Roßmereins einzige Seefahrt
Von Alfred Richter
„In die ganze Wett Hinausrufen möchte ich unsere Liebei"
„Wäre eine kleine Leiralsanzeige da nicht praktischer?"
Wir kamen von der See zurück, braun und, obgleich wir nicht
eßbar waren, knusprig. Dicht vor Berlin sagte meine Frau: „Wohnt
nicht hier in der Nähe Onkel Roßmerein? Den sollten wir mal auf-
sucheni Wir wissen gar nicht mehr, wie er aussieht, so lange ist es
her, daß wir ihn nicht gesehen haben." Wir besuchten also Onkel
Roßmerein. Es war ein kleiner Ort, wie kleine Orte nun einmal
sind, und Onkel Roßmerein war in diesem kleinen, abgelegenen Ort
so ungefähr der Zurückgezogenste. Da kann man sich denken, was er
für Augen machte, als auf einmal ein ganzer Pulk Verwandtschaft
angebraust kam. Onkel Roßme-
rein bastelte gerade in seinem
Garten an einem Apfelbaum
herum, und als er unser Begrü-
tzungsgeschrei vernahm und uns «re
tropischen Gesichter erkannte, er-
starrte er zu einem Standbild.
Als wieder Leben in ihn kam,
schüttelte er den Kopf. „Wo
kommt ihr bloß her?" erkundigte
er sich. „Ihr seht ja aus wie
Indianer."
„Wir waren an der See,
Onkel, an unserer herrlichen Seel"
Onkel Roßmerein verzog das
Gesicht. „Och," machte er, „ihr
mrt eurer Seel"
„Aber Onkel! Onkelchen!
Kannst du die See nicht leiden?
Warst du überhaupt schon mal
dort?"
Er gab seinem Okuliermesser
das ihm heruntergefallen war,
einen Tritt und knurrte: „Ich
war dort. Jawohl. Ich Kaffer.
So dumm bin ich gewesen. Aber
kommt ins Laus, legt ab und
eßt was!"
Abends, als die anderen sich
gelegt halten, saß ich noch ein
Stündchen mit Onkel Roßmerein
zusammen. Er hatte einen wunder-
baren, abgelagerten Beerenwein.
Wenn man drei Gläser davon
binnen hatte, kam man sich vor
wie radiumbestrahlt, und da wurde
man unternehmungslustig. Auf
diese Weise gewann ich die Frech-
heit, zu fragen: „Sag mal, Onkel, warum kannst du eigentlich die See
nicht verknusen?"
„Die See? Löre mir bloß auf mit diesem Wasser. Erstens kann
ich nicht schwimmen, in meiner Jugend hat man das nicht gelernt,
und dann wird mir leicht schlecht aus See. And die Leute haben da
so rauhe SittenI — Mich bringen keine zehn Pferde wieder hin.
Das glaube mir." Ich wunderte mich, daß Onkel Roßmerein, der
im allgemeinen fluchte wie ein Cowboy, der trinken konnte, wie ein
Erfinder neuer Liköre, und der auf Jagd ging und ritt, also in
körperlicherBetätigung groß war,
so sonderbare Argumente gegen
das Leben auf See vorbrachte.
„Last du denn da oben irgend-
wie mal schlechte Erfahrungen
gemacht?" fragte ich.
„Ich kann dir's ja erzählen,"
brummte Onkel Roßmerein, „die
Damen sind ja nicht gegenwärtig.
Ich bin vor Jahren einmal so
dumm gewesen, einer Einladung
eines alten Kriegskameraden zu
folgen. Na, was tut man nicht
alles einem alten Kameraden zu-
liebe, das kannst du doch verstehen,
gerne verreisen tue ich ja sowieso
nicht, aber ich habe mich damals
aufgerappelt, habe meinen Kram
gepackt und bin raufgefahren.
Nu, der erste Abend war nicht
von Pappe — sie haben da oben
so mordsmäßige Grogkeller —
aber Alwin sagte: ,Iunge/ sagte
er, ,morgen machen wir eine
Fahrt in See, sowas hast du noch
nicht erlebt, da ist dieser ganze
Grogkeller ein Kinderfest dage-
gen/ hat er gesagt. And so ist
es dann auch gewesen."
„Na, sowas ist doch auch mal
ganz nett, Onkel. Schließlich
schmeißen dich ein paar Töppchen
Getränk ja nicht so leicht um."
„Das denkst du. Du kennst
eben meinen Freund Alwin nicht.
Was der für Kadetten an sich
hat. Diese Kerls hatte er alle
mit eingeladen. Wir tranken erst
314
Von Alfred Richter
„In die ganze Wett Hinausrufen möchte ich unsere Liebei"
„Wäre eine kleine Leiralsanzeige da nicht praktischer?"
Wir kamen von der See zurück, braun und, obgleich wir nicht
eßbar waren, knusprig. Dicht vor Berlin sagte meine Frau: „Wohnt
nicht hier in der Nähe Onkel Roßmerein? Den sollten wir mal auf-
sucheni Wir wissen gar nicht mehr, wie er aussieht, so lange ist es
her, daß wir ihn nicht gesehen haben." Wir besuchten also Onkel
Roßmerein. Es war ein kleiner Ort, wie kleine Orte nun einmal
sind, und Onkel Roßmerein war in diesem kleinen, abgelegenen Ort
so ungefähr der Zurückgezogenste. Da kann man sich denken, was er
für Augen machte, als auf einmal ein ganzer Pulk Verwandtschaft
angebraust kam. Onkel Roßme-
rein bastelte gerade in seinem
Garten an einem Apfelbaum
herum, und als er unser Begrü-
tzungsgeschrei vernahm und uns «re
tropischen Gesichter erkannte, er-
starrte er zu einem Standbild.
Als wieder Leben in ihn kam,
schüttelte er den Kopf. „Wo
kommt ihr bloß her?" erkundigte
er sich. „Ihr seht ja aus wie
Indianer."
„Wir waren an der See,
Onkel, an unserer herrlichen Seel"
Onkel Roßmerein verzog das
Gesicht. „Och," machte er, „ihr
mrt eurer Seel"
„Aber Onkel! Onkelchen!
Kannst du die See nicht leiden?
Warst du überhaupt schon mal
dort?"
Er gab seinem Okuliermesser
das ihm heruntergefallen war,
einen Tritt und knurrte: „Ich
war dort. Jawohl. Ich Kaffer.
So dumm bin ich gewesen. Aber
kommt ins Laus, legt ab und
eßt was!"
Abends, als die anderen sich
gelegt halten, saß ich noch ein
Stündchen mit Onkel Roßmerein
zusammen. Er hatte einen wunder-
baren, abgelagerten Beerenwein.
Wenn man drei Gläser davon
binnen hatte, kam man sich vor
wie radiumbestrahlt, und da wurde
man unternehmungslustig. Auf
diese Weise gewann ich die Frech-
heit, zu fragen: „Sag mal, Onkel, warum kannst du eigentlich die See
nicht verknusen?"
„Die See? Löre mir bloß auf mit diesem Wasser. Erstens kann
ich nicht schwimmen, in meiner Jugend hat man das nicht gelernt,
und dann wird mir leicht schlecht aus See. And die Leute haben da
so rauhe SittenI — Mich bringen keine zehn Pferde wieder hin.
Das glaube mir." Ich wunderte mich, daß Onkel Roßmerein, der
im allgemeinen fluchte wie ein Cowboy, der trinken konnte, wie ein
Erfinder neuer Liköre, und der auf Jagd ging und ritt, also in
körperlicherBetätigung groß war,
so sonderbare Argumente gegen
das Leben auf See vorbrachte.
„Last du denn da oben irgend-
wie mal schlechte Erfahrungen
gemacht?" fragte ich.
„Ich kann dir's ja erzählen,"
brummte Onkel Roßmerein, „die
Damen sind ja nicht gegenwärtig.
Ich bin vor Jahren einmal so
dumm gewesen, einer Einladung
eines alten Kriegskameraden zu
folgen. Na, was tut man nicht
alles einem alten Kameraden zu-
liebe, das kannst du doch verstehen,
gerne verreisen tue ich ja sowieso
nicht, aber ich habe mich damals
aufgerappelt, habe meinen Kram
gepackt und bin raufgefahren.
Nu, der erste Abend war nicht
von Pappe — sie haben da oben
so mordsmäßige Grogkeller —
aber Alwin sagte: ,Iunge/ sagte
er, ,morgen machen wir eine
Fahrt in See, sowas hast du noch
nicht erlebt, da ist dieser ganze
Grogkeller ein Kinderfest dage-
gen/ hat er gesagt. And so ist
es dann auch gewesen."
„Na, sowas ist doch auch mal
ganz nett, Onkel. Schließlich
schmeißen dich ein paar Töppchen
Getränk ja nicht so leicht um."
„Das denkst du. Du kennst
eben meinen Freund Alwin nicht.
Was der für Kadetten an sich
hat. Diese Kerls hatte er alle
mit eingeladen. Wir tranken erst
314
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"In die ganze Welt hinausrufen möchte ich unsere Liebe!"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1942
Entstehungsdatum (normiert)
1937 - 1947
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 197.1942, Nr. 5077, S. 314
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg