Zeichnung von M. Claus
„Tut mir leid, meine Lerrschaften, aber vorläufig kommen wir nicht weiter."
„Wollen Sie mir das schriftlich geben, Lerr Schaffner! Ich Hab' 'nen weiten Weg zu Fuß, aber
meine Frau hat heute Geburtstag und erwartet, daß ich so schnell wie möglich nach Lause komme."
Der Wohltäter
Jedenfalls aber stürzte ich mich nun, angespornt durch dieses
leuchtende Beispiel, Abend für Abend wie wütend auf die Arbeit
und schrieb ein Buch nach dem andern. Ich vergaß das Kaffeehaus
und Tanzabende und heitere kleine Effen in hübschen Lokalen und
wurde wie eine Arbeitsbiene. Der Erfolg blieb auch nicht aus, ich
kann nicht klagen, ich konnte jetzt immer meine Rechnungen bezahlen
und hatte sogar stets einen kleineren Vorrat von Geld im Laus; ein-
mal setzte ich mich sogar versuchsweise am Abend hin und fing zu zählen
an. Aber es war natürlich kein Vergleich mit meinem Gegenüber,
ich merkte es daran, daß ich nach einer Minute fertig war.
And dann, ja — dann — lernte ich den märchenhaften Mann
eines Tages kennen. Es war bei einem Nachmittagstee, den eine schön-
geistige Dame veranstaltete, es waren noch einige Künstler da, und ich
erkannte ihn übrigens sofort. Es fiel mir auf, daß er äußerst bescheiden
angezogen war, ich fand sogar, sein Lemd hätte weißer sein dürfen. —
Millionärslaunen, dachte ich und war sehr gespannt, mit ihm ins
Gespräch zu kommen. Aber es gelang nicht, er saß zu weit weg von
mir, und dann wurde er von der schöngeistigen Dame gebeten, etwas
vorzulesen. — Immerhin, dachte ich, doch er schlug es rundheraus ab.
Er lachte und sagte, er könne nichts vorlesen, er habe seit zehn
Jahren keine Feder in der Land gehabt.
Mein Erstaunen und — wie soll ich sagen — meine neidische Be-
wunderung stiegen ins Grenzenlose, denn ich vermutete, ei» Iugend-
werk von ihm sei die Ursache seines unerhörten und offenbar gleich-
bleibenden Einkommens. Doch es kam anders, kurz und gut, er fing
dann mit einem andern Lerrn ein Gespräch an, und ich erfuhr, daß
er eigentlich überhaupt nie etwas geschrieben habe, sondern ganz be-
scheiden von einer kleinen Rente lebe, und daß sein Lauptinteresse,
sein einziges Interesse sozusagen dem Patiencespiel gelte, das er all-
abendlich mit größtem Vergnügen spiele. Er habe da selbst eine neue
Patience entdeckt, erzählte er, eine Zählpatience, und er holte be-
reitwillig ein Päckchen ziemlich abgegriffener und etwas großer
Karten hervor und begann zu hantieren. — Ich schloß eine Sekunde
lang die Augen. — Aber eigentlich ist er mein Wohltäter.
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„Tut mir leid, meine Lerrschaften, aber vorläufig kommen wir nicht weiter."
„Wollen Sie mir das schriftlich geben, Lerr Schaffner! Ich Hab' 'nen weiten Weg zu Fuß, aber
meine Frau hat heute Geburtstag und erwartet, daß ich so schnell wie möglich nach Lause komme."
Der Wohltäter
Jedenfalls aber stürzte ich mich nun, angespornt durch dieses
leuchtende Beispiel, Abend für Abend wie wütend auf die Arbeit
und schrieb ein Buch nach dem andern. Ich vergaß das Kaffeehaus
und Tanzabende und heitere kleine Effen in hübschen Lokalen und
wurde wie eine Arbeitsbiene. Der Erfolg blieb auch nicht aus, ich
kann nicht klagen, ich konnte jetzt immer meine Rechnungen bezahlen
und hatte sogar stets einen kleineren Vorrat von Geld im Laus; ein-
mal setzte ich mich sogar versuchsweise am Abend hin und fing zu zählen
an. Aber es war natürlich kein Vergleich mit meinem Gegenüber,
ich merkte es daran, daß ich nach einer Minute fertig war.
And dann, ja — dann — lernte ich den märchenhaften Mann
eines Tages kennen. Es war bei einem Nachmittagstee, den eine schön-
geistige Dame veranstaltete, es waren noch einige Künstler da, und ich
erkannte ihn übrigens sofort. Es fiel mir auf, daß er äußerst bescheiden
angezogen war, ich fand sogar, sein Lemd hätte weißer sein dürfen. —
Millionärslaunen, dachte ich und war sehr gespannt, mit ihm ins
Gespräch zu kommen. Aber es gelang nicht, er saß zu weit weg von
mir, und dann wurde er von der schöngeistigen Dame gebeten, etwas
vorzulesen. — Immerhin, dachte ich, doch er schlug es rundheraus ab.
Er lachte und sagte, er könne nichts vorlesen, er habe seit zehn
Jahren keine Feder in der Land gehabt.
Mein Erstaunen und — wie soll ich sagen — meine neidische Be-
wunderung stiegen ins Grenzenlose, denn ich vermutete, ei» Iugend-
werk von ihm sei die Ursache seines unerhörten und offenbar gleich-
bleibenden Einkommens. Doch es kam anders, kurz und gut, er fing
dann mit einem andern Lerrn ein Gespräch an, und ich erfuhr, daß
er eigentlich überhaupt nie etwas geschrieben habe, sondern ganz be-
scheiden von einer kleinen Rente lebe, und daß sein Lauptinteresse,
sein einziges Interesse sozusagen dem Patiencespiel gelte, das er all-
abendlich mit größtem Vergnügen spiele. Er habe da selbst eine neue
Patience entdeckt, erzählte er, eine Zählpatience, und er holte be-
reitwillig ein Päckchen ziemlich abgegriffener und etwas großer
Karten hervor und begann zu hantieren. — Ich schloß eine Sekunde
lang die Augen. — Aber eigentlich ist er mein Wohltäter.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Tut mir leid, meine Herrschaften, aber vorläufig kommen wir nicht weiter"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1939
Entstehungsdatum (normiert)
1934 - 1944
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 190.1939, Nr. 4897, S. 359
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg