Das fleißige Lieschen
Von I. S. Röster
Dreimal schon hatten sie sich ge-
sehen. Einmal in einem Gartenkon-
zert, wo Elisabeth in der ersten
Tischreihe saß und stickte. Das zweite
Mal sah er sie in einem kleinen
Kaffeehaus. Lier strickte Elisabeth
an einem gelben Etwas. And als er
sie zum dritten Male unter fröhliche»
Menschen sitzen sah, saß sie wieder mit
ernster Miene und umhäkelte weiße
Taschentücher mit einem blauen
Faden.
And so fiel sie ihm auf.
Sie war nicht mehr jung, sie war
wohl auch nie wirklich hübsch ge-
wesen. And als er sie eines Tages
ansprach und fragte, ob an ihrem
Tisch noch ein Platz frei sei, rückte
sie wie selbstverständlich zur Seite
und sagte:
„Gern, Lerr Rechtsanwalt."
„Sie kennen mich?"
„Die Stadt ist nicht groß."
„Ich habe Sie früher nie gesehen,
mein liebes Fräulein."
„Wir sind erst seit einem Jahr
hier," sagte sie, „ich heiße Elisabeth
und wohne in der Weststraße."
Dabei ruhten ihre Finger nicht
eine Minute, und die spitze Nadel
zog den Faden unentwegt weiter.
Er sah ihr zufrieden zu.
„Wie geschickt Sie das machen,"
sagte er.
„Es macht mir Vergnügen. Ich
verstehe die anderen Frauen nicht,
die untätig Herumsitzen und ihre Zeit
vergeuden. Ich habe schon siebenund-
zwanzig Deckchen daheim, achtzehn
Kiffen, elf Pullover und meine ganze
Wäsche im Schrank habe ich mir
selbst genäht."
War es Spott, als er fragte:
„Die Aussteuer ist also fertig?"
Sie nahm es ernst und sagte:
„Ja. Sie ist fertig." — „Fehlt
nur noch der Mann zum Glück?"
Elisabeth hob ihre Augen aus:
Rechtsanwalt — bestimmt, — er wird noch kommen."
Von da an sahen sie sich oft. Sie machten kleine Ausflüge zu-
sammen, sie besuchten Konzerte, trafen sich auch wohl hier und dort,
ohne gerade verabredet zu sein. Der junge Rechtsanwalt, der keine
Familie hatte und allein in zwei möblierten Zimmern lebte, schien
sich in ihrer Gesellschaft wohlzufühlen. Aber er sprach kein Wort,
das sie einander näher gebracht hätte. And Elisabeth wartete darauf.
Oft machten ihre fleißigen Lände eine kleine Pause, und sie ließ die
Stickerei sinken, wenn er von seinem einsamen Leben sprach.
„And, Lerr Rechtsanwalt?" fragte sie dann.
Aber er verstand sie nicht.
Da nahm sie ihre Arbeit wieder auf, und das Lerz klopfte so
laut, daß sie Angst hatte, er könnte es hören. Er hörte es nicht und
sah nur auf ihre Lände. — „Der Mann, der Sie einmal bekommt,
Fräulein Elisabeth, ist zu beneiden!"
„Glauben Sie?" — „Eine fleißige Frau hält Laus und Gut
zusammen." — „Das schätzen die wenigsten Männer."
372
„Ich weiß es zu schätzen, Elisabeth.
And eines Tages — heute ist wohl
noch nicht die Zeit dazu, wir kennen
uns noch zu wenig — werde ich mit
einer Bitte vor Sie hintreten —"
„Aber Lerr Rechtsanwalt!"
Sie war rot geworden, bis über
beide Ohren.
And dann schien der Tag gekom-
men. Er war ein wenig aufgeregt,
als er sie begrüßte. Anter dem Arm
trug er eine in weißes Seidenpapier
gehüllte Schachtel und legte sie vor
Elisabeth hi».
„Das habe ich Ihnen mitgebracht,
Elisabeth," sagte er und setzte sich
ein wenig unbeholfen.
„Darf ich es auspacken?"
„Rein. Nicht hier. Bitte nein!"
Erschrocken legte er seine Land
wie schützend um das kleine Paket.
„Nehmen Sie es mit nach Lause,"
bat er, „ich weiß nicht, ob es Ihnen
Freude machen wird — ich kann
auch mit Ihnen jetzt nicht darüber
sprechen, aber es liegt ein Brief in
dem Paket, und morgen früh werde
ich Sie anrufen und Sie fragen,
ob Sie einverstanden sind."
Sie sah fast schön aus, als sie
jetzt antwortete:
„Ich werde Ihnen bestimmt Ja
sagen, Lerr Rechtsanwalt."
Da drückte er ihre kleine, etwas
harte Land und sagte: „Ich wäre
sehr glücklich darüber, Elisabeth."
An diesem Abend trennten sie
sich bald. Wie einen kostbaren Schatz
trug sie die kleine Schachtel in ihre
Wohnung. Kaum fanden
ihre Finger die Geduld,
den Faden zu lösen. Dann
aber sielen plötzlich Tränen
aus ihren Augen, und sie
weinte und weinte. Trotz-
dem griffsie nach dem Brief,
der obenauf lag.
„Liebes Fräulein Elisa-
beth," las sie, „ich weiß,
es ist eine große Bitte,
die ich an Sie richte. Ich habe lange gebraucht, mich dazu zu
entschließen. Aber jetzt kennen wir uns schon ein Jahr, wir sind gute
Freunde geworden, sodaß ich hoffen kann. Sie werden Ja sagen.
Schon als ich Sie das erste Mal sah und ihre fleißigen und geschickten
Lände bewundern konnte, wußte ich, daß Sie die Frau sind, die ich
schon lange suche. Sie glauben nicht, wieviel Aerger wir armen Jung-
gesellen mit unserer Wäsche haben! Warum soll ich Sie dann als
gute Freundin nicht bitten, sich meiner Wäsche ein wenig anzunehmen?
Ich lege Ihnen diesmal einige Lemden bei, die etwas zerrissen sind,
und bitte Sie — nicht umsonst, ich bin gern bereit, dafür zu zahlen,
was Sie verlangen — diese auszubessern. And ich wäre sehr glücklich
darüber, wenn Sie morgen früh antworten werden, daß Sie diese
kleine Arbeit übernehmen."
Diese Geschichte ist noch nicht zu Ende. Vielleicht ist sie der Anfang
eines Romans. Vielleicht war der Mann nur ein wenig ungeschickt
und ließ sich Zeit zu den Worten, auf die sie wartete. Denn Männer,
wenn sie jung sind, lassen sich schrecklich viel Zeit und glauben, das
Leben währet ewig.
„Na, Lore, wie vielen von den jungen Lerren wirst du heute
den Verstand rauben?"
„Laß doch den Ansinn, Onkel! And überhaupt: wenig Be-
sitzende beraubt man nicht."
Er wird noch kommen, Lerr
Von I. S. Röster
Dreimal schon hatten sie sich ge-
sehen. Einmal in einem Gartenkon-
zert, wo Elisabeth in der ersten
Tischreihe saß und stickte. Das zweite
Mal sah er sie in einem kleinen
Kaffeehaus. Lier strickte Elisabeth
an einem gelben Etwas. And als er
sie zum dritten Male unter fröhliche»
Menschen sitzen sah, saß sie wieder mit
ernster Miene und umhäkelte weiße
Taschentücher mit einem blauen
Faden.
And so fiel sie ihm auf.
Sie war nicht mehr jung, sie war
wohl auch nie wirklich hübsch ge-
wesen. And als er sie eines Tages
ansprach und fragte, ob an ihrem
Tisch noch ein Platz frei sei, rückte
sie wie selbstverständlich zur Seite
und sagte:
„Gern, Lerr Rechtsanwalt."
„Sie kennen mich?"
„Die Stadt ist nicht groß."
„Ich habe Sie früher nie gesehen,
mein liebes Fräulein."
„Wir sind erst seit einem Jahr
hier," sagte sie, „ich heiße Elisabeth
und wohne in der Weststraße."
Dabei ruhten ihre Finger nicht
eine Minute, und die spitze Nadel
zog den Faden unentwegt weiter.
Er sah ihr zufrieden zu.
„Wie geschickt Sie das machen,"
sagte er.
„Es macht mir Vergnügen. Ich
verstehe die anderen Frauen nicht,
die untätig Herumsitzen und ihre Zeit
vergeuden. Ich habe schon siebenund-
zwanzig Deckchen daheim, achtzehn
Kiffen, elf Pullover und meine ganze
Wäsche im Schrank habe ich mir
selbst genäht."
War es Spott, als er fragte:
„Die Aussteuer ist also fertig?"
Sie nahm es ernst und sagte:
„Ja. Sie ist fertig." — „Fehlt
nur noch der Mann zum Glück?"
Elisabeth hob ihre Augen aus:
Rechtsanwalt — bestimmt, — er wird noch kommen."
Von da an sahen sie sich oft. Sie machten kleine Ausflüge zu-
sammen, sie besuchten Konzerte, trafen sich auch wohl hier und dort,
ohne gerade verabredet zu sein. Der junge Rechtsanwalt, der keine
Familie hatte und allein in zwei möblierten Zimmern lebte, schien
sich in ihrer Gesellschaft wohlzufühlen. Aber er sprach kein Wort,
das sie einander näher gebracht hätte. And Elisabeth wartete darauf.
Oft machten ihre fleißigen Lände eine kleine Pause, und sie ließ die
Stickerei sinken, wenn er von seinem einsamen Leben sprach.
„And, Lerr Rechtsanwalt?" fragte sie dann.
Aber er verstand sie nicht.
Da nahm sie ihre Arbeit wieder auf, und das Lerz klopfte so
laut, daß sie Angst hatte, er könnte es hören. Er hörte es nicht und
sah nur auf ihre Lände. — „Der Mann, der Sie einmal bekommt,
Fräulein Elisabeth, ist zu beneiden!"
„Glauben Sie?" — „Eine fleißige Frau hält Laus und Gut
zusammen." — „Das schätzen die wenigsten Männer."
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„Ich weiß es zu schätzen, Elisabeth.
And eines Tages — heute ist wohl
noch nicht die Zeit dazu, wir kennen
uns noch zu wenig — werde ich mit
einer Bitte vor Sie hintreten —"
„Aber Lerr Rechtsanwalt!"
Sie war rot geworden, bis über
beide Ohren.
And dann schien der Tag gekom-
men. Er war ein wenig aufgeregt,
als er sie begrüßte. Anter dem Arm
trug er eine in weißes Seidenpapier
gehüllte Schachtel und legte sie vor
Elisabeth hi».
„Das habe ich Ihnen mitgebracht,
Elisabeth," sagte er und setzte sich
ein wenig unbeholfen.
„Darf ich es auspacken?"
„Rein. Nicht hier. Bitte nein!"
Erschrocken legte er seine Land
wie schützend um das kleine Paket.
„Nehmen Sie es mit nach Lause,"
bat er, „ich weiß nicht, ob es Ihnen
Freude machen wird — ich kann
auch mit Ihnen jetzt nicht darüber
sprechen, aber es liegt ein Brief in
dem Paket, und morgen früh werde
ich Sie anrufen und Sie fragen,
ob Sie einverstanden sind."
Sie sah fast schön aus, als sie
jetzt antwortete:
„Ich werde Ihnen bestimmt Ja
sagen, Lerr Rechtsanwalt."
Da drückte er ihre kleine, etwas
harte Land und sagte: „Ich wäre
sehr glücklich darüber, Elisabeth."
An diesem Abend trennten sie
sich bald. Wie einen kostbaren Schatz
trug sie die kleine Schachtel in ihre
Wohnung. Kaum fanden
ihre Finger die Geduld,
den Faden zu lösen. Dann
aber sielen plötzlich Tränen
aus ihren Augen, und sie
weinte und weinte. Trotz-
dem griffsie nach dem Brief,
der obenauf lag.
„Liebes Fräulein Elisa-
beth," las sie, „ich weiß,
es ist eine große Bitte,
die ich an Sie richte. Ich habe lange gebraucht, mich dazu zu
entschließen. Aber jetzt kennen wir uns schon ein Jahr, wir sind gute
Freunde geworden, sodaß ich hoffen kann. Sie werden Ja sagen.
Schon als ich Sie das erste Mal sah und ihre fleißigen und geschickten
Lände bewundern konnte, wußte ich, daß Sie die Frau sind, die ich
schon lange suche. Sie glauben nicht, wieviel Aerger wir armen Jung-
gesellen mit unserer Wäsche haben! Warum soll ich Sie dann als
gute Freundin nicht bitten, sich meiner Wäsche ein wenig anzunehmen?
Ich lege Ihnen diesmal einige Lemden bei, die etwas zerrissen sind,
und bitte Sie — nicht umsonst, ich bin gern bereit, dafür zu zahlen,
was Sie verlangen — diese auszubessern. And ich wäre sehr glücklich
darüber, wenn Sie morgen früh antworten werden, daß Sie diese
kleine Arbeit übernehmen."
Diese Geschichte ist noch nicht zu Ende. Vielleicht ist sie der Anfang
eines Romans. Vielleicht war der Mann nur ein wenig ungeschickt
und ließ sich Zeit zu den Worten, auf die sie wartete. Denn Männer,
wenn sie jung sind, lassen sich schrecklich viel Zeit und glauben, das
Leben währet ewig.
„Na, Lore, wie vielen von den jungen Lerren wirst du heute
den Verstand rauben?"
„Laß doch den Ansinn, Onkel! And überhaupt: wenig Be-
sitzende beraubt man nicht."
Er wird noch kommen, Lerr
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Na, Lore, wie vielen von den Jungen Herrn wirst du heute den Verstand rauben?"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1939
Entstehungsdatum (normiert)
1934 - 1944
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 190.1939, Nr. 4898, S. 372
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg