Das Glück fällt uns in den Schoß
Von P et er Esten
Ich kann mir einige von den Fahrgästen, die damals fast Morgen
für Morgen meine näheren oder entfernteren Nachbarn in der
Straßenbahn waren, noch genau vorstellen. Den Prokuristen Schulze
zum Beispiel, der, obwohl er angeblich aus Naumburg stammte,
ein fehlerfreies und melodisches Sächsisch sprach; den Professor
Länfling, der, weil er sich unterwegs meist in einen Schmöker ver-
tiefte, häufig über sein Ziel hinausfuhr und dann ärgerlich brum-
mend aus dem Wagen hüpfte; den asthmatischen Rechnungsrat
Larbig und den ebenfalls aus kranken Bronchien lärmenden Kanz-
listen Müller, die sich gegenseitig im Verdacht hatten, es wolle
der eine des anderen Atmungsgeräusche kopieren; die Konrektorin
Müller, die auch sommertags dicke schwarze Wollstrümpfe trug und
mit hornbebrillten giftigen Augen die in hauchdünnen, fleischfarbenen
Geweben steckenden Beine der jungen Damen in Acht und Bann tat.
Am besten aber habe ich Lilly in der Erinnerung, die weder
sächsisch sprach, noch sich unterwegs in den Cicero oder Loraz ver-
tiefte. And die weder asthmatisch war, noch dicke Wollstrümpfe trug.
Fügen wir diesen Fehlanzeigen noch ergänzend hinzu, daß Lilly ein
schlankes und rankes Geschöpf mit einem hübschen, naturblonden
Wuschelkopf und lustigen, ein wenig spöttisch in die Welt guckenden
grauen Augen war, so ist wohl glaubhaft erklärt, daß meine Auf-
merksamkeit sich nicht gut auf Fräulein Müller konzentrieren konnte.
Womit aber natürlich noch lange nicht gesagt ist, daß Lilly ihrer-
seits mir eine sonderliche Beachtung geschenkt hätte. Manchmal
freilich schien es mir, als fordere mich ein ermunternder Blick zu
einer beherzten Annäherung auf. Aber dann — na ja, man hat zeit-
weise seine Äemmungen.
Eines Tages aber kam mir der Zufall zu Lilfe. In der scharfen
Kurve kurz vor der Laltestelle, an der Lilly aussteigen mußte,
bremste der Wagen so plötzlich und heftig, daß die Fahrgäste wild
durcheinandergeschüttelt wurden. Dergestalt, daß Fräulein Müller
dem Professor Länflein an die Brust sank und die Köpfe des
(Fortsetzung Seite 75)
Fremdwörter
„Sind Sie nicht mit dem
Schlossermeister Nagelidentisch ?"
„Nein; der Schlossermeister
Nagel bin ich selber!"
Glaubwürdig
„Meinen Mann können Sie
jetzt nicht sprechen. Der kriegt
gerade einen Zahn gezogen."
„Das ist mir aber unange-
nehm!"
„Ihm auch!"
Allerdings
Meier begegnet Geier und
fragt ihn:
„Run, Lerr Geier, wie gehen
denn die Geschäfte?"
„Dank der Nachfrage, mein
Kundenkreis wächst von Tag zu
Tag!"
„Das ist aber recht erfreulich.
Was haben Sie denn eigentlich
für ein Geschäft?"
„Kinderkonfektton!"
74
Der wahre Kavalier
„Darf ich Ihnen meinen Platz anbieten?"
„Danke — ich sitze ja bereits."
„Aber unter meinem Platz ist die Leizung."
Eenftig ist ein Mann von
milder Gesinnung.
Senftig hat das Pech, auf
der Plattform der Straßenbahn
gegen einen groben Kerl zu rum-
peln. Der schnauzt: „Kannst du
nicht aufpassen, du Rindvieh!"
Senftig schüttelt sanft ver-
weisend den Kopf. „Erlauben Sie
mal I Wie können Sie mich duzen ?"
Anker Selbstkostenpreis
Frau Blankmeier will ihrem
Töchterchen Klavierstunde geben
lassen; ein Lerr Guido Stampfer
ist dafür in Aussicht genommen.
„Für die Stunde will ich
drei Mark berechnen," erklärt
Guido Stampfer.
Frau Blankmeier erschrickt.
„Das scheint mir aber sehr teuer!"
Guido Stampfer reckt sich.
„Aber ich bitte Sie, gnädige Frau
— das ist billig, viel zu billig.
Ich bin doch von Professor Kujatz,
dem berühmten Kujatz ausgebil-
det worden; dem habe ich selbst
zwölf Mark für die Stunde
zahlen müssen."
Von P et er Esten
Ich kann mir einige von den Fahrgästen, die damals fast Morgen
für Morgen meine näheren oder entfernteren Nachbarn in der
Straßenbahn waren, noch genau vorstellen. Den Prokuristen Schulze
zum Beispiel, der, obwohl er angeblich aus Naumburg stammte,
ein fehlerfreies und melodisches Sächsisch sprach; den Professor
Länfling, der, weil er sich unterwegs meist in einen Schmöker ver-
tiefte, häufig über sein Ziel hinausfuhr und dann ärgerlich brum-
mend aus dem Wagen hüpfte; den asthmatischen Rechnungsrat
Larbig und den ebenfalls aus kranken Bronchien lärmenden Kanz-
listen Müller, die sich gegenseitig im Verdacht hatten, es wolle
der eine des anderen Atmungsgeräusche kopieren; die Konrektorin
Müller, die auch sommertags dicke schwarze Wollstrümpfe trug und
mit hornbebrillten giftigen Augen die in hauchdünnen, fleischfarbenen
Geweben steckenden Beine der jungen Damen in Acht und Bann tat.
Am besten aber habe ich Lilly in der Erinnerung, die weder
sächsisch sprach, noch sich unterwegs in den Cicero oder Loraz ver-
tiefte. And die weder asthmatisch war, noch dicke Wollstrümpfe trug.
Fügen wir diesen Fehlanzeigen noch ergänzend hinzu, daß Lilly ein
schlankes und rankes Geschöpf mit einem hübschen, naturblonden
Wuschelkopf und lustigen, ein wenig spöttisch in die Welt guckenden
grauen Augen war, so ist wohl glaubhaft erklärt, daß meine Auf-
merksamkeit sich nicht gut auf Fräulein Müller konzentrieren konnte.
Womit aber natürlich noch lange nicht gesagt ist, daß Lilly ihrer-
seits mir eine sonderliche Beachtung geschenkt hätte. Manchmal
freilich schien es mir, als fordere mich ein ermunternder Blick zu
einer beherzten Annäherung auf. Aber dann — na ja, man hat zeit-
weise seine Äemmungen.
Eines Tages aber kam mir der Zufall zu Lilfe. In der scharfen
Kurve kurz vor der Laltestelle, an der Lilly aussteigen mußte,
bremste der Wagen so plötzlich und heftig, daß die Fahrgäste wild
durcheinandergeschüttelt wurden. Dergestalt, daß Fräulein Müller
dem Professor Länflein an die Brust sank und die Köpfe des
(Fortsetzung Seite 75)
Fremdwörter
„Sind Sie nicht mit dem
Schlossermeister Nagelidentisch ?"
„Nein; der Schlossermeister
Nagel bin ich selber!"
Glaubwürdig
„Meinen Mann können Sie
jetzt nicht sprechen. Der kriegt
gerade einen Zahn gezogen."
„Das ist mir aber unange-
nehm!"
„Ihm auch!"
Allerdings
Meier begegnet Geier und
fragt ihn:
„Run, Lerr Geier, wie gehen
denn die Geschäfte?"
„Dank der Nachfrage, mein
Kundenkreis wächst von Tag zu
Tag!"
„Das ist aber recht erfreulich.
Was haben Sie denn eigentlich
für ein Geschäft?"
„Kinderkonfektton!"
74
Der wahre Kavalier
„Darf ich Ihnen meinen Platz anbieten?"
„Danke — ich sitze ja bereits."
„Aber unter meinem Platz ist die Leizung."
Eenftig ist ein Mann von
milder Gesinnung.
Senftig hat das Pech, auf
der Plattform der Straßenbahn
gegen einen groben Kerl zu rum-
peln. Der schnauzt: „Kannst du
nicht aufpassen, du Rindvieh!"
Senftig schüttelt sanft ver-
weisend den Kopf. „Erlauben Sie
mal I Wie können Sie mich duzen ?"
Anker Selbstkostenpreis
Frau Blankmeier will ihrem
Töchterchen Klavierstunde geben
lassen; ein Lerr Guido Stampfer
ist dafür in Aussicht genommen.
„Für die Stunde will ich
drei Mark berechnen," erklärt
Guido Stampfer.
Frau Blankmeier erschrickt.
„Das scheint mir aber sehr teuer!"
Guido Stampfer reckt sich.
„Aber ich bitte Sie, gnädige Frau
— das ist billig, viel zu billig.
Ich bin doch von Professor Kujatz,
dem berühmten Kujatz ausgebil-
det worden; dem habe ich selbst
zwölf Mark für die Stunde
zahlen müssen."
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der wahre Kavalier"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1941
Entstehungsdatum (normiert)
1936 - 1946
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 194.1941, Nr. 4985, S. 74
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg