Das Glück füll« uns in den Schoß
Rechnungsrats Larbig und des Kanzlisten Müller die be-
kannte Bewegung kämpfender Widder ausführten. Auch
Fräulein Lilly, die neben meinem Sitzplatz bei der Tür
stand, um beim Aussteigen keine Zeit zu verlieren, ver-
lor — seltsamerweise, denn sie hielt sich doch am Tür-
griff fest — ihr Gleichgewicht und fiel mir buchstäblich
in den Schoß. Sie tat bei dieser Annäherung einen
komisch-entsetzten Schrei, sprang sofort hastig auf und
stand gleich wieder auf ihren hohen, schlanken Beinen,
die einen Augenblick lang auf meinen Knien hilflos
zappelnd einen Lalt gesucht hatten. Stammelte dann,
schon in der Tür stehend, eine mehr spöttische als ver-
legene Entschuldigung und nahm meine Versicherung,
daß ich mich auf die Wiederholung eines so netten
Verkehrsunfalls riesig freuen würde, mit einem auf-
reizenden Lächeln zur Kenntnis. „Das sollte Ihnen so
gefallen. Sie Ekel," ließ sie mich mit nicht ganz über-
zeugender Entrüstung abblitzen und stieg dann hastig aus.
And das „Ekel" war denn auch tatsächlich nicht so
ganz ernst gemeint gewesen, denn wir wurden gute
Freunde. Einen ganzen Sommer lang währte diese
Freundschaft, und es bedurfte in dieser Zeit keiner in
einer scharfen Kurve bockenden Straßenbahn, um Lilly
anschmiegsam werden zu lassen. Bis dann eines Tages
alles aus war ....
Wie es damals zum Bruch gekommen ist, soll hier
nicht erzählt werden. Vielleicht hielt etwas wie Angst
mich ab, die Fahrtgemeinschaft mit Lilly zu einer Ge-
meinschaft fürs Leben werden zu lasten. Möglicherweise
war es auch nur das in irgendeiner zu letzter Offenheit verführen-
den Stunde von Lilly abgelegte Geständnis, daß damals die „An-
näherung" in der Straßenbahn nicht zustande gekommen wäre, wenn
sie nicht selbst den von höherer Gewalt ihr gegebenen Anstoß durch
einen zusätzlichen freiwilligen Schwung verstärkt hätte .... Jeden-
falls mutz mich allmählich eine unheimliche Furcht vor allzuviel
Glück gepackt haben, und ich ergriff die Flucht. Es wurde kein
leichter Verzicht, aber wie über allem wuchs auch über der Lerzens-
geschichte mit Lilly langsam Gras.
„Den Weg zum Lasen sucht sie. Schaut sie euch genau an, die englische
Miß; die wirds hier bald nicht mehr geben!"
Nun traf ich, als ich neulich nach Jahren heimkehrte, meinen
alten Freund Anton wieder, und die Freude des Wiedersehens war
auf beiden Seiten groß und echt. Natürlich müsse ich ihn besuchen,
erklärte Anton. Es gehe ihm wirtschaftlich gut, sehr gut sogar, und
nebenher sei er glücklicher Ehemann. Das Wasser solle mir altem
Lagestolz im Munde zusammenlaufen, wenn ich Zeuge von so viel
Glück würde. And seine Frau werde sich bestimmt freuen, mich
kennen zu lernen.
So nahm ich denn die herzliche Einladung an und stellte
mich zur ausgemachten Stunde ein. Die Frau des Laufes
öffnete mir, und wahrhaftig: Das war ja — Lilly. Ein
Glück, daß im nämlichen Augenblick Anton hinzukam und
uns mit lärmender Lerzlichkeit so umständlich bekannt machte,
daß es uns nicht schwer fiel, unsere Fassung zurückzuge-
winnen.
Es wurde dann ein famoser Abend, den kein Mitzklang
störte. Anton bestand sogar in vorgerückter Stunde darauf,
daß Lilly und ich Schmollis tränken, — und es ließ sich
nicht gut vermeiden, daß wir uns seinem Wunsche fügten.
Nur einmal war eine peinliche Situation zu überbrücken.
Als nämlich Anton in eine elegische Stimmung geriet und
mit ehrlicher Betrübnis erzählte, daß den Gleisverlegungen
der Straßenbahn nun auch die scharfe Kurve hinterm Bahn-
hof zum Opfer gefallen sei. „Du mußt nämlich wissen,"
erklärte er zu mir gewandt, „daß in dieser Kurve mir das
Glück in der Gestalt meiner Lilly buchstäblich in den Schoß
gefallen ist."
Einen Augenblick sitzt Lilly wie entgeistert da, dann
lacht sie plötzlich ihr mir so vertrautes, ein wenig spöttisches
Lachen. And ich lache mit, und als Anton das Glas erhebt,
stoßen wir fröhlich an: Auf den schönen Abend, auf die
Kurve und auf den Zufall, der uns bisweilen das Glück
geradezu in den Schoß wirft.
Zn der Schaubude
„Was für einen herrlichen Pelz Sie haben, Frau Puppell"
„Ja, den habe ich mir aber auch geradezu abhungern müssen."
„Da sollten Sie noch an eine andere schöne Anschaffung denken."
„Le. Sie, auf dem Plakat steht, daß die Riesenschlange
vom Kopf bis zum Schwanz acht Meter mißt — wo fängt
der Schwanz denn eigentlich an?"
Rechnungsrats Larbig und des Kanzlisten Müller die be-
kannte Bewegung kämpfender Widder ausführten. Auch
Fräulein Lilly, die neben meinem Sitzplatz bei der Tür
stand, um beim Aussteigen keine Zeit zu verlieren, ver-
lor — seltsamerweise, denn sie hielt sich doch am Tür-
griff fest — ihr Gleichgewicht und fiel mir buchstäblich
in den Schoß. Sie tat bei dieser Annäherung einen
komisch-entsetzten Schrei, sprang sofort hastig auf und
stand gleich wieder auf ihren hohen, schlanken Beinen,
die einen Augenblick lang auf meinen Knien hilflos
zappelnd einen Lalt gesucht hatten. Stammelte dann,
schon in der Tür stehend, eine mehr spöttische als ver-
legene Entschuldigung und nahm meine Versicherung,
daß ich mich auf die Wiederholung eines so netten
Verkehrsunfalls riesig freuen würde, mit einem auf-
reizenden Lächeln zur Kenntnis. „Das sollte Ihnen so
gefallen. Sie Ekel," ließ sie mich mit nicht ganz über-
zeugender Entrüstung abblitzen und stieg dann hastig aus.
And das „Ekel" war denn auch tatsächlich nicht so
ganz ernst gemeint gewesen, denn wir wurden gute
Freunde. Einen ganzen Sommer lang währte diese
Freundschaft, und es bedurfte in dieser Zeit keiner in
einer scharfen Kurve bockenden Straßenbahn, um Lilly
anschmiegsam werden zu lassen. Bis dann eines Tages
alles aus war ....
Wie es damals zum Bruch gekommen ist, soll hier
nicht erzählt werden. Vielleicht hielt etwas wie Angst
mich ab, die Fahrtgemeinschaft mit Lilly zu einer Ge-
meinschaft fürs Leben werden zu lasten. Möglicherweise
war es auch nur das in irgendeiner zu letzter Offenheit verführen-
den Stunde von Lilly abgelegte Geständnis, daß damals die „An-
näherung" in der Straßenbahn nicht zustande gekommen wäre, wenn
sie nicht selbst den von höherer Gewalt ihr gegebenen Anstoß durch
einen zusätzlichen freiwilligen Schwung verstärkt hätte .... Jeden-
falls mutz mich allmählich eine unheimliche Furcht vor allzuviel
Glück gepackt haben, und ich ergriff die Flucht. Es wurde kein
leichter Verzicht, aber wie über allem wuchs auch über der Lerzens-
geschichte mit Lilly langsam Gras.
„Den Weg zum Lasen sucht sie. Schaut sie euch genau an, die englische
Miß; die wirds hier bald nicht mehr geben!"
Nun traf ich, als ich neulich nach Jahren heimkehrte, meinen
alten Freund Anton wieder, und die Freude des Wiedersehens war
auf beiden Seiten groß und echt. Natürlich müsse ich ihn besuchen,
erklärte Anton. Es gehe ihm wirtschaftlich gut, sehr gut sogar, und
nebenher sei er glücklicher Ehemann. Das Wasser solle mir altem
Lagestolz im Munde zusammenlaufen, wenn ich Zeuge von so viel
Glück würde. And seine Frau werde sich bestimmt freuen, mich
kennen zu lernen.
So nahm ich denn die herzliche Einladung an und stellte
mich zur ausgemachten Stunde ein. Die Frau des Laufes
öffnete mir, und wahrhaftig: Das war ja — Lilly. Ein
Glück, daß im nämlichen Augenblick Anton hinzukam und
uns mit lärmender Lerzlichkeit so umständlich bekannt machte,
daß es uns nicht schwer fiel, unsere Fassung zurückzuge-
winnen.
Es wurde dann ein famoser Abend, den kein Mitzklang
störte. Anton bestand sogar in vorgerückter Stunde darauf,
daß Lilly und ich Schmollis tränken, — und es ließ sich
nicht gut vermeiden, daß wir uns seinem Wunsche fügten.
Nur einmal war eine peinliche Situation zu überbrücken.
Als nämlich Anton in eine elegische Stimmung geriet und
mit ehrlicher Betrübnis erzählte, daß den Gleisverlegungen
der Straßenbahn nun auch die scharfe Kurve hinterm Bahn-
hof zum Opfer gefallen sei. „Du mußt nämlich wissen,"
erklärte er zu mir gewandt, „daß in dieser Kurve mir das
Glück in der Gestalt meiner Lilly buchstäblich in den Schoß
gefallen ist."
Einen Augenblick sitzt Lilly wie entgeistert da, dann
lacht sie plötzlich ihr mir so vertrautes, ein wenig spöttisches
Lachen. And ich lache mit, und als Anton das Glas erhebt,
stoßen wir fröhlich an: Auf den schönen Abend, auf die
Kurve und auf den Zufall, der uns bisweilen das Glück
geradezu in den Schoß wirft.
Zn der Schaubude
„Was für einen herrlichen Pelz Sie haben, Frau Puppell"
„Ja, den habe ich mir aber auch geradezu abhungern müssen."
„Da sollten Sie noch an eine andere schöne Anschaffung denken."
„Le. Sie, auf dem Plakat steht, daß die Riesenschlange
vom Kopf bis zum Schwanz acht Meter mißt — wo fängt
der Schwanz denn eigentlich an?"
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Den Weg zum Hafen sucht sie" "Was für einen herrlichen Pelz Sie haben, Frau Puppel!"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1941
Entstehungsdatum (normiert)
1936 - 1946
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 194.1941, Nr. 4985, S. 75
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg