Der Hundebiß
Von Alfred Richter
Lerr Kröpflein hatte den Laden der Witwe Wamp übernommen.
Vorgestern erst war er eingezogen. Er kannte seine Kunden, er kannte
Ort und Leute noch nicht. Lerr Kröpflein hatte ewige Furcht vor
Einbrechern. Daruin hatte er in das halbläudliche Anwesen sicb einen
riesigen Lund mitgebracht.
Ein neuer Lund im kleinen Ort war eine vielleicht nicht kleinere
Wichtigkeit als der neue Krämer selber, wenigstens für die Buben.
Bei einem Lund, den man zum erstenmal sieht, muß man unbe-
dingt probieren, was er tut, wenn man ihn starr anschaut und recht
überraschend „wau!" macht. Dieses Experiment wurde auch mit
Lerr» Kröpfleins Lund vorgenommen. Es mußte sein. Der stille
Knabenkomment des Ortes verlangte es.
Die Folge war, daß am nächsten Morgen, als sich Kunden noch
nicht blicken ließen, in Lerrn Kröpflcins Laden sich ein Mann einfand,
der genau so aussah, wie Lerr Kröpflein in Märchenbüchern seiner
Jugend den Riesen Rübezahl abgebildet gesehen hatte. Jener Rübe-
zahl trug als Stecken einen astlosen Baumstamm bei sich, dieser hier
immerhin einen Knüppel, den Lerr Kröpflein, ein Männlein von
bescheidenen Körperkräften, mit einer Land schwerlich hätte über
den Kopf schwingen können.
Diesen Knüppel legte der Mann, der keinen Gruß entäußert, dafür
aber Lerrn Kröpflein, den es dabei kalt überlief, mit Mörderblick
gebannt hatte, auf den Ladentisch und begann mit einer Stimme, die
wie aus einem hohlen Faß klang (vielleicht hatte der Enak noch nicht
gefrühstückk): „Lund hat Jungen gebissen. So, daß er zu Bette liegt!
Iawoll!! Ihr Lund, Sie!"
Lerr Kröpflein erzitterte. „Da—da—da —da," stotterte er,
„wi—wi—wird man den Lu —Hund gereizt haben."
„Gereizt haben?" echote höhnisch, aber mit unzweideutigem Griff
nach dem Knüppel, der Schlagetot, „ist Ihr Lund vielleicht der König
der Straße? Lm?" Er zog ein unbedingt nicht mehr ganz neues
Löserl aus der Rocktasche, hielt es Lerrn Kröpflein so dicht unter
die Rase, daß der zurückwich, und polterte: „Ist sie zerrissen oder
nicht? Wie? Sie ist zerrissen. Von Ihrem Lund! Iawoll, Sie! An-
zeigen muß man so was, einfach anzeigen und gar nicht erst verhau-
deln!" Er schoß einen Ladestreifen voller doppelt mit Pulver gefüllter
Donnerblicke auf den Krämer ab, der noch kleiner geworden war,
als die Natur ihn eh schon gezimmert hatte. „Na," sagte der Zyklop
und stopfte die Lose wieder in die Rocktasche zurück, „abgesehen
von der Lose — das wird eine schöne Doktorrechnung geben!"
Lerr Kröpflein erschrak tief. Der Amzug hatte ihm gerade genug
gekostet, nun kam gleich diese dumme Geschichte mit dem elenden
Köter — mußte das Biest auch gleich so dämlich zubeißen? Lerr
Kröpflein schneuzte sich erst einmal, um Zeit zu gewinnen, und dabei
schielte er auf die haarige Faust, die den Knüppel hielt. Aber wie
atmete er auf und traute kaum seinen Ohren, als der Waldtroll,
oder was er war, auf einmal mit deutlich herabgestimmtem Ton sort-
fuhr: „Will Ihnen einen letzten Vorschlag machen — zahlen Sie
mir fünf Mark 25, und der Fall ist erledigt." Dabei klopfte er be-
kräftigend mit dem Lebebaum auf den Tisch, daß es gleich Einbuch-
tungen gab, was Lerr Kröpflein erschrocken bemerkte. Am so mehr
beeilte er sich, de» verlangten und ja, bei Gott, wirklich nicht erheb-
lichen Betrag — in so einer brenzligen Schadenssache! — der Kasse
zu entnehmen und schleunig hinzuzählen.
Der Förderer steckte die Münzen sorgsam ein, und als sie ver-
staut waren, meinte er ganz gutmütig: „La, mit Ihnen kann man
wenigstens reden. Sie!"
„Loffentlich muß Ihr Junge nun nicht lange liegen!" hauchte
Lerr Kröpflein, ehrlich besorgt.
slnser Paul ist nämlich schwerhörig/
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Von Alfred Richter
Lerr Kröpflein hatte den Laden der Witwe Wamp übernommen.
Vorgestern erst war er eingezogen. Er kannte seine Kunden, er kannte
Ort und Leute noch nicht. Lerr Kröpflein hatte ewige Furcht vor
Einbrechern. Daruin hatte er in das halbläudliche Anwesen sicb einen
riesigen Lund mitgebracht.
Ein neuer Lund im kleinen Ort war eine vielleicht nicht kleinere
Wichtigkeit als der neue Krämer selber, wenigstens für die Buben.
Bei einem Lund, den man zum erstenmal sieht, muß man unbe-
dingt probieren, was er tut, wenn man ihn starr anschaut und recht
überraschend „wau!" macht. Dieses Experiment wurde auch mit
Lerr» Kröpfleins Lund vorgenommen. Es mußte sein. Der stille
Knabenkomment des Ortes verlangte es.
Die Folge war, daß am nächsten Morgen, als sich Kunden noch
nicht blicken ließen, in Lerrn Kröpflcins Laden sich ein Mann einfand,
der genau so aussah, wie Lerr Kröpflein in Märchenbüchern seiner
Jugend den Riesen Rübezahl abgebildet gesehen hatte. Jener Rübe-
zahl trug als Stecken einen astlosen Baumstamm bei sich, dieser hier
immerhin einen Knüppel, den Lerr Kröpflein, ein Männlein von
bescheidenen Körperkräften, mit einer Land schwerlich hätte über
den Kopf schwingen können.
Diesen Knüppel legte der Mann, der keinen Gruß entäußert, dafür
aber Lerrn Kröpflein, den es dabei kalt überlief, mit Mörderblick
gebannt hatte, auf den Ladentisch und begann mit einer Stimme, die
wie aus einem hohlen Faß klang (vielleicht hatte der Enak noch nicht
gefrühstückk): „Lund hat Jungen gebissen. So, daß er zu Bette liegt!
Iawoll!! Ihr Lund, Sie!"
Lerr Kröpflein erzitterte. „Da—da—da —da," stotterte er,
„wi—wi—wird man den Lu —Hund gereizt haben."
„Gereizt haben?" echote höhnisch, aber mit unzweideutigem Griff
nach dem Knüppel, der Schlagetot, „ist Ihr Lund vielleicht der König
der Straße? Lm?" Er zog ein unbedingt nicht mehr ganz neues
Löserl aus der Rocktasche, hielt es Lerrn Kröpflein so dicht unter
die Rase, daß der zurückwich, und polterte: „Ist sie zerrissen oder
nicht? Wie? Sie ist zerrissen. Von Ihrem Lund! Iawoll, Sie! An-
zeigen muß man so was, einfach anzeigen und gar nicht erst verhau-
deln!" Er schoß einen Ladestreifen voller doppelt mit Pulver gefüllter
Donnerblicke auf den Krämer ab, der noch kleiner geworden war,
als die Natur ihn eh schon gezimmert hatte. „Na," sagte der Zyklop
und stopfte die Lose wieder in die Rocktasche zurück, „abgesehen
von der Lose — das wird eine schöne Doktorrechnung geben!"
Lerr Kröpflein erschrak tief. Der Amzug hatte ihm gerade genug
gekostet, nun kam gleich diese dumme Geschichte mit dem elenden
Köter — mußte das Biest auch gleich so dämlich zubeißen? Lerr
Kröpflein schneuzte sich erst einmal, um Zeit zu gewinnen, und dabei
schielte er auf die haarige Faust, die den Knüppel hielt. Aber wie
atmete er auf und traute kaum seinen Ohren, als der Waldtroll,
oder was er war, auf einmal mit deutlich herabgestimmtem Ton sort-
fuhr: „Will Ihnen einen letzten Vorschlag machen — zahlen Sie
mir fünf Mark 25, und der Fall ist erledigt." Dabei klopfte er be-
kräftigend mit dem Lebebaum auf den Tisch, daß es gleich Einbuch-
tungen gab, was Lerr Kröpflein erschrocken bemerkte. Am so mehr
beeilte er sich, de» verlangten und ja, bei Gott, wirklich nicht erheb-
lichen Betrag — in so einer brenzligen Schadenssache! — der Kasse
zu entnehmen und schleunig hinzuzählen.
Der Förderer steckte die Münzen sorgsam ein, und als sie ver-
staut waren, meinte er ganz gutmütig: „La, mit Ihnen kann man
wenigstens reden. Sie!"
„Loffentlich muß Ihr Junge nun nicht lange liegen!" hauchte
Lerr Kröpflein, ehrlich besorgt.
slnser Paul ist nämlich schwerhörig/
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Unser Paul ist nämlich schwerhörig"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1941
Entstehungsdatum (normiert)
1936 - 1946
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 195.1941, Nr. 5025, S. 325
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg