Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
o

Zm Sinne des Ahrzeigers

Von Ralph llrdan

Auf dem Straßenbahngleise stand eine junge Dame. Sie voll-
führte merkwürdig hüpfende Bewegungen und flatterte mit den
Armen wie ein Vöglein mit seinen Schwingen beim ersten Flug-
versuch. Ein Lerr, der eben die Straße überquerte, blieb bei ihr stehen.
„Mein Fräulein," erkundigte er sich, „kann ich etwas für Sie tun?"

„Doch!" rief sie lebhaft. „Laufen Sie der Straßenbahn entgegen
und halten Sie sie auf, sonst bin ich verloren.

Mein Absatz hat sich in der Schiene festge-
klemmt, und ich kann nicht mehr vom Fleck."

„Das ist sehr traurig," meinte der junge
Mann, „aber Sie brauchen doch nur heraus-
zusteigen."

„Daran habe ich allerdings noch gar nicht
gedacht; vielleicht habe ich auch ein Loch im
Strumpf."

„Angesichts des Todes spielt das keine Rolle.

Außerdem kommt dort bereits die Straßen-
bahn." Der Lerr bückte sich, das Mädchen
stieg artig aus dem Schuh, hielt sich an seinem
Rockkragen fest und stand nun da wie die
zweite Lälfte eines Pferdes, das auf ein neues
Lufeisen wartet. Der Mann beschäftigte sich
mit dem unbotmäßigen Schuh und schielte
dabei nach dem niedlichen Fuß, dem dazu-
gehörigen Klassebein und der Masche am
Strumpf, die wohl vor lauter Schreck davon-
gelaufen war.

„Lau — ruck!" schrie der Kavalier, befreite
den Schuh aus der Klemme und half dem
Mädchen hinein. Dann gingen beide zum Geh-
steig hinüber.

„Mein Name ist Faber."

„Ich heiße Ilse."

„Wunderbar! Schade, daß ich jetzt keine
Zeit habe. Wann sehen wir uns wieder?"

„Was fällt Ihnen ein? Kommt gar nicht in Frage."

„So behandeln Sie Ihren Lebensretter?"

Fräulein Ilse mußte lachen. „Legen Sie solch großen Wert
darauf? In diesem Fall ginge es nur Sonntag vormittag, sagen
wir halb elf. Wäre Ihnen das Museum als Treffpunkt recht? Ja?
Aber dann nicht beim Laupteingang, dort warten immer zwanzig
Lerren, und es geht zu wie bei der Damenwahl. Was machen wir also?"

„Sehr einfach," entgegnete der junge Mann, „wir gehen rund-
herum. Sie im Sinne des Ahrzeigers und ich in entgegengesetzter
146

Richtung. Dann müssen wir uns treffen. Ist dies klar und werden
Sie Wort halten?" — „Sonnenklar, und ich werde sogar pünktlich sein."

Die beiden jungen Menschen schüttelten sich kräftig die Lände
lachten einander zu und gingen weiter ihrer Wege.

Am Sonntag vormittag sah Lerr Faber aus wie aus dem Ei
gepellt. Er hatte sich zweimal rastert und mit wohlriechenden Salben
geölt. Er bestand nur mehr aus Freude und
Angeduld.

Punkt 10 Ahr 30 befand er sich beim Laupt-
eingang vom Museum. Dort begann er die
erste Runde, indem er das große Gebäude in
entgegengesetzter Richtung zum Ahrzeiger um-
ging. Bei der dritten Runde war seine
Laune schon wesentlich schlechter, und bei der
fünften um 11 Ahr 13 fluchte er bereits wie
ein Maultiertreiber. Plötzlich durchleuchtete
ihn ein Lossnungsstrahl. Vielleicht hatte ihn
Ilse mißverstanden, und vielleicht ging sie
schon lange in derselben Richtung wie er. Dann
konnten sie freilich nie zusammenkommen. And
schon machte Lerr Faber kehrt und marschierte
nun munter im Sinne des Ahrzeigers. Nach
zwei weiteren Runden blieb er stehen und
dachte scharf nach. Wie, wenn Ilse auf Grund
des ersten Mißverständnisses zur selben Zeit
wie er umgekehrt und wieder mit ihm in
gleicher Richtung gelaufen wäre? Er kannte
sich bald nicht mehr aus. Blieb er hier stehen,
um hier einmal zu warten, tat vielleicht auf
der andern Seite des Gebäudes Ilse das-
selbe. Blieb nur eine Möglichkeit, er lief um
den Komplex einigemale herum, das würde
Ilse sicher nicht tun. Als geübter Langstrecken-
läufer setzte er sich zur Verwunderung einiger
Spaziergänger sogleich mit höllischem Tempo
in Bewegung und schien dabei den Ehrgeiz
zu haben, sich selbst zu überrunden. Zweimal umkreiste er so das
Museum, ehe er es aufgab. Keuchend, schwitzend und seelisch ge-
brochen fiel er in Trab. Das war zu stark, zu häßlich von dem
Mädchen Ilse. Er lief sich da die Lungen aus dem Leib, und sie
hatte ihn einfach aufsitzen lassen. Seine Liebe auf den ersten Blick,
seine erste große Liebe — sie oder keine — hoffnungslos, er würde
sie nie wieder sehen. Mit gesenktem Kopf schlich er Richtung
Straßenbahn. Plötzlich — da vor ihm — das Mädchen — schon
war er keuchend an ihrer Seite — „Ilse!"

„. . . was so ein kleiner Schirm
doch den Regen gut abhält . . ."
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Was so ein kleiner Schirm doch den Regen gut abhält."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Frank, Hugo
Entstehungsdatum
um 1940
Entstehungsdatum (normiert)
1930 - 1950
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift
Regenschirm
Frau <Motiv>
Hut <Motiv>
Regen
Regen <Motiv>
Irrtum

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 193.1940, Nr. 4965, S. 146

Beziehungen

Erschließung

Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg
 
Annotationen