Zeichnung von I. Mauder
Kleine Verwechslung
Vater und die Kleiderkarte
gefallen und beim Teppichklopfen verschleppt worden?" Was das
Mädchen bloß auf einmal für Einfälle hatte! Lerr Zwitsche bebte
am ganzen Leib wie ein Totenkopsschmetterling. Er war dabei, seine
Bücher im Schrank durcheinanderzustoßen. Irgend einen Schmöker
hatte er gestern abend noch in der Land gehabt, er wußte bloß nicht
mehr, welchen. Plötzlich blickte er auf die Ahr und fluchte: „Ver-
dammter Laden! Ich muß ja ins Büro!" Er toste davon.
Ratlos blickten ihm die Frauen nach. And nun hob ein neues
Lerumrätseln an. „Vater ist zerstreut," erklärte Lisa, „ich bleibe da-
bei, er hat die Karte in dem Brief mit fortgeschickt." Sie schüttelte
die zusammengelegten Zeitungen der letzten Wochen aus, während
Mutter die Dokumentenmappe vornahm. „Es nützt alles nichts,"
jammerte Frau Zwitsche, „wir müssen seine Karte finden, sonst ge-
rät Vater außer sich! Es schadet seiner Gesundheit! Wir suchen!
Alles andere muß liegen bleiben!"
And es blieb alles andere liegen, und die Karte wurde gesucht.
Nur gesunden wurde sie mit nichten, im Papierkorb nicht und nicht
in Vaters Zigarrenkiste, die Lausschuhe gaben sie nicht her, und in
keinen der Oefen war sie geschoben worden. Im Atlas lag sie nicht
eingeklemmt und hatte sich auch nicht in Vaters Briefmarkensamm-
lung verirrt. And wo sonst auch immer man noch drehte, wendete,
fahndete und äugte, es blieb alle Mühe unbedankt, die Kleiderkarte,
sie war fort und blieb fort. Basta.
And nun galt es, dem Schicksal, das da dunkeldräuend heraufzog,
mutig ins Auge zu sehen. — Zunächst in Vaters Auge. Er kam
nach Büroschluß heimgezischt, als wäre er eine Brandrakete, und las
sofort auf allen Gesichtern, daß er bis zum nächsten 31. Oktober
nichts, gar nichts mehr auf Punkte würde kaufen können, keinen
Anzug, nicht einmal ein Paar Socken oder einen lächerlichen Schlips
— nichts, gar nichts, nichts, nix, nischt, nihil: absolut und ganz und
gar nichts. Ist so etwas nicht zum Auswachsen? Nun, auswachsen
tat Papa Zwitsche nicht. Dazu war er zu korpulent. Aber Worte
sprach er, Worte — — — „Zigeunerbetrieb —„Boheme —
„unglaubliche Zucht, wo mehrere Weibspersonen im Lause sind —,"
und was der reizenden Dinge mehr waren.
And da wurde nun auch Mutter ernstlich böse. Man sah es ihr
an. Die Tochter Lisa hatte einen roten Kopf und Vater Zwitsche
einen violetten. Er sah aus, als wollte er platzen. Rein mit der
Angst konnte man es kriegen. Doch zu Mitleid war jetzt niemand
aufgelegt. In Aschermittwochstimmung ging man auseinander und
suchte nach einem schweigend vertilgten Mahl die Lagerstätten auf,
nachdem man noch einmal in gemeinsamer, mit verbissener Wucht
durchgeführter Sucharbeit, die sich wie ein kleiner Amzug auswirkte,
das halbe Quartier um und um gestülpt hatte.
Da Vater gleich beim nächsten Morgenkaffee einen Wutansall
bekam, wurde den ganzen lieben langen Tag weitergesucht. „Ob man
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Kleine Verwechslung
Vater und die Kleiderkarte
gefallen und beim Teppichklopfen verschleppt worden?" Was das
Mädchen bloß auf einmal für Einfälle hatte! Lerr Zwitsche bebte
am ganzen Leib wie ein Totenkopsschmetterling. Er war dabei, seine
Bücher im Schrank durcheinanderzustoßen. Irgend einen Schmöker
hatte er gestern abend noch in der Land gehabt, er wußte bloß nicht
mehr, welchen. Plötzlich blickte er auf die Ahr und fluchte: „Ver-
dammter Laden! Ich muß ja ins Büro!" Er toste davon.
Ratlos blickten ihm die Frauen nach. And nun hob ein neues
Lerumrätseln an. „Vater ist zerstreut," erklärte Lisa, „ich bleibe da-
bei, er hat die Karte in dem Brief mit fortgeschickt." Sie schüttelte
die zusammengelegten Zeitungen der letzten Wochen aus, während
Mutter die Dokumentenmappe vornahm. „Es nützt alles nichts,"
jammerte Frau Zwitsche, „wir müssen seine Karte finden, sonst ge-
rät Vater außer sich! Es schadet seiner Gesundheit! Wir suchen!
Alles andere muß liegen bleiben!"
And es blieb alles andere liegen, und die Karte wurde gesucht.
Nur gesunden wurde sie mit nichten, im Papierkorb nicht und nicht
in Vaters Zigarrenkiste, die Lausschuhe gaben sie nicht her, und in
keinen der Oefen war sie geschoben worden. Im Atlas lag sie nicht
eingeklemmt und hatte sich auch nicht in Vaters Briefmarkensamm-
lung verirrt. And wo sonst auch immer man noch drehte, wendete,
fahndete und äugte, es blieb alle Mühe unbedankt, die Kleiderkarte,
sie war fort und blieb fort. Basta.
And nun galt es, dem Schicksal, das da dunkeldräuend heraufzog,
mutig ins Auge zu sehen. — Zunächst in Vaters Auge. Er kam
nach Büroschluß heimgezischt, als wäre er eine Brandrakete, und las
sofort auf allen Gesichtern, daß er bis zum nächsten 31. Oktober
nichts, gar nichts mehr auf Punkte würde kaufen können, keinen
Anzug, nicht einmal ein Paar Socken oder einen lächerlichen Schlips
— nichts, gar nichts, nichts, nix, nischt, nihil: absolut und ganz und
gar nichts. Ist so etwas nicht zum Auswachsen? Nun, auswachsen
tat Papa Zwitsche nicht. Dazu war er zu korpulent. Aber Worte
sprach er, Worte — — — „Zigeunerbetrieb —„Boheme —
„unglaubliche Zucht, wo mehrere Weibspersonen im Lause sind —,"
und was der reizenden Dinge mehr waren.
And da wurde nun auch Mutter ernstlich böse. Man sah es ihr
an. Die Tochter Lisa hatte einen roten Kopf und Vater Zwitsche
einen violetten. Er sah aus, als wollte er platzen. Rein mit der
Angst konnte man es kriegen. Doch zu Mitleid war jetzt niemand
aufgelegt. In Aschermittwochstimmung ging man auseinander und
suchte nach einem schweigend vertilgten Mahl die Lagerstätten auf,
nachdem man noch einmal in gemeinsamer, mit verbissener Wucht
durchgeführter Sucharbeit, die sich wie ein kleiner Amzug auswirkte,
das halbe Quartier um und um gestülpt hatte.
Da Vater gleich beim nächsten Morgenkaffee einen Wutansall
bekam, wurde den ganzen lieben langen Tag weitergesucht. „Ob man
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Kleine Verwechslung"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1940
Entstehungsdatum (normiert)
1930 - 1950
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 193.1940, Nr. 4960, S. 87
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg