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„Was, Mutti, Füße waschen? Das besorgen doch hier die Kühe,
und es ist viel lustiger!"

Wo ist die Ostsee?

befinden. Es ist aber nicht die Endstation; der Autobus fährt noch
weiter, die Hauptstraße hinaus nach dem nächsten Ort. Die Straße
erreicht dann bald einen großen Binnensee, an dem sie sich entlang-
zieht; von der Ostsee ist sie durch die mit Kiefern bestandene Neh-
rung getrennt. Sie hat einige Querstraßen, die also alle nach Norden
und an den Strand führen. Auch ohne Karte wird sich jeder einiger-
maßen verständige Fremde gleich darüber klar werden.

Es war an einem sehr heißen Tage vormittags gegen ll Ahr.
Zufällig.kam ich an die Laltestelle, als gerade der Autobus anlangte,
der um diese Stunde nur wenige Fahrgäste mitbringt und fast nie
Fremde. Es stiegen auch nur ein paar Leute aus, die wohl Geschäfte
im Ort hatten und gleich verschwanden. Aber dann kletterte doch
eine Familie mit Gepäck heraus: ein Ehepaar mit zwei Jungen und
einem kleinen Mädchen, ein vermutlicher Großpapa und eine ältere
Dame, die wohl den Rang einer Tante einnahm. Die beiden alten
Leute trugen kleine Koffer, die anderen hatten ihren Kram in schweren
Rucksäcken bei sich.

So, da standen nun diese Plejaden, dieses Siebengestirn, und
sahen sich um. Der Autobus fuhr weiter. Die Straße war leer: die
Einheimischen hatten in ihren Läufern zu tun, und die Badegäste
waren am Strande. Nur ich stand da, von einer kleinen Neugier
aufgehalten, und tat, als studierte ich den dort ausgehängten Fahr-
plan der Motorpost. And ich trug einen Bademantel über dem Arm.

„Na, da wären wir ja nun glücklich!" stellte der Familienvater
fest, ein gedrungener Mann mit einem merkwürdig großen, aber
mit allzu kleinen, eigensinnig blickenden Augen ausgerüstetem Gesicht.

„Wir wollen an die See, Vater!" schrien die beiden Jungen.
„Wir wollen an die See!"

„Aber ja, Iungens! Brüllt doch nicht so!" mahnte der Vater.
„Gleich gehen wir hin; das haben wir uns ja vorgenommen."

Dem, Großpapa schien das nicht recht zu sein. „Albert, wollen
wir nicht doch erst die Sachen ablegen?" Er mochte wohl sein Köffer-
chen nicht mehr tragen.

Albert — nun wußte ich seinen Vornamen — lehnte ab. „I wo,
das hat Zeit bis zum Abend. Wer wird jetzt in 'ne stickige Stube
gehn! Nee, wir legen uns jetzt an den Strand, ganz lang legen wir
uns hin. Aber wo is nu die Ostsee? Kinder, wo is die Ostsee?"

Nun hätte ich sagen können: „Gehen Sie da links die Straße
hinunter! Dann sind Sie in zwei Minuten da." Aber ich wollte mich
nicht aufdrängen; Albert sah mich ja, er konnte mich fragen. And
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um ihm das zu ermöglichen, ging ich
zunächst ganz langsam ab, mit kleinen
Schritten — die Lauptstraße entlang,
wo in der Ferne jetzt der Autobus ver-
schwand. Albert schienen meine Schritte
maßgebend. „So, Kinder! Lier müssen
wir gehn!" befahl er, und das Sieben-
gestirn folgte mir. Der Großpapa frei-
lich brummte, und auch die Tante war
nicht ganz zufrieden. „Man sollte sich
nach solcher Fahrt doch erst mal waschen,
Ernestine," meinte sie spitz zu Alberts
Gattin. „Das kannst du ja gleich an der
See; da hast du Wasser genug," sagte
Ernestine. Sie war mit Alberts Dispo-
sition ganz einverstanden, hatte aber ein
Bedenken. „Gehen wir auch richtig
Albert? Frage doch lieber mal!"

Albert war ungnädig. „Ach was —
frage»! Als wenn inan selber zu dumm
ist! Daß dies der Weg nach der See
ist, siehst du doch. Da — der Olle geht
doch baden!"

Oho — der Olle war ich! Albert
bereitete mir Verdruß. Aber nicht, weil
er mich „den Ollen" genannt hatte. Nein,
solche subjektive Empfindung lag mir
durchaus fern; mich verdroß vielmehr die
objektive Feststellung eines mehr als zulässigen Mangels an Aeber-
legung und Beobachtung. Albert hatte meinen Bademantel gesehen und
daraus geschlossen, daß ich auf dem Wege nach dem Strande wäre,
um zu baden. Welche kümmerliche Logik, daß jemand, der einen
Bademantel über dem Arm trägt, nun baden gehe! Ebensogut mag
er ja vom Baden kommen. Oder er trägt den Bademantel zum
Waschen fort oder zur Ausbesserung. Oder es ist gar nicht sein
Bademantel; er hat ihn geliehen und bringt ihn jetzt dem Eigentümer
zurück. Alle diese und noch andere Möglichkeiten wird doch ein ver-
ständiger Mensch nicht außer acht lassen. Albert war also kein ver-
ständiger Mensch, und deshalb wurde er mir jetzt unsympathisch. Er
kümmerte sich auch nicht um die Sonne, die doch hoch am Limmel
stand und seinen gar nicht nachdenkenden Kopf beschien. Soviel hätte
er von der Gegend, durch die er jetzt seine Karawane führen wollte,
doch wissen müssen, um sich zu sagen, daß er die Sonne nur im
Rücken zu behalten und dann den nächsten gradeaus führenden Weg
entlang zu marschieren brauchte. And auch den Autobus hatte er
nicht beachtet und gerade die Straße gewählt, auf der dieses Gefährt
verschwunden war, das doch wohl nicht in die See fahren und nach
Schweden schwimmen sollte. Albert war ein Idiot; es geschah ihm
ganz recht, wenn er sich jetzt an meine Sohlen heftete. Seine sechs
Leute taten mir zwar leid, aber schließlich — Dummheiten eines
Oberhaupts müssen gebüßt werden.

Ich ging nun etwas schneller. Eigentlich hatte ich diesen Weg
nicht beabsichtigt, aber ich konnte mir ja mit einem tüchtigen Spa-
ziergang Appetit zum Mittagessen machen. Albert und die Seinen
folgten mir getreulich, und sie wären mir wie Schafe vorgekommen,
wenn ich mir selbst dann nicht die Rolle des Leithammels hätte zu-
teilen müssen. Leicht fiel ihnen die Wanderung wohl nicht; sie waren
ja noch vollkommen stadtmäßig angezogen und schwitzten jedenfalls
erbärmlich. Die Kinder waren ungeduldig. Die Jungen plärrten:
„Wo ist die Ostsee?" und der Vater beruhigte sie: „Gleich sind wir
da, Iungens! Nur noch ein Stückchen!" Das war, da er ja selbst
nicht Bescheid wußte, eine unkluge Zusage, aber die dummen Leute
geben ja gerade dann, wenn sie nicht Bescheid wissen, gern ver-
heißungsvolle Versicherungen ab.

Wir waren nun schon ein tüchtiges Stück aus dem Orte heraus,
und die einsame Straße zog sich jetzt näher an den erwähnten großen
Binnensee heran. Ernestine sah zuerst das Wasser zwischen den
Bäumen blinken. „Ach, da ist ja die Ostsee, Gilbert!" rief sie. „Nu
kucke doch das Wasser!"
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Was, Mutti, Füße waschen?"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Mauder, Josef
Entstehungsdatum
um 1941
Entstehungsdatum (normiert)
1936 - 1946
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 195.1941, Nr. 5009, S. 68

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Erschließung

Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
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