Fliegende Blätter (195.1941 (Nr. 5005-5030) = 97. Jahrg.)

Morgenröte in der Sowjetunion

Als jene roten Herrscher einst
Im Kreml ihr Regiment begannen —
Was war es, das sie unumschränkt
Für ihr Beglückungswerk gewannen?

Ein weites, ungeheures Land,

Dem die Natur so viel bescherte,
Daß es bei Fleiß und Ordnung leicht
Der Menschen zehnfach mehr ernährte;
Ein Land, an Bodenschätzen reich,
An Erz und köstlichen Metallen,
Dem für der Güter Tausch darum
Ein günstig Schicksal zugefallen;
Dazu ein Volk, gesund und stark,
Geduldig und nicht schwer zu
lenken —

Was konnte diesem Lande doch
Die Sorge guter Herrschaft schenken!

Was aber wurde nun daraus
In dreiundzwanzig Leidensjahren?
Nur schlimmstes Unheil hat das
Land,

Bedrückung nur und Not erfahren.
Der Hunger herrscht. Den Aeckern
fehlt

Die Mühe ihrer einst’gen Bauern,
Und in den Städten darf die Not
Auf immer neue Opfer lauern.
Und was vom künftigen Geschlecht
Heranwächst, kennt kein junges
Streben,

Wird tückisch der Verdorbenheit
Und irrem Wahne preisgegeben.
Doch jene Alten, die gewohnt,

Daß man nach bessern Zielen trachtet
Und edlen Pflichten dienen soll —
Sie wurden alle hingeschlachtet.

Sie aber, deren Werk dies ist,

Die roten Herren Rußlands schreien
Noch frech dazu hinaus, es sei
Ein Paradies jetzt im Gedeihen,
Und möchten noch die ganze Welt
Nach diesem Beispiel umgestalten.
Das ist nun aus! Europa hört,

Wie deutsche Siegsfanfaren schallten;

Es sieht, vom bösen Alb befreit,
Ein Strafgericht sich jetzt vollziehen.
Ein neuer Tag bricht Rußland an,
Und Moskaus Nachtgespenster
fliehen. -on.

Vorbedingung

Iwan Iwanowilsch Pererepenko hat schon die Mitte
der Siebzig hinter sich; seine Frau, die Gortschina, ist
ein wenig jünger. Früher einmal — o, wie lange
ist das Herl — waren sie ganz behaglich lebende Klein-
bürger, aber dann kamen die langen Jahre des Elends,
und sie könnten eigentlich kaum erklären, wiesle es trotz
allem fertiggebracht haben, doch hindurchzukommen.
„Nun, wir leben ja noch, mein Täubchen, wenn es
auch nie mehr ein rechtes Leben getvesen ist," pflegt
Iwan Iwanowilsch zu sagen.

Sie Hausen draußen in der Vorstadt in einem
jämmerlich heruntergekommenen Häuschen; es ist zu
entlegen, sonst hätte man sie wohl schon längst hinaus-
gesetzt. Früher, in der guten alten Zeit, war es ein
freundliches Quartier, und die Wohnstube war bei-
nahe prächtig. Da hingen auch die Heiligenbilder,
die eines Tages die Gortschina weinend hat abneh-
men müssen. Aber sie hat sie versteckt, so gut ver-
borgen, daß niemand sie finden wird. Iwan Iwano-
witsch weiß das, aber das Versteck will er nicht
kennen. Er ist vorsichtig geworden.

Nun ist Krieg, und allerlei Gerüchte werden
flüsternd weitergegeben, und manche Hoffnungen
werden wach. Die Gortschina denkt an das Versteck
mit den Ikonen, und ihre Augen glänzen. „Ach,
Väterchen, nun werden wir es vielleicht doch noch
erleben," sagt sie. „Wir werden unsere lieben Hei-
lige» wieder aufhängen."

„Still!" brummt Iwan Iwanowilsch Pererepenko.
„Erst müssen unsere Unheiligen aufgehängt werden."

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