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Das Mittel

Von Ralph ürban (Feldw. !Irbanetz>.

Es war nach Geschäftsschluß, und Lilde be-
fand sich auf der Leimfahrt. Sie stand im voll-
besetzten Autobus dicht an einen Lerrn ge-
drängt. Dem jungen Mann schien dies nicht
unangenehm zu sein, denn er unternahm nicht
den leisesten Versuch, sich mehr Bewegungs-
freiheit zu schaffen. Außerdem merkte Lilde,
wie sein Blick dauernd und wohlgefällig in
ihrem Gesicht spazieren ging.

„Wie kann man nur," flüsterte ihr plötzlich
der Nachbar ins Ohr, „wie kann man nur so
schrecklich hübsch sein?"

Lilde hielt unwillkürlich den Atem an, denn
so eine Frechheit war ihr noch nicht unterge-
kommen. Dann zog sie die Brauen ganz hoch
und sah mit eiskalter Verachtung durch den
jungen Mann hindurch.

„Der Blick war streng, aber gerecht,"
flüsterte der Lerr weiter, „doch mit den Augen
der Liebe steht man alles ganz anders. Daher
bitte ich um dreierlei: erstens, mich mit dem
Namen Wolfgang Koller vorstellen zu dürfen,
zweitens um die Gelegenheit, Ihre reizende
Bekanntschaft zu machen, und drittens —Au!"

Das „Au" kam daher, daß Lilde bei ihrem
brüsken Drang dem Ausgang zu ihm auf den
Fuß getreten war. Aebrigens war sie sowieso
schon am Ziel. Sobald sie das Straßenpflaster
unter sich hatte, seufzte sie tief die kühle Luft
ein, schüttelte das Laupt und eilte heim-
wärts —.

„And drittens," erklang eine Stimme neben
ihr, „bitte ich Sie um die Erlaubnis, Sie
nach Lause begleiten zu dürfen."

„Drittens," sagte Lilde vor sich hin,
„drittens bin ich schon zu Lause. Zweitens
lege ich keinen gesteigerten Wert auf Ihre
Bekanntschaft, zumal ich prinzipiell keine
Stratzenbekanntschaften mache. And erstens
langweilen Sie mich fürchterlich."

„Das kann anders werden," meinte Lerr
Koller. „Außerdem handelt es sich in unserm
Fall nicht um eine Bekanntschaft auf der
Straße, sondern im Autobus. And da morgen
Sonnabend ist, werde ich mir gestatten. Sie
um vier Ahr nachmittags hier vor dem Laus
zu erwarten."

„Sie werden alt werden," sagte Lilde und
schloß die Laustür auf.

„Ich werde dreimal hupen!" rief ihr der
junge Mann nach. Dann knallte das Tor ins
Schloß. Lilde stieg langsam die Treppe zur
elterlichen Wohnung hoch. Wenn er hupt,
so dachte sie dabei, dann hat er ein Auto.
And wenn er heute ein Auto hat, dann hat er auch
einen roten Winkel. And wenn er einen roten
Winkel hat, dann hat er auch eine bedeutende
Stellung. Schade, daß er so ein Frechdachs
ist. Ich werde natürlich auf keinen Fall hinunter-
kommen.

Am nächsten Nachmittag saß Lilde mit der
Mutter und den Geschwistern beim Kaffee.
Ab und zu schielte sie nach der Wanduhr, deren
Zeiger der vierten Stunde immer näherrückten.

Ein vergessener
Dichter

Im Städtchen Pumpelberg. da steht
Ein Denkmal aus vergangnen Jahren,
Doch welcher Mann dadurch geehrt.
Ist nicht so leicht mehr zu erfahren.
Man liest ein großes A, ein B —,
Die andern Leitern sind verschwunden.
Erst aus verstaubter Chronik war
Das Nähere noch zu erkunden.

Als Pumpelberg noch Fürstentum
Und eine Residenz die Stadt war.
Da lebte Adam Bunkel dort.

Der ein Poet und selten satt war.

Er war begabt mebr fürs Idyll,
Doch als dann Krlegeswolken drohten.
Versuchte er ln Versen sich,

Dle, wie er meinte, mächtig lohten.

Der Fürst von Pumpelberg geriet
Mit seinem Nachbarn sehr lnS Streiten/
Das war der Fürst von Hohensack.
Man rüstete auf beiden Setten,
Doch ging daS damals nicht so schnell/
Die Sache zog sich in dle Länge.

Der Dichter Adam Bunkel schrieb
Inzwischen viele Kriegsgesänge.

Er brachte sie dem Fürsten dar.

Der, ohne viel hinein zu gucken.
War sehr erfreut und gab Befehl,
Die Kriegsgesänge gleich zu drucken.

Das ganze Pumpelberger Heer
Ward mit den Bändchen ausgerüstet.
Damit durch Macht der Poesie
Die Krieger es nach Ruhm gelüstet.

Der Krieg brach auS. Für Pumpelberg
Ward er zum schrecklichen Verhängnis,
Denn seine Streitmacht kam gar bald
Ganz unvermutet in Bedrängnis:
Der Feind nahm sie ln dunkler Nacht
Durch einen Uebcrfall gefangen.

So könnt' der Fürst von Hohensack
Zu pumpelbergS Besitz gelangen.

Wie ist denn aber möglich nur
So glatter Ueberfall gewesen?

Dle Krieger, folgend dem Befehl,
Sie hatten vorher noch gelesen
In Adam Bunkels Poesien,

Und dabei waren all die Braven,
Weil sie das sehr gelangweilt hat.
Allmählich feste eingeschlafen.

Der Fürst von Hohensack, nunmehr
Auch Herr in Pumpelberg geworden.
Hat das dem Dichter sehr gelohnt:
Er gab ihm einen schönen Orden,
Mit dem ein Iahrgehalt verknüpft.
Zunächst zwar schien das etwas peinlich
Für Bunkel, aber bald empfand
Er die Bedenken doch als kleinlich.

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Ein vergessener Dichter"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
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Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Claus, Martin
Entstehungsdatum
um 1941
Entstehungsdatum (normiert)
1936 - 1946
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 195.1941, Nr. 5010, S. 85

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