Die Idealisten von Moredo
Von Ralph Urban
„Meine liebe' Evelyn," sagte der Millionär Losenrockfeller zu
seiner Tochter, „willst du zum Geburtstag eine neue Pacht, oder
soll ich dir eine Ritterburg aus Europa kommen lassen?"
„Ich möchte einen Mann," meinte Evelyn, „der die Welt nicht
nach ihrem Dollarwert berechnet. Aber so etwas findet man bei uns
nicht. Lingegen sollen an der Grenze von Texas noch rauhe aber
ideal veranlagte Männer Vorkommen, denen alles Geld egal ist."
„Mein liebes Kind," sprach der Vater, „die hat es in USA. nie
gegeben, auch nicht an der Grenze."
„Vielleicht doch, Pa," beharrte die einzige Tochter, „jedenfalls
machen wir zu meinem Geburtstag eine Texasreise."
So kam es, daß Vater und Tochter bald darauf in der Siedlung
Moredo am Rio Grande eintrasen. Beim ersten Mann, der ihnen
in der kleinen Grenzstadt entgegen kam, ließ Evelyn halten. Er hatte
unter dem Sombrero eine Zigarette und an der Lüfte einen rie-
sigen Colt.
„Lallo, Boy," rief die Miß, „wir brauchen einen Fremdenführer.
Fünfzig Dollars pro Tag."
„Well," sagte der Mann, „es ist mir um das Geld nicht zu tun,
sondern nur um Ihre schönen Augen, Miß. Zch heiße übrigens Ted.
Wohin soll ich Sie führen?"
„Zuerst wollen wir ins Lotel," erklärte die Miß, „und am Abend
will ich etwas erleben. Wo ist hier was los?"
„Lm," meinte Ted, „bei den Methodisten spricht der neue Pfarrer,
und in Toms Bar gibt es die tägliche Schießerei."
„Well," sprach Evelyn, „dann wollen
wir in Toms Bar meinen Geburtstag
feiern."
Die Feier gestaltete sich eindrucks-
voll. Sie saßen am hintersten Tisch in
der Bar und tranken Whisky.
„Es wird bald losgehen," erklärte
der Fremdenführer. „Dort, die Männer
an der Theke sind der rote Jonny und
seine Leute. Und dort drüben sitzt der
geflickte Jimmy mit seinen Anhängern.
Seit letzten Sonntag sind die beiden
spinnefeind."
„Landelt es sich um Geld?" fragte
Evelyn.
„Pah, Geld," meinte Ted, „Ionny
hatte gemerkt, wie Jimmy heimlich seiner
Frau zutrank."
„Wundervoll I" rief Evelyn. „Lier
gibt es also doch Idealisten."
Eben drehte sich der rote Ionny um
und begann, zu dem geflickten Jimmy
hinüberzustieren.
„Schätze," sprach Ted, „wir gehen jetzt näher zur Tür."
„Partner," rief Jimmy, „warum glotzt Ihr mich so an?"
„Partner," antworteteIonny, „mir gefällt Eure geflickte Rase nicht."
„Partner," gab Jimmy zurück, „das hättet Ihr nicht sagen dürfen.
Soll ich Eurer Witwe etwas ausrichten?"
In diesem Augenblick fuhren sämtliche Lände nach den Revolver-
griffen. Gleichzeitig sprangen Jimmy und seine Leute hinter die Theke
und eröffneten das Feuer. Ionny und seine Partie, die hinter den
rasch umgeworfenen Tischen Deckung genommen hatten, schossen zurück.
Ted war mit seinen beiden Schutzbefohlenen rechtzeitig hinausgeeilt,
von wo sie nun die Barschlacht durch die offenstehende Tür beobachteten.
„Mein liebes Kind," meinte der alte Losenrockseller, „ich glaube,
es wird ungemütlich. Wollen wir nicht ins Lotel gehen?"
„Aber Pa," sagte Evelyn, „heute ist doch mein Geburtstag, und
die Leute schießen so schön. Aebrigens habe ich meine Landschuhe
drinnen vergessen. Wie ist das, Ted, wollen Sie mir die nicht
herausholen?"
„Wenn es sonst nichts ist," antwortete Ted und trat in die von
Pulverrauch erfüllte Bar, wo es noch immer wüst knallte.
„Ein Lew, der mich liebt!" rief Evelyn.
„Er ist ein Rindvieh," meinte der Vater. Dennoch geschah das
Wunder. Ted ging mitten durch den Kugelregen, holte die Land-
schuhe vom letzten Tisch und kehrte unbeschädigt zurück.
„Geliebter!" brüllte ihm Evelyn in den Gefechtslärm hinein ent-
gegen. Wann wollen wir heiraten?"
„Vielleicht erreichen wir noch den
neuen Prediger," sagte Ted.
Eine halbe Stunde später war die
Trauung vollzogen. Da der alte Lo-
senrockfeller seiner Tochter gegenüber
nichts zu plaudern hatte, überreichte er
dem neuen Schwiegersohn schweigend
einen Scheck als Vorschuß auf die
Mitgift.
„Mein Löwe," flüsterte hierauf Eve-
lyn, „welch Schutzengel geleitete dich,
daß du unverletztaus dieser Löllewieder-
kehren konntest?"
„Schutzengel?" grinste Ted. „Gar kein
Schutzengel. Ich schulde nur dem roten
Ionny und dem geflickten Jimmy eine
Menge Geld. And daher wußte ich, daß
sie genau aufpassen würden, mich ja nicht
zu treffen, nachdem es sich rasch herum-
gesprochen hat, daß ich von einer splee-
nigen Millionärstochter für fünfzig
Dollars im Tag als Fremdenführer
angestellt worden sei."
„Schweigen Sie mal einen Augenblick! Das ist
nämlich meine Sprechstunde und nicht ihre."
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Von Ralph Urban
„Meine liebe' Evelyn," sagte der Millionär Losenrockfeller zu
seiner Tochter, „willst du zum Geburtstag eine neue Pacht, oder
soll ich dir eine Ritterburg aus Europa kommen lassen?"
„Ich möchte einen Mann," meinte Evelyn, „der die Welt nicht
nach ihrem Dollarwert berechnet. Aber so etwas findet man bei uns
nicht. Lingegen sollen an der Grenze von Texas noch rauhe aber
ideal veranlagte Männer Vorkommen, denen alles Geld egal ist."
„Mein liebes Kind," sprach der Vater, „die hat es in USA. nie
gegeben, auch nicht an der Grenze."
„Vielleicht doch, Pa," beharrte die einzige Tochter, „jedenfalls
machen wir zu meinem Geburtstag eine Texasreise."
So kam es, daß Vater und Tochter bald darauf in der Siedlung
Moredo am Rio Grande eintrasen. Beim ersten Mann, der ihnen
in der kleinen Grenzstadt entgegen kam, ließ Evelyn halten. Er hatte
unter dem Sombrero eine Zigarette und an der Lüfte einen rie-
sigen Colt.
„Lallo, Boy," rief die Miß, „wir brauchen einen Fremdenführer.
Fünfzig Dollars pro Tag."
„Well," sagte der Mann, „es ist mir um das Geld nicht zu tun,
sondern nur um Ihre schönen Augen, Miß. Zch heiße übrigens Ted.
Wohin soll ich Sie führen?"
„Zuerst wollen wir ins Lotel," erklärte die Miß, „und am Abend
will ich etwas erleben. Wo ist hier was los?"
„Lm," meinte Ted, „bei den Methodisten spricht der neue Pfarrer,
und in Toms Bar gibt es die tägliche Schießerei."
„Well," sprach Evelyn, „dann wollen
wir in Toms Bar meinen Geburtstag
feiern."
Die Feier gestaltete sich eindrucks-
voll. Sie saßen am hintersten Tisch in
der Bar und tranken Whisky.
„Es wird bald losgehen," erklärte
der Fremdenführer. „Dort, die Männer
an der Theke sind der rote Jonny und
seine Leute. Und dort drüben sitzt der
geflickte Jimmy mit seinen Anhängern.
Seit letzten Sonntag sind die beiden
spinnefeind."
„Landelt es sich um Geld?" fragte
Evelyn.
„Pah, Geld," meinte Ted, „Ionny
hatte gemerkt, wie Jimmy heimlich seiner
Frau zutrank."
„Wundervoll I" rief Evelyn. „Lier
gibt es also doch Idealisten."
Eben drehte sich der rote Ionny um
und begann, zu dem geflickten Jimmy
hinüberzustieren.
„Schätze," sprach Ted, „wir gehen jetzt näher zur Tür."
„Partner," rief Jimmy, „warum glotzt Ihr mich so an?"
„Partner," antworteteIonny, „mir gefällt Eure geflickte Rase nicht."
„Partner," gab Jimmy zurück, „das hättet Ihr nicht sagen dürfen.
Soll ich Eurer Witwe etwas ausrichten?"
In diesem Augenblick fuhren sämtliche Lände nach den Revolver-
griffen. Gleichzeitig sprangen Jimmy und seine Leute hinter die Theke
und eröffneten das Feuer. Ionny und seine Partie, die hinter den
rasch umgeworfenen Tischen Deckung genommen hatten, schossen zurück.
Ted war mit seinen beiden Schutzbefohlenen rechtzeitig hinausgeeilt,
von wo sie nun die Barschlacht durch die offenstehende Tür beobachteten.
„Mein liebes Kind," meinte der alte Losenrockseller, „ich glaube,
es wird ungemütlich. Wollen wir nicht ins Lotel gehen?"
„Aber Pa," sagte Evelyn, „heute ist doch mein Geburtstag, und
die Leute schießen so schön. Aebrigens habe ich meine Landschuhe
drinnen vergessen. Wie ist das, Ted, wollen Sie mir die nicht
herausholen?"
„Wenn es sonst nichts ist," antwortete Ted und trat in die von
Pulverrauch erfüllte Bar, wo es noch immer wüst knallte.
„Ein Lew, der mich liebt!" rief Evelyn.
„Er ist ein Rindvieh," meinte der Vater. Dennoch geschah das
Wunder. Ted ging mitten durch den Kugelregen, holte die Land-
schuhe vom letzten Tisch und kehrte unbeschädigt zurück.
„Geliebter!" brüllte ihm Evelyn in den Gefechtslärm hinein ent-
gegen. Wann wollen wir heiraten?"
„Vielleicht erreichen wir noch den
neuen Prediger," sagte Ted.
Eine halbe Stunde später war die
Trauung vollzogen. Da der alte Lo-
senrockfeller seiner Tochter gegenüber
nichts zu plaudern hatte, überreichte er
dem neuen Schwiegersohn schweigend
einen Scheck als Vorschuß auf die
Mitgift.
„Mein Löwe," flüsterte hierauf Eve-
lyn, „welch Schutzengel geleitete dich,
daß du unverletztaus dieser Löllewieder-
kehren konntest?"
„Schutzengel?" grinste Ted. „Gar kein
Schutzengel. Ich schulde nur dem roten
Ionny und dem geflickten Jimmy eine
Menge Geld. And daher wußte ich, daß
sie genau aufpassen würden, mich ja nicht
zu treffen, nachdem es sich rasch herum-
gesprochen hat, daß ich von einer splee-
nigen Millionärstochter für fünfzig
Dollars im Tag als Fremdenführer
angestellt worden sei."
„Schweigen Sie mal einen Augenblick! Das ist
nämlich meine Sprechstunde und nicht ihre."
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Schweigen Sie mal einen Augenblick! Das ist nämlich meine Sprechstunde und nicht Ihre."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1940
Entstehungsdatum (normiert)
1930 - 1950
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Thema/Bildinhalt (normiert)
Schwatzhaftigkeit
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 193.1940, Nr. 4964, S. 134
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg