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Das Kreuzworträtsel
LumoreSke von Eduard Franz
Der Zug der Lokalbahn bimmelte durch die Landschaft.
In einem Abteil dritter Klasse saß ein Bäuerlein, das über seinem
Korb eingeschlafen war und regelmäßige Schnarchgeräusche von sich
gab. Ihm gegenüber hatte eine alte Dame Platz genommen, die in
einem fort ihr Schoßhündchen streichelte, und neben ihr saß der Soldat
Leinz Kunz und langweilte sich.
Eben war der Zug wieder in eine Station eingefahren, da wurde
die Tür des Abteils aufgerissen, eine blonde
junge Dame trat herein und setzte sich neben
den Soldaten.
Leinz war sofort besserer Laune, rückte
seine Uniform zurecht, straffte die Brust und
blickte das Mädchen an.
Es hatte dem Soldaten einen prüfenden
Blick zugeworfen und sich dann in die Lektüre
der illustrierten Zeitung „Sonnenschein am
Sonntagmorgen" vertieft. So hatte Leinz
reichlich Muße, seine Nachbarin eingehend zu
betrachten.
Sie trug einen entzückend frechen Lut auf
dem von blonden Locken umrahmten Köpfchen,
ein blaues Kostüm, das sich eng um ihren
schlanken Körper schmiegte, und hatte Beine,
bei deren Anblick Leinz verschämt die Augen
schloß . . .
Die junge Dame griff plötzlich nach ihrem
Landtäschchen, kramte in dessen unergründ-
lichen Tiefen und zog dann einen Bleistift
hervor, mit dem sie das Kreuzworträtsel, das
sich auf der letzten Seite des „Sonnenschein
am Sonntagmorgen" befand, zu lösen begann.
Lösen ist fast schon zu viel gesagt, denn
der Bleistift in ihrer Land kritzelte allerlei
unleserliche Worte in die weißen Felder des
Rätsels, strich sie dann wieder ab und blieb
— nachdem der kleine Mund der jungen Dame
einen Seufzer ausgestoßen hatte — schließlich
unbenutzt auf dem Schoß liegen.
„Darf ich Ihnen vielleicht helfen?" fragte
Leinz.
„Oh, bitte! Allein komme ich sowieso nicht
weiter."
Leinz beugte sich über das Zeitungsblatt,
daß er beinahe die blonden Locken des Mäd-
chens streifte. „Deutscher Fluß mit fünf Buch-
staben? Schreiben Sie ,Rhein' hin, mein
Fräulein."
182
„Du wolltest doch immer,daß dein Schneiden
Neid wie angegossen fitzt, Erna!"
Die junge Dame tat es sichtlich erleichtert.
„Bedeutender Politiker? Das kann nur Bismarck sein!"
Wieder setzte sich der Bleistift des Mädchens in Tätigkeit.
Leinz glänzte mit seinem Wissen. Er wußte einfach alles: den
Astrologen Wallensteins, die Namen mehrerer Päpste, die Laupt-
stadt Turkestans, den Vornamen Edisons. die Geliebte des Zeus
und die nördlichste Stadt der Welt.
„Das hätte ich allein nie zustande gebracht!"
sagte die junge Dame bewundernd, als das
Kreuzworträtsel gelöst war. „Und Sie schüt-
teln das alles förmlich aus dem Aermel!"
„Ach!" machte Leinz bescheiden. „Das ist
Talent. Ich habe schon als fünfjähriger Junge
mehr gewußt als mein Großvater."
Mittlerweile war die alte Dame im Abteil
eingeschlafen. So konnte Leinz Kunze mit dem
Mädchen nach Lerzenslust plaudern. Als der
Zug schließlich in der Endstation des Bähnchens
angelangt war, sagte Leinz, der soeben
erfahren hatte, daß seine Nachbarin ihren
Urlaub in dem Marktflecken verbringen wollte:
„Das trifft sich wunderbar, mein Fräulein,
genau die gleiche Absicht habe ich nämlich auch.
And wo steigen Sie ab, wenn ich fragen darf?"
„Im Lotel zur Post."
„Fabelhaft! Dort werde auch ich wohnen!"
gab Leinz zur Antwort, obwohl er ursprünglich
ein Zimmer im „Grünen Lirschen" bestellt hatte.
Und dann wanderten sie gemeinsam zum
Lotel zur Post. Leinz durfte die Koffer tragen,
dem Mädchen die Gegend erklären, Blumen
kaufen, einen Imbiß bestellen, kurz: Leinz war
im Glück, und das alles hatte er dem Kreuz-
worträtsel zu verdanken, das das Mädchen
allein nicht zu lösen vermocht hatte.
Als im Lotel zur Post die junge Dame
nach oben gegangen war, bestach Leinz den
Portier mit einem guten Trinkgeld und fragte:
„Wissen Sie den Namen der jungen Dame?"
„Ja, freilich," beruhigte ihn der gute Mann.
„Das Fräulein heißt Susi Pick und ist aus Wien.
Sie kommt jedes Jahr zu uns auf Urlaub."
„Und Ihren Beruf, wissen Sie den viel-
leicht auch?"
„Jawohl, mein Lerr, sie macht immer die
interessanten Kreuzworttätsel im /Sonnen-
schein am Sonntagmorgen'l"
Das Kreuzworträtsel
LumoreSke von Eduard Franz
Der Zug der Lokalbahn bimmelte durch die Landschaft.
In einem Abteil dritter Klasse saß ein Bäuerlein, das über seinem
Korb eingeschlafen war und regelmäßige Schnarchgeräusche von sich
gab. Ihm gegenüber hatte eine alte Dame Platz genommen, die in
einem fort ihr Schoßhündchen streichelte, und neben ihr saß der Soldat
Leinz Kunz und langweilte sich.
Eben war der Zug wieder in eine Station eingefahren, da wurde
die Tür des Abteils aufgerissen, eine blonde
junge Dame trat herein und setzte sich neben
den Soldaten.
Leinz war sofort besserer Laune, rückte
seine Uniform zurecht, straffte die Brust und
blickte das Mädchen an.
Es hatte dem Soldaten einen prüfenden
Blick zugeworfen und sich dann in die Lektüre
der illustrierten Zeitung „Sonnenschein am
Sonntagmorgen" vertieft. So hatte Leinz
reichlich Muße, seine Nachbarin eingehend zu
betrachten.
Sie trug einen entzückend frechen Lut auf
dem von blonden Locken umrahmten Köpfchen,
ein blaues Kostüm, das sich eng um ihren
schlanken Körper schmiegte, und hatte Beine,
bei deren Anblick Leinz verschämt die Augen
schloß . . .
Die junge Dame griff plötzlich nach ihrem
Landtäschchen, kramte in dessen unergründ-
lichen Tiefen und zog dann einen Bleistift
hervor, mit dem sie das Kreuzworträtsel, das
sich auf der letzten Seite des „Sonnenschein
am Sonntagmorgen" befand, zu lösen begann.
Lösen ist fast schon zu viel gesagt, denn
der Bleistift in ihrer Land kritzelte allerlei
unleserliche Worte in die weißen Felder des
Rätsels, strich sie dann wieder ab und blieb
— nachdem der kleine Mund der jungen Dame
einen Seufzer ausgestoßen hatte — schließlich
unbenutzt auf dem Schoß liegen.
„Darf ich Ihnen vielleicht helfen?" fragte
Leinz.
„Oh, bitte! Allein komme ich sowieso nicht
weiter."
Leinz beugte sich über das Zeitungsblatt,
daß er beinahe die blonden Locken des Mäd-
chens streifte. „Deutscher Fluß mit fünf Buch-
staben? Schreiben Sie ,Rhein' hin, mein
Fräulein."
182
„Du wolltest doch immer,daß dein Schneiden
Neid wie angegossen fitzt, Erna!"
Die junge Dame tat es sichtlich erleichtert.
„Bedeutender Politiker? Das kann nur Bismarck sein!"
Wieder setzte sich der Bleistift des Mädchens in Tätigkeit.
Leinz glänzte mit seinem Wissen. Er wußte einfach alles: den
Astrologen Wallensteins, die Namen mehrerer Päpste, die Laupt-
stadt Turkestans, den Vornamen Edisons. die Geliebte des Zeus
und die nördlichste Stadt der Welt.
„Das hätte ich allein nie zustande gebracht!"
sagte die junge Dame bewundernd, als das
Kreuzworträtsel gelöst war. „Und Sie schüt-
teln das alles förmlich aus dem Aermel!"
„Ach!" machte Leinz bescheiden. „Das ist
Talent. Ich habe schon als fünfjähriger Junge
mehr gewußt als mein Großvater."
Mittlerweile war die alte Dame im Abteil
eingeschlafen. So konnte Leinz Kunze mit dem
Mädchen nach Lerzenslust plaudern. Als der
Zug schließlich in der Endstation des Bähnchens
angelangt war, sagte Leinz, der soeben
erfahren hatte, daß seine Nachbarin ihren
Urlaub in dem Marktflecken verbringen wollte:
„Das trifft sich wunderbar, mein Fräulein,
genau die gleiche Absicht habe ich nämlich auch.
And wo steigen Sie ab, wenn ich fragen darf?"
„Im Lotel zur Post."
„Fabelhaft! Dort werde auch ich wohnen!"
gab Leinz zur Antwort, obwohl er ursprünglich
ein Zimmer im „Grünen Lirschen" bestellt hatte.
Und dann wanderten sie gemeinsam zum
Lotel zur Post. Leinz durfte die Koffer tragen,
dem Mädchen die Gegend erklären, Blumen
kaufen, einen Imbiß bestellen, kurz: Leinz war
im Glück, und das alles hatte er dem Kreuz-
worträtsel zu verdanken, das das Mädchen
allein nicht zu lösen vermocht hatte.
Als im Lotel zur Post die junge Dame
nach oben gegangen war, bestach Leinz den
Portier mit einem guten Trinkgeld und fragte:
„Wissen Sie den Namen der jungen Dame?"
„Ja, freilich," beruhigte ihn der gute Mann.
„Das Fräulein heißt Susi Pick und ist aus Wien.
Sie kommt jedes Jahr zu uns auf Urlaub."
„Und Ihren Beruf, wissen Sie den viel-
leicht auch?"
„Jawohl, mein Lerr, sie macht immer die
interessanten Kreuzworttätsel im /Sonnen-
schein am Sonntagmorgen'l"
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Du wolltest doch immer, daß dein Schneiderkleid wie angegossen sitzt, Erna!"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1941
Entstehungsdatum (normiert)
1936 - 1946
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 194.1941, Nr. 4994, S. 182
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg