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Sind auch Frauen zerstreut?
Don Ralph Urban
Die Witwe Lofherr führte ihre beiden Töchter Ledda und Eva
am Sonntag nachmittag in ein Cafe, wo auch getanzt wurde. An-
sonsten bewachte Frau Lofherr mit ähnlicher Schärfe die Tugend
ihrer Kinder wie seinerzeit jener Lindwurm die Königstochter.
„Darf ich bitten?" sprach ein netter junger
Mann und verneigte sich, teils vor Eva, teils
vor Muttern. Die Mutter nickte leicht, Eva
nickte etwas stärker. Dann entschwebte der
Tänzer mit seinem jugendlichen Opfer. Auch
für Ledda fanden sich Partner, die aber
ziemlich mit jedem Tanz wechselten. Evas
Kavalier jedoch war treu und außerdem so
flink, daß er schon bei den ersten Takten eines
neuen Tanzes vor den Damen stand und an-
dere etwaige Anwärter gar nicht aufkommen
ließ. Dem geschärften mütterlichen Auge ent-
ging natürlich nichts, weder das heftige Ball-
geflüster während des Tanzes, noch alles
andere.
„Eva," sprach daher die Witwe während
der nächsten Pause, „du klebst beim Tanz zu
sehr an deinem Partner. Das schickt sich
nicht!"
Eva bemühte sich das nächstemal, den
vorschriftsmäßigen Abstand zu wahren, aber
der Partner angelte sie an sich, so daß sie
neuerdings klebte.
Nach diesem Tanz brach man auf, die
Essenszeit nahte. Als die Familie Lofherr
an der Kleiderablage stand, wer tauchte da
plötzlich ans? Natürlich schon wieder Evas
Tänzer.
„Darf ich bekannt machen?" sprach Eva,
ganz große Dame, „Lerr Böckl Meine
Mutter! Meine Schwester!"
Der junge Mann tat sehr erfreut und bat
um Erlaubnis, die Damen nach Lause be-
gleiten zu dürfen. Er durste. Zuerst schritt
er pflichtbewußt neben der Mutter und machte
in Gesprächen, aber bald schwindelte er sich
an Evas Seite; ihre Mutter und die Schwester
folgten in einigen Schritten Entfernung. Das
erste Paar bog um die Straßenecke und ent-
zog sich so für ein paar Sekunden der Sicht
und Aufsicht. And als die Mutter mit ihrer
zweiten Tochter um die Ecke bog, sah sie trotz
der Finsternis etwas Entsetzliches. Der männ-
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liche Kopf dort vorne löste sich eben von demjenigen, der eigentlich
Eva gehören sollte.
„Mein Lerr," erklang es mit Bestimmtheit aus mütterlichem
Mund, „jetzt sind wir bald zu Lause. Ich danke Ihnen daher für
Ihre weitere Begleitung."
Der verdatterte Lerr Böck stammelte
etwas, Eva stammelte auch was, und dann
war die Trennung vollzogen. Schweigend
gingen die drei heim. Erst in der Wohnung
wurde die Mutter gesprächig.
„So!" sagte sie und sah Eva scharf an.
„Was war das vorhin an der Sttaßenecke?"
„Er hat mich geküßt!" flüsterte Eva ver-
schämt und doch so stolz, während sie wie
eine Tomate errötete.
„Pfui!" rief die Schwester Ledda.
„Mißratenes Kind," sprach die Mutter
mit tiefer Stimme, „wer weiß, was der
Mensch für unlautere Absichten hat? Wie
kannst du dich von einem fremden Mann
küssen lassen?"
„Er hat mich gar nicht gefragt," ant-
wortete das Mädchen wahrheitsgemäß, „und
zweitens hat er mir seine Karte gegeben."
„So, dann laß sie mich gleich ansehen, liebes
Kind. Er will dich wohl auch Wiedersehen?"
„Doch!" rief Eva, während sie in ihrer
Arglosigkeit der Mutter die Karte reichte. „Ich
soll ihm schreiben, wann er mich treffen darf."
„Wunderbar!" sagte Frau Lofherr. „Die
Karte siehst du natürlich nie wieder, ich werde
sie persönlich vernichten. And augenblicklich
setzt du dich hin und schreibst, damit deinem
Kavalier die Augen übergehen!"
Worauf Eva tränenden Auges unter dem
Diktat der gestrengen Mama folgende Zeilen
niederschreiben mußte:
Lerr!
Sie haben es gewagt, mich auf offener
Straße zu küssen. Ihre Dreistigkeit em-
pört mich tief, ich bin ein anständiges
Mädchen. Wagen Sie sich nicht mehr
unter meine Augen!!! E. L.
Den Amschlag schrieb die Mutter selbst
und vernichtet« hierauf die Karte des Lerrn
Böck. Noch in gleicher Stunde ging sie zum
Briefkasten.
„Gute Nacht, Ilseken; heut Hammer wieder
jarnischt von der Verdunklung jehabt I"
Sind auch Frauen zerstreut?
Don Ralph Urban
Die Witwe Lofherr führte ihre beiden Töchter Ledda und Eva
am Sonntag nachmittag in ein Cafe, wo auch getanzt wurde. An-
sonsten bewachte Frau Lofherr mit ähnlicher Schärfe die Tugend
ihrer Kinder wie seinerzeit jener Lindwurm die Königstochter.
„Darf ich bitten?" sprach ein netter junger
Mann und verneigte sich, teils vor Eva, teils
vor Muttern. Die Mutter nickte leicht, Eva
nickte etwas stärker. Dann entschwebte der
Tänzer mit seinem jugendlichen Opfer. Auch
für Ledda fanden sich Partner, die aber
ziemlich mit jedem Tanz wechselten. Evas
Kavalier jedoch war treu und außerdem so
flink, daß er schon bei den ersten Takten eines
neuen Tanzes vor den Damen stand und an-
dere etwaige Anwärter gar nicht aufkommen
ließ. Dem geschärften mütterlichen Auge ent-
ging natürlich nichts, weder das heftige Ball-
geflüster während des Tanzes, noch alles
andere.
„Eva," sprach daher die Witwe während
der nächsten Pause, „du klebst beim Tanz zu
sehr an deinem Partner. Das schickt sich
nicht!"
Eva bemühte sich das nächstemal, den
vorschriftsmäßigen Abstand zu wahren, aber
der Partner angelte sie an sich, so daß sie
neuerdings klebte.
Nach diesem Tanz brach man auf, die
Essenszeit nahte. Als die Familie Lofherr
an der Kleiderablage stand, wer tauchte da
plötzlich ans? Natürlich schon wieder Evas
Tänzer.
„Darf ich bekannt machen?" sprach Eva,
ganz große Dame, „Lerr Böckl Meine
Mutter! Meine Schwester!"
Der junge Mann tat sehr erfreut und bat
um Erlaubnis, die Damen nach Lause be-
gleiten zu dürfen. Er durste. Zuerst schritt
er pflichtbewußt neben der Mutter und machte
in Gesprächen, aber bald schwindelte er sich
an Evas Seite; ihre Mutter und die Schwester
folgten in einigen Schritten Entfernung. Das
erste Paar bog um die Straßenecke und ent-
zog sich so für ein paar Sekunden der Sicht
und Aufsicht. And als die Mutter mit ihrer
zweiten Tochter um die Ecke bog, sah sie trotz
der Finsternis etwas Entsetzliches. Der männ-
134
liche Kopf dort vorne löste sich eben von demjenigen, der eigentlich
Eva gehören sollte.
„Mein Lerr," erklang es mit Bestimmtheit aus mütterlichem
Mund, „jetzt sind wir bald zu Lause. Ich danke Ihnen daher für
Ihre weitere Begleitung."
Der verdatterte Lerr Böck stammelte
etwas, Eva stammelte auch was, und dann
war die Trennung vollzogen. Schweigend
gingen die drei heim. Erst in der Wohnung
wurde die Mutter gesprächig.
„So!" sagte sie und sah Eva scharf an.
„Was war das vorhin an der Sttaßenecke?"
„Er hat mich geküßt!" flüsterte Eva ver-
schämt und doch so stolz, während sie wie
eine Tomate errötete.
„Pfui!" rief die Schwester Ledda.
„Mißratenes Kind," sprach die Mutter
mit tiefer Stimme, „wer weiß, was der
Mensch für unlautere Absichten hat? Wie
kannst du dich von einem fremden Mann
küssen lassen?"
„Er hat mich gar nicht gefragt," ant-
wortete das Mädchen wahrheitsgemäß, „und
zweitens hat er mir seine Karte gegeben."
„So, dann laß sie mich gleich ansehen, liebes
Kind. Er will dich wohl auch Wiedersehen?"
„Doch!" rief Eva, während sie in ihrer
Arglosigkeit der Mutter die Karte reichte. „Ich
soll ihm schreiben, wann er mich treffen darf."
„Wunderbar!" sagte Frau Lofherr. „Die
Karte siehst du natürlich nie wieder, ich werde
sie persönlich vernichten. And augenblicklich
setzt du dich hin und schreibst, damit deinem
Kavalier die Augen übergehen!"
Worauf Eva tränenden Auges unter dem
Diktat der gestrengen Mama folgende Zeilen
niederschreiben mußte:
Lerr!
Sie haben es gewagt, mich auf offener
Straße zu küssen. Ihre Dreistigkeit em-
pört mich tief, ich bin ein anständiges
Mädchen. Wagen Sie sich nicht mehr
unter meine Augen!!! E. L.
Den Amschlag schrieb die Mutter selbst
und vernichtet« hierauf die Karte des Lerrn
Böck. Noch in gleicher Stunde ging sie zum
Briefkasten.
„Gute Nacht, Ilseken; heut Hammer wieder
jarnischt von der Verdunklung jehabt I"
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Vollmond"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1940
Entstehungsdatum (normiert)
1930 - 1950
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 192.1940, Nr. 4938, S. 134
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg