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Herr Hill gab es aus
Von Ralph Urban
Der Kaufmann Lill war in der Stadt gewesen und hatte von
der Bank Geld abgeholt; einen ganz schönen Betrag, mit dem er
morgen dem Baumeister die Rechnung für die Vergrößerung des
Magazins bezahlen wollte.
Der letzte Zug der Kleinbahn keuchte durch die stürmische Nacht
In dem Wagen, in dem der Kaufmann saß, befand sich nur noch
ein Fahrgast, der nicht aus der Gegend war, wie Lerr Lill feststellte.
Der Mann gefiel ihm überhaupt nicht, denn er hatte ein wüstes
Gesicht und einen stechenden Blick. Was suchte der unangenehme
Fremde am späten Abend in dem Zug, den um diese Zeit stets nur
Einheimische zu benutzen pflegten?
Die Bremsen kreischten, der Kaufmann stand auf und ging zur
Tür. Der andere stand ebenfalls auf und machte sich zum Aussteigen
fertig. Lerr Lill griff unwillkürlich nach der dicken Brieftasche und
trat dann auf die Plattform, um sich gleich
einen guten Vorsprung zu sichern, denn er
legte keinen Wert darauf, auf dem weiten
Weg vom Bahnhof nach seiner Orkschaft
diese verdächtige Gestalt in seiner Nähe zu
haben. Aber vielleicht ging der Mann ins
Nachbardorf, auf dem Gut dort beschäftigte
man in letzter Zeit fremde Leute.
Der Zug hielt noch nicht ganz, da sprang
Lerr Lill auch schon ab und eilte zum Aus-
gang der kleinen Station. Dem Türsteher
dort drückte er seine Fahrkarte in die Land,
erwiderte seinen Gruß und trat dann in
die Regennachk hinaus. Er schlug den Kragen
seines Mantels hoch und eilte in scharfer
Gangart die endlose Allee entlang, die zu
seinem Leim führte. Nach einer Weile glättete
sich seine unbewußte Beunruhigung, und er
verlangsamte seinen Schritt. Plötzlich aber
rann es ihm eiskalt über den Rücken, denn
hinter sich vernahm er etwas Schauerliches:
schleichenden Lauf! Jawohl, da wollte ihn
jemand einholen, jemand, der trotz der Eile
vorsichtig auf den Zehenspitzen lief. ,Gehen
wir, SMH!' sagte sich der Kaufmann und
nahm seine Beine unter die Arme. Er
rannte, was er konnte, daß nur so der Sand
umherspritzte. Leider waren aber nicht nur
seine Beine kurz, sondern auch sein Atem.
Dann konnte er nicht mehr und mußte keuchend
wieder in Schritt fallen. Dabei horchte er
nach rückwärts. Oweh, oweh — da war er
schon, keine fünfzig Meter hinter ihm —
86
jetzt ist es aus, Lill, jetzt geht es nicht nur ums Geld, es geht wohl
auch um dein armes Leben. Was wird deine Witwe dazu sagen, Lill —
Durch diese seine traurigen Gedanken zuckte ein Loffnungsblitz.
Und schon setzte der Kaufmann den Einfall, den ihm die Todesangst
eingab, in die Tat um. Mit einem Satz war er hinter dem mächtigen
Stamm eines Baumes am Straßenrand verschwunden. Dort machte
er sich dünn, ganz dünn, und preßte die Lände vor den Mund, da-
mit man sein Keuchen nicht hörte. Auf leisen Sohlen lief der Feind
heran — vielleicht hat er es nicht gemerkt und rennt vorbei —
Doch achl Die Schritte bremsten scharf ab, eine Weile herrschte
Stille, dann näherten sie sich dem Baum, langsam, ganz langsam
und vorsichtig.
Lerr Lill gab es auf. „Es hat keinen Zweck," sagte er mit ge-
brochener Stimme und trat hervor, „machen Sie keine Dummheiten,
Mann. Ich habe Familie zu Lause. Wir
wollen uns in Güte einigen. Lier haben
Sie meine Geldbörse, es sind mehr als
zwanzig Mark drinnen —"
„Lahahaha —* lachte der Mann schrill
und höhnisch und blickte ihn mit seinen
stechenden Augen durchdringend an.
„Bitte!" flehte Lerr Lill. „Lier, nehmen
Sie auch meineAhr —"
„Lahahaha —" gellte es durch die Nacht.
„And hier meine Ringel" rief der Kauf-
mann mit weinerlichem Tonfall.
„Lahahaha —"
„Ich habe sonst wirklich nichts mehr!"
schrie Lerr Lill und dachte verzweifelt an
seine fette Brieftasche.
„Lahahaha —" lachte der Peiniger,
„jetzt ist es aber genug mit dem Blödsinn.
Ich bin nämlich der neue Schulinspektor
und soll im Ort im Gasthof zur ,Rose^
übernachten, damit ich morgen früh gleich
zur Stelle bin. And als ich den Beamten
am Bahnhof danach fragte, sagte er mir,
ich möge mich nur immer hinter Ihnen
halten. Sie wohnten gleich gegenüber der
,Rose'."
Die Miete
Möbius hat ein möbliertes Zimmer.
Das Zimmer ist wunderbar.
„Verlangt deine Wirtin viel Miete dafür?"
„Viel nicht. Aber oft."
„Für mich verliere ich gar keine Zeit, ich
kann mich ganz meiner Kundschaft widmen!"
Herr Hill gab es aus
Von Ralph Urban
Der Kaufmann Lill war in der Stadt gewesen und hatte von
der Bank Geld abgeholt; einen ganz schönen Betrag, mit dem er
morgen dem Baumeister die Rechnung für die Vergrößerung des
Magazins bezahlen wollte.
Der letzte Zug der Kleinbahn keuchte durch die stürmische Nacht
In dem Wagen, in dem der Kaufmann saß, befand sich nur noch
ein Fahrgast, der nicht aus der Gegend war, wie Lerr Lill feststellte.
Der Mann gefiel ihm überhaupt nicht, denn er hatte ein wüstes
Gesicht und einen stechenden Blick. Was suchte der unangenehme
Fremde am späten Abend in dem Zug, den um diese Zeit stets nur
Einheimische zu benutzen pflegten?
Die Bremsen kreischten, der Kaufmann stand auf und ging zur
Tür. Der andere stand ebenfalls auf und machte sich zum Aussteigen
fertig. Lerr Lill griff unwillkürlich nach der dicken Brieftasche und
trat dann auf die Plattform, um sich gleich
einen guten Vorsprung zu sichern, denn er
legte keinen Wert darauf, auf dem weiten
Weg vom Bahnhof nach seiner Orkschaft
diese verdächtige Gestalt in seiner Nähe zu
haben. Aber vielleicht ging der Mann ins
Nachbardorf, auf dem Gut dort beschäftigte
man in letzter Zeit fremde Leute.
Der Zug hielt noch nicht ganz, da sprang
Lerr Lill auch schon ab und eilte zum Aus-
gang der kleinen Station. Dem Türsteher
dort drückte er seine Fahrkarte in die Land,
erwiderte seinen Gruß und trat dann in
die Regennachk hinaus. Er schlug den Kragen
seines Mantels hoch und eilte in scharfer
Gangart die endlose Allee entlang, die zu
seinem Leim führte. Nach einer Weile glättete
sich seine unbewußte Beunruhigung, und er
verlangsamte seinen Schritt. Plötzlich aber
rann es ihm eiskalt über den Rücken, denn
hinter sich vernahm er etwas Schauerliches:
schleichenden Lauf! Jawohl, da wollte ihn
jemand einholen, jemand, der trotz der Eile
vorsichtig auf den Zehenspitzen lief. ,Gehen
wir, SMH!' sagte sich der Kaufmann und
nahm seine Beine unter die Arme. Er
rannte, was er konnte, daß nur so der Sand
umherspritzte. Leider waren aber nicht nur
seine Beine kurz, sondern auch sein Atem.
Dann konnte er nicht mehr und mußte keuchend
wieder in Schritt fallen. Dabei horchte er
nach rückwärts. Oweh, oweh — da war er
schon, keine fünfzig Meter hinter ihm —
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jetzt ist es aus, Lill, jetzt geht es nicht nur ums Geld, es geht wohl
auch um dein armes Leben. Was wird deine Witwe dazu sagen, Lill —
Durch diese seine traurigen Gedanken zuckte ein Loffnungsblitz.
Und schon setzte der Kaufmann den Einfall, den ihm die Todesangst
eingab, in die Tat um. Mit einem Satz war er hinter dem mächtigen
Stamm eines Baumes am Straßenrand verschwunden. Dort machte
er sich dünn, ganz dünn, und preßte die Lände vor den Mund, da-
mit man sein Keuchen nicht hörte. Auf leisen Sohlen lief der Feind
heran — vielleicht hat er es nicht gemerkt und rennt vorbei —
Doch achl Die Schritte bremsten scharf ab, eine Weile herrschte
Stille, dann näherten sie sich dem Baum, langsam, ganz langsam
und vorsichtig.
Lerr Lill gab es auf. „Es hat keinen Zweck," sagte er mit ge-
brochener Stimme und trat hervor, „machen Sie keine Dummheiten,
Mann. Ich habe Familie zu Lause. Wir
wollen uns in Güte einigen. Lier haben
Sie meine Geldbörse, es sind mehr als
zwanzig Mark drinnen —"
„Lahahaha —* lachte der Mann schrill
und höhnisch und blickte ihn mit seinen
stechenden Augen durchdringend an.
„Bitte!" flehte Lerr Lill. „Lier, nehmen
Sie auch meineAhr —"
„Lahahaha —" gellte es durch die Nacht.
„And hier meine Ringel" rief der Kauf-
mann mit weinerlichem Tonfall.
„Lahahaha —"
„Ich habe sonst wirklich nichts mehr!"
schrie Lerr Lill und dachte verzweifelt an
seine fette Brieftasche.
„Lahahaha —" lachte der Peiniger,
„jetzt ist es aber genug mit dem Blödsinn.
Ich bin nämlich der neue Schulinspektor
und soll im Ort im Gasthof zur ,Rose^
übernachten, damit ich morgen früh gleich
zur Stelle bin. And als ich den Beamten
am Bahnhof danach fragte, sagte er mir,
ich möge mich nur immer hinter Ihnen
halten. Sie wohnten gleich gegenüber der
,Rose'."
Die Miete
Möbius hat ein möbliertes Zimmer.
Das Zimmer ist wunderbar.
„Verlangt deine Wirtin viel Miete dafür?"
„Viel nicht. Aber oft."
„Für mich verliere ich gar keine Zeit, ich
kann mich ganz meiner Kundschaft widmen!"
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Für mich verliere ich gar keine Zeit, ich kann mich ganz meiner Kundschaft widmen."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Objektbeschreibung
Verschlagwortung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1940
Entstehungsdatum (normiert)
1930 - 1950
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 192.1940, Nr. 4934, S. 86
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg