o
Hört auf den Namen Emil.. .
Von Ralph Urban
Er sah aus wie eine behaarte Schlange mit Dackelbeinen und
hörte auf den Namen —
„Emil, komm schon!" rief Gretl und meinte damit die Dackel-
schlange, die eben im Dschungel der am Platz zum Verkauf ausge-
stellten Weihnachtsbäume verschwunden war.
„Ich bin schon da," sprach ein plötzlich aufgetauchter Soldat.
„Was kann ich für Sie tun, mein Fräulein?"
Gretel errötete und hastete davon. Das kam von der Anart,
einen Lund menschlich zu benamsen. Linterher Schritte. Sicher kam
ihr der Mensch nach, er hatte ihr übrigens gefallen. Daher lief sie
noch schneller. Trotzdem holte er auf — was wollte sie sagen, wenn
er sie ansprach, der Emil — schrecklich. Ein scheuer Seitenblick, ein
Spitzbart auf gleicher Löhe, dann schoß ein eiliger älterer Lerr an
ihr vorbei. Gretl seufzte befreit und ent-
täuscht, kehrte um und ging zurück zu den
Weihnachtsbäumen. Kein Emil weit und
breit, weder auf vier noch auf zwo Beinen.
Eine Rundfrage bei den Verkäufern der
Weihnachtsbäume erbrachte eine schwache
Fährte. — „Ein Gefreiter hat früher mit
so einem komischen Lund gesprochen,"
erklärte ein Mann.
„Lat er was gesagt?"
„Nein, der Lund hat ihm keine Ant-
wort gegeben," witzelte der Verkäufer.
Als Gretl nach Lause kam, entstand
ein Familiendrama. Die Mutter rang die
Lände, die kleine Schwester weinte, und
der Vater sprach: „Dich kann man nicht
einmal mit einem Lund fortschicken."
Aufdem Polizeirevier sagte man Grell,
daß sich dort kein Lund gemeldet hätte.
Alle Leute kränkten sie heute. Als letzter
Loffnungsschimmer blieb der Weg zur Zei-
tung. Das Anzeigenbüro konnte das Inserat
gerade noch für den nächsten Morgen, den 24. 12. entgegennehmen.
„.... hört auf den Namen Emil...." stand darauf in den Ta-
gesblättern zu lesen. Auch mit guter Belohnung war gewinkt. Es
ereignete sich aber nichts, und mit vorgerückter Tageszeit sank die
Loffnung so tief, daß jede Weihnachtsfreude einfror. Am sechs Ahr
abends meinte die vergrämte Mutter, daß sie am liebsten gar nicht die
Lichter am Weihnachtsbaum anstecken möchte. Auf dieses Stichwort
hin klingelte es. And wer stand draußen? Ganz richtig: Emil, der Ver-
schollene, und ein Soldat. Es war natürlich der von gestern, wie
Gretl errötend feststellte.
„Schönen Dank," sprach der Vater, „wenn Sie gestatten, dann
werde ich Ihnen dreißig Mark als Belohnung übergeben."
„Ich freue mich," sagte der Gefreite, „daß ich Ihnen den Lund
zurückbringen konnte. Er lief mir gestern zu. Die Belohnung lehne
386
ich allerdings mit Dank ab." Worauf der Lerr des Laufes mit der
Lausfrau tuschelte, während die Tochter Gretel den jungen Mann
mit ahnungsvollem Mißtrauen musterte.
„Laben Sie für heute abend etwas vor?" fragte die Mutier.
„Doch," antwortete der Soldat, „ich bin auf Arlaub bei meinen
Eltern. Aber morgen —"
„Dann machen Sie uns die Freude," ersuchte der Vater, „und
kommen Sie morgen zum Abendessen, Lerr, Lerr ..."
„Gefreiter Brand!" stellte sich der junge Mann vor.
„Emil!" flüsterte Gretl hold, woraus die Dackelschlange in einem
neuen Freudenausbruch mit allen Körperteilen zu wedeln begann.
Den nächsten Nachmittag verbrachte Gretl vor dem Spiegel.
Dann kam Lerr Brand, und es wurde ein netter Abend. Als
Gretls jüngere Geschwister zu Bett ge-
schickt wurden, verließen auch Vater und
Mutter das Zimmer.
„Sie müssen entschuldigen," wandte
sich Grell an Lerrn Brand, „aber als
ich dem Lund damals den Namen Emil
gab, konnte ich doch nicht wissen —"
„Keine Entschuldigung!" sagte der
Soldat streng. „Sie haben das Ansehen
des Gefreiten Brand geschädigt und wer-
den daher bestraft."
„Womit?"
„Mit einem Kuß natürlich!"
„Pfui, wie sind Sie frech," wollte
Gretl sagen, aber da war es schon zu
spät. „Ich werde den Lund von nun an
nicht mehr Emil, sondern Milko nennen,"
flüsterte sie daher, als der Soldat wieder
artig an ihrer Seite saß.
„Das ist nicht nötig," flüsterte Lerr
Brand zurück, „ich heiße nämlich
Rudolf."
Gretl schnappte zweimal und behauptete, sprachlos zu sein. Dann
sah sie den jungen Mann scharf an und sagte: „Ich wundere mich
überhaupt sehr, Lerr Brand, daß ausgerechnet Sie den Lund ge-
funden haben wollen, und daß er nicht versucht haben soll, mich von
selbst zu finden."
„Das hat er schon," meinte Brand, „aber ich habe ihn fest beim
Lalsband gehalten."
„Pfui," entgegnete Gretl, „wie ich Sie verachte!"
„Noch immer?" erkundigte sich Brand und küßte sie. Gretl nickte.
Dann befreite sie sich energisch, blickte streng, rückte zur Seite und
sprach: „Im allgemeinen finde ich die heurigen Witterungsverhältnisse
reichlich merkwürdig. Es dürfte das skandinavische Tief daran schuld
sein. Spielen Sie übrigens Klavier?"
Es war nämlich die Mutter hereingekommen.
„Bücher haben ihre Schicksale, wie der Lateiner
sagt; Ihren letzten Roman ,Sag mir, wohin ich
gehöre" z. B. fand ich gestern beim Trödler."
Hört auf den Namen Emil.. .
Von Ralph Urban
Er sah aus wie eine behaarte Schlange mit Dackelbeinen und
hörte auf den Namen —
„Emil, komm schon!" rief Gretl und meinte damit die Dackel-
schlange, die eben im Dschungel der am Platz zum Verkauf ausge-
stellten Weihnachtsbäume verschwunden war.
„Ich bin schon da," sprach ein plötzlich aufgetauchter Soldat.
„Was kann ich für Sie tun, mein Fräulein?"
Gretel errötete und hastete davon. Das kam von der Anart,
einen Lund menschlich zu benamsen. Linterher Schritte. Sicher kam
ihr der Mensch nach, er hatte ihr übrigens gefallen. Daher lief sie
noch schneller. Trotzdem holte er auf — was wollte sie sagen, wenn
er sie ansprach, der Emil — schrecklich. Ein scheuer Seitenblick, ein
Spitzbart auf gleicher Löhe, dann schoß ein eiliger älterer Lerr an
ihr vorbei. Gretl seufzte befreit und ent-
täuscht, kehrte um und ging zurück zu den
Weihnachtsbäumen. Kein Emil weit und
breit, weder auf vier noch auf zwo Beinen.
Eine Rundfrage bei den Verkäufern der
Weihnachtsbäume erbrachte eine schwache
Fährte. — „Ein Gefreiter hat früher mit
so einem komischen Lund gesprochen,"
erklärte ein Mann.
„Lat er was gesagt?"
„Nein, der Lund hat ihm keine Ant-
wort gegeben," witzelte der Verkäufer.
Als Gretl nach Lause kam, entstand
ein Familiendrama. Die Mutter rang die
Lände, die kleine Schwester weinte, und
der Vater sprach: „Dich kann man nicht
einmal mit einem Lund fortschicken."
Aufdem Polizeirevier sagte man Grell,
daß sich dort kein Lund gemeldet hätte.
Alle Leute kränkten sie heute. Als letzter
Loffnungsschimmer blieb der Weg zur Zei-
tung. Das Anzeigenbüro konnte das Inserat
gerade noch für den nächsten Morgen, den 24. 12. entgegennehmen.
„.... hört auf den Namen Emil...." stand darauf in den Ta-
gesblättern zu lesen. Auch mit guter Belohnung war gewinkt. Es
ereignete sich aber nichts, und mit vorgerückter Tageszeit sank die
Loffnung so tief, daß jede Weihnachtsfreude einfror. Am sechs Ahr
abends meinte die vergrämte Mutter, daß sie am liebsten gar nicht die
Lichter am Weihnachtsbaum anstecken möchte. Auf dieses Stichwort
hin klingelte es. And wer stand draußen? Ganz richtig: Emil, der Ver-
schollene, und ein Soldat. Es war natürlich der von gestern, wie
Gretl errötend feststellte.
„Schönen Dank," sprach der Vater, „wenn Sie gestatten, dann
werde ich Ihnen dreißig Mark als Belohnung übergeben."
„Ich freue mich," sagte der Gefreite, „daß ich Ihnen den Lund
zurückbringen konnte. Er lief mir gestern zu. Die Belohnung lehne
386
ich allerdings mit Dank ab." Worauf der Lerr des Laufes mit der
Lausfrau tuschelte, während die Tochter Gretel den jungen Mann
mit ahnungsvollem Mißtrauen musterte.
„Laben Sie für heute abend etwas vor?" fragte die Mutier.
„Doch," antwortete der Soldat, „ich bin auf Arlaub bei meinen
Eltern. Aber morgen —"
„Dann machen Sie uns die Freude," ersuchte der Vater, „und
kommen Sie morgen zum Abendessen, Lerr, Lerr ..."
„Gefreiter Brand!" stellte sich der junge Mann vor.
„Emil!" flüsterte Gretl hold, woraus die Dackelschlange in einem
neuen Freudenausbruch mit allen Körperteilen zu wedeln begann.
Den nächsten Nachmittag verbrachte Gretl vor dem Spiegel.
Dann kam Lerr Brand, und es wurde ein netter Abend. Als
Gretls jüngere Geschwister zu Bett ge-
schickt wurden, verließen auch Vater und
Mutter das Zimmer.
„Sie müssen entschuldigen," wandte
sich Grell an Lerrn Brand, „aber als
ich dem Lund damals den Namen Emil
gab, konnte ich doch nicht wissen —"
„Keine Entschuldigung!" sagte der
Soldat streng. „Sie haben das Ansehen
des Gefreiten Brand geschädigt und wer-
den daher bestraft."
„Womit?"
„Mit einem Kuß natürlich!"
„Pfui, wie sind Sie frech," wollte
Gretl sagen, aber da war es schon zu
spät. „Ich werde den Lund von nun an
nicht mehr Emil, sondern Milko nennen,"
flüsterte sie daher, als der Soldat wieder
artig an ihrer Seite saß.
„Das ist nicht nötig," flüsterte Lerr
Brand zurück, „ich heiße nämlich
Rudolf."
Gretl schnappte zweimal und behauptete, sprachlos zu sein. Dann
sah sie den jungen Mann scharf an und sagte: „Ich wundere mich
überhaupt sehr, Lerr Brand, daß ausgerechnet Sie den Lund ge-
funden haben wollen, und daß er nicht versucht haben soll, mich von
selbst zu finden."
„Das hat er schon," meinte Brand, „aber ich habe ihn fest beim
Lalsband gehalten."
„Pfui," entgegnete Gretl, „wie ich Sie verachte!"
„Noch immer?" erkundigte sich Brand und küßte sie. Gretl nickte.
Dann befreite sie sich energisch, blickte streng, rückte zur Seite und
sprach: „Im allgemeinen finde ich die heurigen Witterungsverhältnisse
reichlich merkwürdig. Es dürfte das skandinavische Tief daran schuld
sein. Spielen Sie übrigens Klavier?"
Es war nämlich die Mutter hereingekommen.
„Bücher haben ihre Schicksale, wie der Lateiner
sagt; Ihren letzten Roman ,Sag mir, wohin ich
gehöre" z. B. fand ich gestern beim Trödler."
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Bücher haben ihre Schicksale, wie der Lateiner sagt..."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1941
Entstehungsdatum (normiert)
1936 - 1946
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 195.1941, Nr. 5029, S. 386
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg