Fliegende Blätter (194.1941 (Nr. 4979-5004) = 97. Jahrg.)

Weltreichs-Konferenz

Frisch gestrichen!

Frau Wolpert ärgert sich über Lottchen statt Charlotte. „Char-
lottes Kleid ist ruiniert!" sagt sie scharf. „Ich habe es erst gestern
gekauft. ES hat 12 Mark gekostet. Die müssen Sie bezahlen."

„Ja ja, die werden Sie wohl bezahlen müssen," hinkt Albert
Wolpert nach.

Seine Gattin ärgert sich nun über das eingeschobene „wohl".
„Natürlich muß Lerr^Bastian bezahlen. Das ist doch keine Frage."

Jetzt rührt sich Bastian. „Mir scheint es keine Frage, daß ich
das nicht bezahlen muß," erklärt er, aber ganz gemütlich. „Warum
sollte ich das denn bezahlen?"

„Weil Sie fahrlässig gehandelt haben," behauptet Frau Wolpert.
„Man läßt nicht eine frisch gestrichene Bank unbeaufsichtigt stehe»,
ohne wenigstens eine Warnung anzubringen. Und das wissen Sie
sehr wohl. Da haben Sie ja die Warnung, aber jetzt ist es zu spät."

„Ja ja, jetzt ist es zu spät!" wiederholt Albert Wolpert.

„Erlauben Sie, meine Lerrschasten!" sagt Bastian, immer noch
gemütlich. „Erstens: Dies ist mein Vorgarten, in dem ja niemand
was zu suchen hat. Zweitens: Das Schild,Frisch gestrichen!" ist also
eigentlich unnötig, und ich bringe es nur zum Aeberfluß an. And
drittens: Selbst wenn ich das Schild bereits angebracht hätte, dann
würde —-"

Aber Frau Wolpert will das dritte Argument gar nicht hören.
Sie unterbricht Bastian: „Wir wissen, daß dies Ihr Vorgarten ist,
Lerr Bastian, aber Sie hätten bedenken müssen, daß Kinder überall
herumlaufen."

„Ja ja, das hätten Sie bedenken müssen," sekundiert Albert Wolpert.

„And deshalb hätten Sie wenigstens das Schild da rechtzeitig
anbringen müssen. Sie kommen nicht darum herum, Lerr Bastian:
das Schild ,Frisch gestrichen!" hat gefehlt. Das ist Ihre Schuld, und
di« Folgen müssen Sie jetzt tragen."

„Ja ja, die Folgen müsse» Sie jetzt tragen," murmelt Albert
Wolpert.

„Bitte uin einen Augenblick Geduld, meine Lerrschasten!" sagt
Bastian und verschwindet im Lause.

„Er holt das Geld," meint Albert Wolpert hoffnungsvoll.

Die Gattin zweifelt. „Na, ich weiß nicht. Er hat so merkwürdig
gegrinst."

Bastian grinst noch, als er wieder ankommt. Er hat einen zweiten
Pappdeckel, ganz ähnlich dem ersten. ,-Kucke mal her, Lottchen!"
sagt er schmeichelnd und hält ihr den Pappdeckel vor die Nase.
Darauf steht: Willst du Bonbons, Lottchen?

Charlotte stiert den Pappdeckel ohne Spur von Verständnis an,
was durchaus nicht zu beanstanden ist.

„Lassen Sie doch solche Späße, Lerr Bastian!" sagt Frau Wolpert.
„Es ist doch klar, daß Charlotte noch nicht lesen kann."

„Natürlich kann sie noch nicht lesen," bestätigt Albert Wolpert.

Bastians Grinsen geht wieder in ein gemütliches Lächeln über.
„Das ist mir auch klar, nieine Lerrschasten. Deshalb wollte ich vor-
hin sagen: And drittens — selbst wen» ich die von Ihnen geforderte
Warnung bereits angebracht gehabt hätte, dann hätte Lottchen sie
ja doch nicht beachtet, weil sie das eben nicht hätte lesen können.
Sie wäre also trotzdem auf die Bank geklettert. Guten Morgen,
meine Lerrschasten I"

Wolperts ziehen ab. Albert Wolpert muß das Läuschen, die
Villa, wieder aufschließen, damit Charlotte ein anderes, aber altes
Kleid angezogen werden kann.

Bastian aber holt Farbtopf und Pinsel, um den Anstrich seiner
Bank wieder auszubesser». Lottchen, nämlich Charlotte, tut ihm da-
bei doch etwas leid.

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