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Das Ei V°"
Karl Lermann Cordt.
Als Theobald Lolzhausen nach
anstrengender Büroarbeit nach
Lause kam, empfing ihn seine
Frau mit rotgeweinten Augen,
und was sie dann, ab und zu
durch ein Schluchzen unterbrochen,
hervorstammelte, war so entsetzlich,
daß er wie vernichtet auf einen
Stuhl sank.
Tante Paulas Kanarien-
vogel war davongeflogen! Das
„Länschen", an dem die Tante
mit abgöttischer Liebe hing und
das sie ihrem Neffen für die Zeit
ihrer Abwesenheit erst anvertraut
hatte, nachdem dieser geschworen
hatte, es wie seinen Augapfel zu
hüten.
Auf vier Wochen war Tante
Paula, ihrer Galle wegen, ins
Bad gefahren, und nun fehlten
nur noch drei Tage bis zu ihrer
Rückkehr.
Theobald Lolzhausen war ver-
zweifelt. Nicht nur, daß besagte
Tante die Erbtante war, weit
mehr plagte ihn der Gedanke,
das in ihn gesetzte Vertrauen
schmählich enttäuscht zu haben.
Za, Theobald Lolzhausen emp-
fand das Verschwinden Läns-
chens als einen dunklen Fleck auf
seinem Ehrenschild. Irgend ein
Ausweg mußte gefunden werden!
Seine Frau, die nach der offenen
Beichte ruhiger geworden war,
fand das erlösende Wort: Für
Länschen mußte Ersatz beschafft
werden!
Theobald Lolzhausen lief von
einer zoologischen Landlung in
die andere. Es gab Helle und
dunkle „Länschen", darunter
zitronengelbe und rosarote, aber
einer mit einem kleinen, dunklen
Fleck auf dem Schwanz fand sich
nirgends.
298
Spätherbst
Der graue Nebel schwebt aus Wald und Hag,
er schieiert immer dichter schon ans Haus.
Unhörbar naht die Nacht. Noch scheint es Tag,
doch lischt ihm schon das letzte Leuchten aus.
Nur feuchte gelbe Blätter, die sich leis
eins nach dem andern sinkend hingelegt,
erhellen seltsam einen halben Ifreis,
in dem sich hin und her mein Schritt bewegt.
Richard von Schauhat.
„<S)a& macht doch nichts, wenn Ihnen kein Bart wächst, nehmen Sie die
Rasierklingen und kaufen Sie sich ein gutes Laarwuchsmittel dazu."
Theobald Lolzhausens aufkei-
mende Loffnung war bereits
wieder vernichtet. Gesenkten
Lauptes schritt er über den Markt-
platz, auf dem gerade der Jahr-
markt abgehalten wurde. Unab-
lässig kreisten seine Gedanken um
Tante Paula, um das Länschen
und um den kleinen, dunklen Fleck,
der einmal aus dem Schwanz des
Geflohenen gewesen war und nun
für immer auf seinem Ehrenschild
haften bleiben würde. Sicherlich
hätte er auch von dem bunten
Iahrmarktstrubel nichts bemerkt,
wenn nicht das schrille Pfeifen
eines Kanarienvogels, das sich wie
das Quietschen einer schlecht geöl-
ten Tür anhörte, seine Aufmerk-
samkeit gefesselt hätte.
Theobald Lolzhausen glaubte,
seinen Augen nicht trauen zu
können!
Da hing ein Länschen im Käfig,
wie er ihn suchte! Laargenau saß
der Fleck an der gleichen Stelle
und wenn er auch fand, daß der
soeben Gefundene nicht ganz so
schlank war wie der Davongeflo-
gene, so mochte das für die Tante
Paula ein Beweis der guten
Pflege sein, die ihrem Länschen
während ihrer Abwesenheit zuteil
geworden war.
Nun lehnte aber der Budenbe-
sitzer einen Verkauf rundweg ab.
Der Vogel war ein Lauptgewinn
seiner Verlosung und eben nur
auf diesem Wege zu erwerben.
Theobald Lolzhausen kaufte Lose.
Erst drei, dann fünf und allmählich
steigerte er seinen Einsatz auf
zehn Stück. Er gewann zwölf
Ansteckblumen, sieben Zigarren-
spitzen, vier Zahnbürsten und
zwei Bleistiftanspitzer und am
Ende noch ein Bild, welches nach
der Versicherung des Budenbe-
sttzers die schlafende Venus dar-
Das Ei V°"
Karl Lermann Cordt.
Als Theobald Lolzhausen nach
anstrengender Büroarbeit nach
Lause kam, empfing ihn seine
Frau mit rotgeweinten Augen,
und was sie dann, ab und zu
durch ein Schluchzen unterbrochen,
hervorstammelte, war so entsetzlich,
daß er wie vernichtet auf einen
Stuhl sank.
Tante Paulas Kanarien-
vogel war davongeflogen! Das
„Länschen", an dem die Tante
mit abgöttischer Liebe hing und
das sie ihrem Neffen für die Zeit
ihrer Abwesenheit erst anvertraut
hatte, nachdem dieser geschworen
hatte, es wie seinen Augapfel zu
hüten.
Auf vier Wochen war Tante
Paula, ihrer Galle wegen, ins
Bad gefahren, und nun fehlten
nur noch drei Tage bis zu ihrer
Rückkehr.
Theobald Lolzhausen war ver-
zweifelt. Nicht nur, daß besagte
Tante die Erbtante war, weit
mehr plagte ihn der Gedanke,
das in ihn gesetzte Vertrauen
schmählich enttäuscht zu haben.
Za, Theobald Lolzhausen emp-
fand das Verschwinden Läns-
chens als einen dunklen Fleck auf
seinem Ehrenschild. Irgend ein
Ausweg mußte gefunden werden!
Seine Frau, die nach der offenen
Beichte ruhiger geworden war,
fand das erlösende Wort: Für
Länschen mußte Ersatz beschafft
werden!
Theobald Lolzhausen lief von
einer zoologischen Landlung in
die andere. Es gab Helle und
dunkle „Länschen", darunter
zitronengelbe und rosarote, aber
einer mit einem kleinen, dunklen
Fleck auf dem Schwanz fand sich
nirgends.
298
Spätherbst
Der graue Nebel schwebt aus Wald und Hag,
er schieiert immer dichter schon ans Haus.
Unhörbar naht die Nacht. Noch scheint es Tag,
doch lischt ihm schon das letzte Leuchten aus.
Nur feuchte gelbe Blätter, die sich leis
eins nach dem andern sinkend hingelegt,
erhellen seltsam einen halben Ifreis,
in dem sich hin und her mein Schritt bewegt.
Richard von Schauhat.
„<S)a& macht doch nichts, wenn Ihnen kein Bart wächst, nehmen Sie die
Rasierklingen und kaufen Sie sich ein gutes Laarwuchsmittel dazu."
Theobald Lolzhausens aufkei-
mende Loffnung war bereits
wieder vernichtet. Gesenkten
Lauptes schritt er über den Markt-
platz, auf dem gerade der Jahr-
markt abgehalten wurde. Unab-
lässig kreisten seine Gedanken um
Tante Paula, um das Länschen
und um den kleinen, dunklen Fleck,
der einmal aus dem Schwanz des
Geflohenen gewesen war und nun
für immer auf seinem Ehrenschild
haften bleiben würde. Sicherlich
hätte er auch von dem bunten
Iahrmarktstrubel nichts bemerkt,
wenn nicht das schrille Pfeifen
eines Kanarienvogels, das sich wie
das Quietschen einer schlecht geöl-
ten Tür anhörte, seine Aufmerk-
samkeit gefesselt hätte.
Theobald Lolzhausen glaubte,
seinen Augen nicht trauen zu
können!
Da hing ein Länschen im Käfig,
wie er ihn suchte! Laargenau saß
der Fleck an der gleichen Stelle
und wenn er auch fand, daß der
soeben Gefundene nicht ganz so
schlank war wie der Davongeflo-
gene, so mochte das für die Tante
Paula ein Beweis der guten
Pflege sein, die ihrem Länschen
während ihrer Abwesenheit zuteil
geworden war.
Nun lehnte aber der Budenbe-
sitzer einen Verkauf rundweg ab.
Der Vogel war ein Lauptgewinn
seiner Verlosung und eben nur
auf diesem Wege zu erwerben.
Theobald Lolzhausen kaufte Lose.
Erst drei, dann fünf und allmählich
steigerte er seinen Einsatz auf
zehn Stück. Er gewann zwölf
Ansteckblumen, sieben Zigarren-
spitzen, vier Zahnbürsten und
zwei Bleistiftanspitzer und am
Ende noch ein Bild, welches nach
der Versicherung des Budenbe-
sttzers die schlafende Venus dar-
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Das macht doch nichts, wenn Ihnen ein Bart wächst..."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1942
Entstehungsdatum (normiert)
1937 - 1947
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 197.1942, Nr. 5076, S. 298
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg