Aschendorps Automat
Skibbe erschrak; es gab ihm einen Stich. Er konnte sich die Frage
nicht verkneifen: „Woher haben Sie das Ding?"
Reimers zuckte die Achseln. „Weiß ich nicht mehr; hat sich schon
seit Jahren bei mir 'rumgetrieben. Ich Hab' den Kopf schon lange
mitbringe» wollen, aber ich dachte mir, es könnte doch zu rachullrig
aussehn. Aber jetzt, wo Sie damit angefangen haben-- —"
Das war ein zweiter, noch schmerzlicherer Stich. Skibbe mußte
innerlich anerkennen, daß er selbst ja den Wettbewerb und damit
das Aebertrumpftwerden herausgefordert hatte. Man freut sich nicht
mehr so sehr am ergatterten Vorteil, wenn es einem anderen mit
noch größerem Erfolg gelingt. Skibbe schmeckte die Pfeife gar nicht
mehr recht. Aebrigens: auch Lotsenkommandeur Reimers hatte an
der seinen bald nur einen zweifelhaften Genuß, denn die Wärme
speichernde Gipshülle ließ den Stammkopf so heiß werden, daß ihm
vom beißenden Rauch Zunge und Gaumen weh taten. Schließlich
ließ er die Pfeife ausgehen und kalt werden. Dann stopfte er sie
frisch und bemühte sich, bedeutendes Einschaufeln von Tabak vorzu-
täuschen. Skibbe konnte ein leises Brummen des Anwillens nicht
unterdrücken. Er fand, daß Reimers geradezu Raub beginge und
sich sehr ungehörig benähme. Aber dieses Arteil hinderte ihn nicht,
sich vorzunehmen, daß er doch triumphieren und noch mehr Tabak
für seine» Dreier kriegen müßte. Oho, er wollte es Reimers schon
zeigen!
Es ging nicht so schnell mit dem Zeigen. Skibbe mutzte ein paar-
mal in die große Stadt eine Meile weiter oben am Fluß fahren und
dort manchen vergeblichen Weg machen, bis er eines Abends mit
einem Pfeifenkopf auftauchen konnte, den er als nicht mehr benutztes
Dekorationsstück in einem kleinen Tabakladen entdeckt hatte. Wohl
ein halbes Pfund Tabak ging hinein, und wenn das Ding auch gar
nicht dazu bestimmt war, sondern nur zum Anschauen und Bewun-
dern -Skibbe füllte es doch und rauchte darauflos wie der
Schornstein eines zur Abfahrt rüstenden Dampfers. Es war ein herr-
licher Abend für ihn.
Daniel Skibbe konnte nicht Lateinisch, sonst hätte er vielleicht
bedacht: dis quid nimis! Weil das nicht geschehen war, mußte er
am nächsten Morgen den Lerrn Kreisphysikus Dr. Vanselow kom-
men lassen. Der brauchte nicht lange nachzudenken. „Mann, Sie haben
ja eine ganz nette Nikotinvergiftung!" stellte er fest und verbot dem
Patienten, was dieser zunächst auch freiwillig vermieden hätte, für
14 Tage jeden Tabaksgenuß und auch den Besuch der Kneipe —
wegen des Tabaksqualms. And später sollte Skibbe sich dann aus
längere Zeit am abendlichen Stammtisch mit einer einzigen kleinen
Pfeife begnügen.
Als Skibbe wieder in die „Sieben Provinzen" kam, brachte er
den alten Pfeifenkopf mit, von dem er doch behauptet hatte, daß er
ihn zerschmissen hätte. Das wurde ihm aber nicht vorgehalten; man
hatte sich das gleich gedacht. Er benutzte auch nicht mehr den Auto-
maten, sondern hakte seinen eigenen schlechten Tabak mit. Aber wenn
ein anderer einen Dreier einwarf und „?stum optimrim" entnahm,
wurmte es ihn.
Doch auch damit hatte es schließlich ein Ende, denn es kam der
Tag, an dem die Dreipfennigstücke, die Dreier, abgeschafft wurden,
und damit eine Aenderung in der Konstruktion des Aschendorpschen
Automaten nötig wurde. Aber dazu hatte Aschendorp keine Lust mehr,
und so kam der hübsche Eichenkasten in die Rumpelkammer. Die Magd
Anna Barbara nahm ihn später mit, als sie den Dampfschiffma-
schinisten Johann Pittelkow heiratete. Eie hat allerlei Rähkram,
Strickwolle und dergleichen darin verwahrt, und in dieser Eigenschaft
mag er, weiter vererbt, wohl noch heute irgendwo dienen und wird
es vielleicht noch lange tun. Denn solch ein solider Kasten aus Eichen-
holz überdauert menschliche Geschlechter.
Bescheiden
„Schulze, Sie haben doch vorhin dem Lerrn Krause aus Neustadt
unsere neuesten Muster vorgelegt! — Lat er was davon genommen?"
„Jawohl, Lerr Direktor! — Notiz!"
„Bitte, nach Ihnen, Kunigunde: ich bin ein Jahrhundert jünger."
Deutlich
Paul und Olga gingen durch den Wald. Olga seufzte. And
Paul seufzte auch. Dann blickten sie sich beide an und schlugen dann
wieder verschämt die Augen nieder. And dann meinte Paul zögernd:
„Gleich ist der Wald zu Ende!"
Worauf Olga noch einmal tief aufseufzte: „Wir könnten ja
umkehren I"
Der sparsame Hauswirt V°n Alfred Ri».-?
Es blies ein erhebliches Windchen.
Ich klingelte Sturm am Räuschen „An der Bleiche 17." Ein Mann
fuhr heraus, der aussah wie das persongewordene Sparbuch. „Lallo!"
rief ich, „sind Sie der Besitzer dieses Laufes?"
„Jawohl. Warum?"
„Warum? Das will ich Ihnen gleich erzählen: Mir wäre eben
beinahe ein Ziegelstein von Ihrem ludrigen Dache mitten auf den
Dätz gefallen!"
Ich sah, wie der Mann erbleichte. „Das ist doch nicht möglich,"
stammelte er.
„Nicht möglich? Kommen Sie mit, ich will ihn Ihnen zeigen!"
Das Kassabuch ging ohne weiteres mit und stand dann stumm
vor den Trümmern des Dachziegels.
„Na?" sagte ich.
„Ja," nickte er mit dem Drahthaarkopf, „er ist kaputt."
„Was?" schrie ich, „das ist alles, was Sie da zu sagen haben?"
„Lieber Lerr," sagte der Brave und legte mir die Land auf den
Arm, „Sie glauben nicht, was ich für Pech habe. Der Dachdecker,
dieser Pfuscher, hat das Dach schlecht gedeckt. And es ist hier eine
windige Ecke: Vorgestern flog ein Ziegel einer Frau in den Trag-
korb. Sie setzte sich hin. Aber der Ziegel war ganz. Gestern fiel
einer einem Lund auf den Buckel. Der Lund hat gejault, aber mein
Ziegel war doch ganz. And der hier fällt daneben und ist prompt
kaputt!"
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Skibbe erschrak; es gab ihm einen Stich. Er konnte sich die Frage
nicht verkneifen: „Woher haben Sie das Ding?"
Reimers zuckte die Achseln. „Weiß ich nicht mehr; hat sich schon
seit Jahren bei mir 'rumgetrieben. Ich Hab' den Kopf schon lange
mitbringe» wollen, aber ich dachte mir, es könnte doch zu rachullrig
aussehn. Aber jetzt, wo Sie damit angefangen haben-- —"
Das war ein zweiter, noch schmerzlicherer Stich. Skibbe mußte
innerlich anerkennen, daß er selbst ja den Wettbewerb und damit
das Aebertrumpftwerden herausgefordert hatte. Man freut sich nicht
mehr so sehr am ergatterten Vorteil, wenn es einem anderen mit
noch größerem Erfolg gelingt. Skibbe schmeckte die Pfeife gar nicht
mehr recht. Aebrigens: auch Lotsenkommandeur Reimers hatte an
der seinen bald nur einen zweifelhaften Genuß, denn die Wärme
speichernde Gipshülle ließ den Stammkopf so heiß werden, daß ihm
vom beißenden Rauch Zunge und Gaumen weh taten. Schließlich
ließ er die Pfeife ausgehen und kalt werden. Dann stopfte er sie
frisch und bemühte sich, bedeutendes Einschaufeln von Tabak vorzu-
täuschen. Skibbe konnte ein leises Brummen des Anwillens nicht
unterdrücken. Er fand, daß Reimers geradezu Raub beginge und
sich sehr ungehörig benähme. Aber dieses Arteil hinderte ihn nicht,
sich vorzunehmen, daß er doch triumphieren und noch mehr Tabak
für seine» Dreier kriegen müßte. Oho, er wollte es Reimers schon
zeigen!
Es ging nicht so schnell mit dem Zeigen. Skibbe mutzte ein paar-
mal in die große Stadt eine Meile weiter oben am Fluß fahren und
dort manchen vergeblichen Weg machen, bis er eines Abends mit
einem Pfeifenkopf auftauchen konnte, den er als nicht mehr benutztes
Dekorationsstück in einem kleinen Tabakladen entdeckt hatte. Wohl
ein halbes Pfund Tabak ging hinein, und wenn das Ding auch gar
nicht dazu bestimmt war, sondern nur zum Anschauen und Bewun-
dern -Skibbe füllte es doch und rauchte darauflos wie der
Schornstein eines zur Abfahrt rüstenden Dampfers. Es war ein herr-
licher Abend für ihn.
Daniel Skibbe konnte nicht Lateinisch, sonst hätte er vielleicht
bedacht: dis quid nimis! Weil das nicht geschehen war, mußte er
am nächsten Morgen den Lerrn Kreisphysikus Dr. Vanselow kom-
men lassen. Der brauchte nicht lange nachzudenken. „Mann, Sie haben
ja eine ganz nette Nikotinvergiftung!" stellte er fest und verbot dem
Patienten, was dieser zunächst auch freiwillig vermieden hätte, für
14 Tage jeden Tabaksgenuß und auch den Besuch der Kneipe —
wegen des Tabaksqualms. And später sollte Skibbe sich dann aus
längere Zeit am abendlichen Stammtisch mit einer einzigen kleinen
Pfeife begnügen.
Als Skibbe wieder in die „Sieben Provinzen" kam, brachte er
den alten Pfeifenkopf mit, von dem er doch behauptet hatte, daß er
ihn zerschmissen hätte. Das wurde ihm aber nicht vorgehalten; man
hatte sich das gleich gedacht. Er benutzte auch nicht mehr den Auto-
maten, sondern hakte seinen eigenen schlechten Tabak mit. Aber wenn
ein anderer einen Dreier einwarf und „?stum optimrim" entnahm,
wurmte es ihn.
Doch auch damit hatte es schließlich ein Ende, denn es kam der
Tag, an dem die Dreipfennigstücke, die Dreier, abgeschafft wurden,
und damit eine Aenderung in der Konstruktion des Aschendorpschen
Automaten nötig wurde. Aber dazu hatte Aschendorp keine Lust mehr,
und so kam der hübsche Eichenkasten in die Rumpelkammer. Die Magd
Anna Barbara nahm ihn später mit, als sie den Dampfschiffma-
schinisten Johann Pittelkow heiratete. Eie hat allerlei Rähkram,
Strickwolle und dergleichen darin verwahrt, und in dieser Eigenschaft
mag er, weiter vererbt, wohl noch heute irgendwo dienen und wird
es vielleicht noch lange tun. Denn solch ein solider Kasten aus Eichen-
holz überdauert menschliche Geschlechter.
Bescheiden
„Schulze, Sie haben doch vorhin dem Lerrn Krause aus Neustadt
unsere neuesten Muster vorgelegt! — Lat er was davon genommen?"
„Jawohl, Lerr Direktor! — Notiz!"
„Bitte, nach Ihnen, Kunigunde: ich bin ein Jahrhundert jünger."
Deutlich
Paul und Olga gingen durch den Wald. Olga seufzte. And
Paul seufzte auch. Dann blickten sie sich beide an und schlugen dann
wieder verschämt die Augen nieder. And dann meinte Paul zögernd:
„Gleich ist der Wald zu Ende!"
Worauf Olga noch einmal tief aufseufzte: „Wir könnten ja
umkehren I"
Der sparsame Hauswirt V°n Alfred Ri».-?
Es blies ein erhebliches Windchen.
Ich klingelte Sturm am Räuschen „An der Bleiche 17." Ein Mann
fuhr heraus, der aussah wie das persongewordene Sparbuch. „Lallo!"
rief ich, „sind Sie der Besitzer dieses Laufes?"
„Jawohl. Warum?"
„Warum? Das will ich Ihnen gleich erzählen: Mir wäre eben
beinahe ein Ziegelstein von Ihrem ludrigen Dache mitten auf den
Dätz gefallen!"
Ich sah, wie der Mann erbleichte. „Das ist doch nicht möglich,"
stammelte er.
„Nicht möglich? Kommen Sie mit, ich will ihn Ihnen zeigen!"
Das Kassabuch ging ohne weiteres mit und stand dann stumm
vor den Trümmern des Dachziegels.
„Na?" sagte ich.
„Ja," nickte er mit dem Drahthaarkopf, „er ist kaputt."
„Was?" schrie ich, „das ist alles, was Sie da zu sagen haben?"
„Lieber Lerr," sagte der Brave und legte mir die Land auf den
Arm, „Sie glauben nicht, was ich für Pech habe. Der Dachdecker,
dieser Pfuscher, hat das Dach schlecht gedeckt. And es ist hier eine
windige Ecke: Vorgestern flog ein Ziegel einer Frau in den Trag-
korb. Sie setzte sich hin. Aber der Ziegel war ganz. Gestern fiel
einer einem Lund auf den Buckel. Der Lund hat gejault, aber mein
Ziegel war doch ganz. And der hier fällt daneben und ist prompt
kaputt!"
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Bitte, nach Ihnen, Kunigunde..."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1941
Entstehungsdatum (normiert)
1936 - 1946
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 195.1941, Nr. 5028, S. 374
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg