühenden Bered-
samkeit stand, mit der Ingrid Biancas Ras-
senreinheit verteidigte.
Die Abneigung zwischen Emeran und
Bianca war von Anfang an ebenso heftig
wie unverhohlen gewesen. Sie entsprang,
wenigstens was Bianca betraf, den dunklen
Urgründen der Eifersucht. Ein Angriff aus
Emerans neue Flanellhose hatte nichts zur
Besserung der Beziehungen beigetragen.
Trotzdem —
„Ich habe geglaubt, du liebst mich," sagte
Ingrid dunkel.
Emerans Augen kehrten aufgescheucht von
einer aufreizend blonden Dame am Neben-
tisch zurück.
„Ja — und?"
„Es war ein Irrtum," sagte Ingrid.
„Ein Irrtum?"
„Ja. Denn wenn du mich wirklich liebtest,
könntest du nicht verlangen, daß ich mich
von einem Geschöpf trenne, das seit sechs
Jahren mit meinem Leben verwachsen ist,
wie — wie —" Ingrid suchte vergebens nach
einem Vergleich, stark genug, ihre Verbun-
denheit mit Bianca zu beweisen — „Es gibt
nichts Anhänglicheres als Bianca. Mancher
Mann könnte sich ein Beispiel daran neh-
men! Bianca ist —"
„Sie ist eine Ausgeburt der Lölle,"
unterbrach Emeran finster, „wenn du es ganz genau wissen willst."
Die Ausgeburt der Lölle streckte sich gähnend; sie rieb ihren Kopf an
Ingrids Knie, nicht ohne Emeran mit einem tückischen Blick zu bedenken.
„Es ist nur, weil du Lunde überhaupt nicht magst," sagte Ingrid.
Die aufreizend Blonde am Rebentisch erhob sich und ging hinaus,
mit einem kleinen, verwirrenden Lächeln an Emerans Adresse.
Welcher Mann sähe nicht gern sein geschmeicheltes Spiegelbild
im Lächeln einer hübschen Frau? Emeran fühlte sich in seiner Männ-
lichkeit sehr bestärkt.
„Nein, ich mag Lunde überhaupt nicht," sagte er ehern, gewillt,
in Sachen Bianca durchzuhalten, koste es, was es wolle.
„Ein Mensch, der kein Lerz für Lunde hat, hat auch keines für
Kinder," behauptete Ingrid blindlings. Dies war. der Augenblick, in
dem der Streit ins Problematische abglitt und zu einer Frage von
höherer Bedeutung wurde. Emeran war sich dessen durchaus bewußt,
es hätte Ingrids Zusatz: „und ein Mann, der kein Lerz für Kinder
hat —" und der vielsagenden Pause hinterher garnicht bedurft.
„Nun, wenn dies deine Ansicht ist," sagte er verletzt und ver-
stummte restlos und endgültig.
Ingrid nahm Bianca auf den Schoß und liebkoste sie auf eine
heftige und demonstrative Weise. Sie wünschte, sie hätte das mit
den Kindern nicht gesagt, die Situation war so verfahren wie nur
möglich, aber nun gab es kein Zurück mehr.
Emeran rief den Kellner herbei und zahlte; schweigend verließen
sie das Cafe, schweigend gingen sie nebeneinander her, so uneins mit
sich und der Welt, wie es nur Liebende sein können.
An der Straßenecke blieb Ingrid stehen.
„Also — leb wohl," sagte sie, sehr um finstere Endgültigkeit bemüht.
Sie standen inmitten eines Stromes hastender Menschen, Straßen-
bahnen fuhren dröhnend vorbei, Autos hupten —
Emeran empfand dunkel, daß dies nicht der geeignete Ort für
einen Abschied auf ewig sei, außerdem liebte er Ingrid —
„Vielleicht überlegst du dir die Sache
noch einmal," begann er, „es —"
In diesem Augenblick entstand ein uner-
klärlicher Aufruhr, Autobremsen kreischten,
der Verkehr stockte, eine Frau schrie auf
Ingrid sah, wie Emeran sich in den Trubel
stürzte; bevor sie bemerkte, daß Bianca sich
nicht mehr neben ihr befand, kam er zurück,
den Lut schief auf dem Kopf, und trug
Bianca wie ein Paket unter dem Arm. '
„Lier," sagte er vorwurfsvoll, „um ein
Laar wäre sie hin gewesen!" Der Verkehr
kam wieder in Gang, ein Mann, der Zeuge
des Vorfalls gewesen war, sagte freundlich
zu Ingrid, es sei schade um das schöne Lundi
gewesen. Ingrid aber stand, den Lund im
Arm, sie zitterte an allen Gliedern, Tränen
liefen über ihre Wangen —
„Du hast sie gerettet," stammelte sie, „du
hast sie gerettet, obwohl —"
„Komm," sagte Emeran und schob seinen
Arm durch Ingrids Arm.
„Es ist ihr nichts passiert," sagte er und
wollte hinzufügen „leider", aber da sagte
Ingrid: „Ich werde dir das niemals ver-
gessen! Niemals!"
„Ansinn," knurrte Emeran unwirsch. Es
war ihm sehr unbehaglich zumute. Als Mann
von Ehre und Gewissen fühlte er sich ver-
pflichtet, Ingrid zu sagen, daß sie Biancas
Rettung nicht ihm, sondern einem blinden
Zufall zu verdanken habe. Er war lediglich
davongestürzt, um zu sehen, was los war,
irgend jemand hatte ihm Bianca in den Arm
gedrückt, Zufall, nichts als Zufall! Ein be-
dauernswerter Zufall obendrein, wenn man
seine Gefühle für Bianca bedachte! — „Viel-
leicht könnte ich sie bei meiner Mutter lassen," sagte Ingrid neben ihm.
Emeran horchte auf. Ingrid, zu tiefst gerührt von dem, was sie
für Edelmut hielt, wollte Gleiches mit gleichem vergelten! Die Sache
mit Bianca stand im Begriff, sich auf die glücklichste Art zu lösen,
er brauchte nur ja zu sagen, aber so, wie die Dinge lagen, konnte
er es nicht. Es wäre schnöde Ausnutzung eines unrechtmäßigen Vor-
teils gewesen! So sagte er, Ingrid möge den Lund in Gottesnamen
behalten, da ihr Lerz so an ihm hänge.
Ingrid drückte seine Land. „Es ist sehr lieb von dir, aber es
wäre ein zu großes Opfer. Ich kann es nicht annehmen."
„Doch," sagte Emeran und behauptete wider besseres Wissen,
er werde sich schon an das kleine Mistvieh gewöhnen.
Welch schreckliches Lin und Ler, dachte er erbittert, die Rollen
sind auf eine höchst lächerliche Weise vertauscht worden. Aber sie
wäre grenzenlos enttäuscht, wenn sie wüßte, wie die Dinge sich in
Wirklichkeit abgespielt haben. Ich kann es ihr nicht sagen —
Als Bianca sie zwang, an einer Lausecke stehen zu bleiben,
sagte Ingrid und lächelte Emeran mit ihrem reizendsten Lächeln an:
„Einigen wir uns auf halbem Wege! Ich werde Bianca fürs erste
bei meiner Mutter lassen, so lange, bis wir uns ein wenig mit-
einander eingelebt haben. Dann werden wir weiter sehe» —"
Emeran atmete auf. Darüber ließ sich reden.
„Nachdem du bewiesen hast, daß du doch ein Lerz für Lunde
hast," sagte Ingrid lächelnd.
„Sprechen wir nicht mehr darüber," flehte Emeran, „ich bitte dich!"
Aber Ingrid fuhr unbeirrt fort: „And also auch eines für —"
„Kinder," vollendete Emeran und erkundigte sich mißtrauisch, ob
Ingrid wirklich glaube, daß das eine das andere bedinge. Ingrid dachte
nach, mit dem Ergebnis, daß Liebe zu Zugeständnissen verpflichte.
„Nein," sagte sie, „nicht unbedingt. Aber-"
„Kein Aber," sagte Emeran und widerstand heroisch der Ver-
suchung, Ingrid auf offener Straße einen Kuß zu geben.
„Ich hatte mir geschworen, Paul, nur mein
Ideal zu heiraten."
„And weshalb bin ich dein Ideal?"
„Weil du um meine Land angehalten hast."
311
schwarzen Fleck über dem rechten Auge, von
Ingrid allein für das Prachtexemplar einer
französischen Bulldogge gehalten wurde. Bos-
hafte Zungen behaupteten, ein Foxterrier
müsse bei Biancas Erzeugung eine entschei-
dende Rolle gespielt haben, aber niemand
hielt auf die Dauer der glühenden Bered-
samkeit stand, mit der Ingrid Biancas Ras-
senreinheit verteidigte.
Die Abneigung zwischen Emeran und
Bianca war von Anfang an ebenso heftig
wie unverhohlen gewesen. Sie entsprang,
wenigstens was Bianca betraf, den dunklen
Urgründen der Eifersucht. Ein Angriff aus
Emerans neue Flanellhose hatte nichts zur
Besserung der Beziehungen beigetragen.
Trotzdem —
„Ich habe geglaubt, du liebst mich," sagte
Ingrid dunkel.
Emerans Augen kehrten aufgescheucht von
einer aufreizend blonden Dame am Neben-
tisch zurück.
„Ja — und?"
„Es war ein Irrtum," sagte Ingrid.
„Ein Irrtum?"
„Ja. Denn wenn du mich wirklich liebtest,
könntest du nicht verlangen, daß ich mich
von einem Geschöpf trenne, das seit sechs
Jahren mit meinem Leben verwachsen ist,
wie — wie —" Ingrid suchte vergebens nach
einem Vergleich, stark genug, ihre Verbun-
denheit mit Bianca zu beweisen — „Es gibt
nichts Anhänglicheres als Bianca. Mancher
Mann könnte sich ein Beispiel daran neh-
men! Bianca ist —"
„Sie ist eine Ausgeburt der Lölle,"
unterbrach Emeran finster, „wenn du es ganz genau wissen willst."
Die Ausgeburt der Lölle streckte sich gähnend; sie rieb ihren Kopf an
Ingrids Knie, nicht ohne Emeran mit einem tückischen Blick zu bedenken.
„Es ist nur, weil du Lunde überhaupt nicht magst," sagte Ingrid.
Die aufreizend Blonde am Rebentisch erhob sich und ging hinaus,
mit einem kleinen, verwirrenden Lächeln an Emerans Adresse.
Welcher Mann sähe nicht gern sein geschmeicheltes Spiegelbild
im Lächeln einer hübschen Frau? Emeran fühlte sich in seiner Männ-
lichkeit sehr bestärkt.
„Nein, ich mag Lunde überhaupt nicht," sagte er ehern, gewillt,
in Sachen Bianca durchzuhalten, koste es, was es wolle.
„Ein Mensch, der kein Lerz für Lunde hat, hat auch keines für
Kinder," behauptete Ingrid blindlings. Dies war. der Augenblick, in
dem der Streit ins Problematische abglitt und zu einer Frage von
höherer Bedeutung wurde. Emeran war sich dessen durchaus bewußt,
es hätte Ingrids Zusatz: „und ein Mann, der kein Lerz für Kinder
hat —" und der vielsagenden Pause hinterher garnicht bedurft.
„Nun, wenn dies deine Ansicht ist," sagte er verletzt und ver-
stummte restlos und endgültig.
Ingrid nahm Bianca auf den Schoß und liebkoste sie auf eine
heftige und demonstrative Weise. Sie wünschte, sie hätte das mit
den Kindern nicht gesagt, die Situation war so verfahren wie nur
möglich, aber nun gab es kein Zurück mehr.
Emeran rief den Kellner herbei und zahlte; schweigend verließen
sie das Cafe, schweigend gingen sie nebeneinander her, so uneins mit
sich und der Welt, wie es nur Liebende sein können.
An der Straßenecke blieb Ingrid stehen.
„Also — leb wohl," sagte sie, sehr um finstere Endgültigkeit bemüht.
Sie standen inmitten eines Stromes hastender Menschen, Straßen-
bahnen fuhren dröhnend vorbei, Autos hupten —
Emeran empfand dunkel, daß dies nicht der geeignete Ort für
einen Abschied auf ewig sei, außerdem liebte er Ingrid —
„Vielleicht überlegst du dir die Sache
noch einmal," begann er, „es —"
In diesem Augenblick entstand ein uner-
klärlicher Aufruhr, Autobremsen kreischten,
der Verkehr stockte, eine Frau schrie auf
Ingrid sah, wie Emeran sich in den Trubel
stürzte; bevor sie bemerkte, daß Bianca sich
nicht mehr neben ihr befand, kam er zurück,
den Lut schief auf dem Kopf, und trug
Bianca wie ein Paket unter dem Arm. '
„Lier," sagte er vorwurfsvoll, „um ein
Laar wäre sie hin gewesen!" Der Verkehr
kam wieder in Gang, ein Mann, der Zeuge
des Vorfalls gewesen war, sagte freundlich
zu Ingrid, es sei schade um das schöne Lundi
gewesen. Ingrid aber stand, den Lund im
Arm, sie zitterte an allen Gliedern, Tränen
liefen über ihre Wangen —
„Du hast sie gerettet," stammelte sie, „du
hast sie gerettet, obwohl —"
„Komm," sagte Emeran und schob seinen
Arm durch Ingrids Arm.
„Es ist ihr nichts passiert," sagte er und
wollte hinzufügen „leider", aber da sagte
Ingrid: „Ich werde dir das niemals ver-
gessen! Niemals!"
„Ansinn," knurrte Emeran unwirsch. Es
war ihm sehr unbehaglich zumute. Als Mann
von Ehre und Gewissen fühlte er sich ver-
pflichtet, Ingrid zu sagen, daß sie Biancas
Rettung nicht ihm, sondern einem blinden
Zufall zu verdanken habe. Er war lediglich
davongestürzt, um zu sehen, was los war,
irgend jemand hatte ihm Bianca in den Arm
gedrückt, Zufall, nichts als Zufall! Ein be-
dauernswerter Zufall obendrein, wenn man
seine Gefühle für Bianca bedachte! — „Viel-
leicht könnte ich sie bei meiner Mutter lassen," sagte Ingrid neben ihm.
Emeran horchte auf. Ingrid, zu tiefst gerührt von dem, was sie
für Edelmut hielt, wollte Gleiches mit gleichem vergelten! Die Sache
mit Bianca stand im Begriff, sich auf die glücklichste Art zu lösen,
er brauchte nur ja zu sagen, aber so, wie die Dinge lagen, konnte
er es nicht. Es wäre schnöde Ausnutzung eines unrechtmäßigen Vor-
teils gewesen! So sagte er, Ingrid möge den Lund in Gottesnamen
behalten, da ihr Lerz so an ihm hänge.
Ingrid drückte seine Land. „Es ist sehr lieb von dir, aber es
wäre ein zu großes Opfer. Ich kann es nicht annehmen."
„Doch," sagte Emeran und behauptete wider besseres Wissen,
er werde sich schon an das kleine Mistvieh gewöhnen.
Welch schreckliches Lin und Ler, dachte er erbittert, die Rollen
sind auf eine höchst lächerliche Weise vertauscht worden. Aber sie
wäre grenzenlos enttäuscht, wenn sie wüßte, wie die Dinge sich in
Wirklichkeit abgespielt haben. Ich kann es ihr nicht sagen —
Als Bianca sie zwang, an einer Lausecke stehen zu bleiben,
sagte Ingrid und lächelte Emeran mit ihrem reizendsten Lächeln an:
„Einigen wir uns auf halbem Wege! Ich werde Bianca fürs erste
bei meiner Mutter lassen, so lange, bis wir uns ein wenig mit-
einander eingelebt haben. Dann werden wir weiter sehe» —"
Emeran atmete auf. Darüber ließ sich reden.
„Nachdem du bewiesen hast, daß du doch ein Lerz für Lunde
hast," sagte Ingrid lächelnd.
„Sprechen wir nicht mehr darüber," flehte Emeran, „ich bitte dich!"
Aber Ingrid fuhr unbeirrt fort: „And also auch eines für —"
„Kinder," vollendete Emeran und erkundigte sich mißtrauisch, ob
Ingrid wirklich glaube, daß das eine das andere bedinge. Ingrid dachte
nach, mit dem Ergebnis, daß Liebe zu Zugeständnissen verpflichte.
„Nein," sagte sie, „nicht unbedingt. Aber-"
„Kein Aber," sagte Emeran und widerstand heroisch der Ver-
suchung, Ingrid auf offener Straße einen Kuß zu geben.
„Ich hatte mir geschworen, Paul, nur mein
Ideal zu heiraten."
„And weshalb bin ich dein Ideal?"
„Weil du um meine Land angehalten hast."
311
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Ich hatte mir geschworen, Paul, nur mein Ideal zu heiraten"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1939
Entstehungsdatum (normiert)
1934 - 1944
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 190.1939, Nr. 4894, S. 311
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg