Tradition in Gefahr! ..Tut mir leid, John, aber Sie werden jetzt dem
Holzgenerator Platz machen müssen.“
los, doch als er dabei Mutters Parfümfläschchen vow
Frisiertisch herunterschlng, gebot ich entsetzt Einhalt.
Die Vorsehung hielt es offenkundig mit der Fliege.
„Lalt, iiieiii Sohn!“ ries ich und stürzte herbei. „Wik
müssen einsehen, daß uns kein Vollstreckungsurteil über
dieses Tierchen zusteht. Das Schicksal will es anders-^
„Was nun?" jammerte meine Frau, aber sie dachte
dabei nicht an Stiele, die derweil seelenruhig auf meine«»
Bette saß, sondern an ihr kostbares Parfüm, das heut'
zutage kaum zu ersetzen war. Karlchen verstand das wohi
und wollte sich zur Tür hinaus drnckeir. . .
„Lalt!" rief ich zum zweitenmal. „Es muß etwas
geschehen!"
sind dann geschah auch etivas. Feierlich stellte t#
Stiele in meiner Wohnung unter Naturschutz, feierlich
fand die Verleihung ihres anfangs genannten schönen,
schwierigen Namens statt, und feierlich mußten alst
Anwesenden geloben, das Leben Stieles zu achten und
ihre besonderen Fliegeneigenarten nicht mit Abscheu ä»
verfolgen, sintemalen die gebildeten Mitteleuropaer
ebenfalls genugsam allerlei Eigenarten an sich hätten,
über die man zwar mit Recht die Nase rümpfen könnte,
es jedoch nach stillschweigendem slebereinkomme» nichi
täte. Nichts störte diese feierliche Landlung, nur die
Mutter machte sich ein wenig bemerkbar. Natürlich, die
Frauen — wie das ja immer so ist!
itieke
Die Geschichte einer Wnikerfüege
Von Lerbert Lestiboudoid
Zuerst hatte ich ihr bett gravitätischen Namen „Dome-
stiekchen" verliehen. Eingeweihte, denen ein Leitfaden der
Zoologie kein Buch mit sieben Siegeln ist, werden wissen
warum. Denn siehe: unter der sechsten Ordnung der Insekten,
erste Gruppe: Fliegen, wird man unsere gemeine Stubenfliege
als „musca domestica“ verzeichnet finden. Aber „Domestiek'
chen" hielt nicht lange vor. Aeber „Stiekchen", das uns bald
zu hätschelig und tätschelig klang, gelangten wir zu „Stiele".
Das war in jeder Linsicht das Richtige. Ein prächtiger Name
für den Lausgebrauch: kurz, aber nicht langweilig wie etwa
Minna oder Meta, und dabei nicht zu hochtrabend, doch auch
nicht zu gering für eine Stubenfliege. Jeder gewöhnte sich
rasch daran, ohne deswegen mit der Zunge in gewagte sprach-
liche Konflikte zu kommen. Das heißt: unsere Allerjüngste
brachte es nur bis „Tieke", irgendetwas in ihr sträubte sich
in allen Lebenslagen noch gegen das „S" als Anfangsbuch-
staben -aber das tat Stiele fast gar nichts. Tieke klang
auch sehr hübsch, und ein kleiner Anterton von liebevoller
Fürsorglichkeit schwang obendrein mit.
Im Sommer hatten wir viele Fliegen im Lause. Es gab
eine rechte Plage damit, und überdies hatten wir da noch
keine Ahnung, welche unter den vielen nun Stiele war. Das
stellte sich erst gegen den Winter heraus, als die ganze Fliegen-
gesellschaft ihr Lebe» ausgehaucht hatte, teils am Fliegenfänger,
teils aber auch unter der Lungerblockade, die meine Frau
über sie verhängt hatte, denn da das Volk der Fliegen nicht
dazu zu bewegen war, Lebensmittelkarten abzuliefern, so hielt
meine Frau grundsätzlich alles Eßbare unter Verschluß. Ein
nicht geringer Teil ging aber auch bei de» mörderischen Treib-
jagden meines wilden Sohnes Karl zugrunde. Nur eben Stiele
blieb als letzte ihres Geschlechtes übrig, obwohl Karlchen sein
Möglichstes tat, auch sie von der Bürde des Daseins im
Winter zu erlösen. Von der Stube rettete sie sich ins Schlaf-
zimmer, vom Schlafzimmer ins Badezimmer, von dort aus
durchs offene Fenster über den Los ins Küchenfenster hinein
-und dann ging über Flur und Zimmer die wilde Jagd
von vorne los. Mein Karl immer hinterher, zuerst eifrig, dann
schließlich erbittert und zuletzt wütend wie ein gereiztes Raub-
tier. Er knirschte mit den Zähnen und schlug blindlings drauf-
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Holzgenerator Platz machen müssen.“
los, doch als er dabei Mutters Parfümfläschchen vow
Frisiertisch herunterschlng, gebot ich entsetzt Einhalt.
Die Vorsehung hielt es offenkundig mit der Fliege.
„Lalt, iiieiii Sohn!“ ries ich und stürzte herbei. „Wik
müssen einsehen, daß uns kein Vollstreckungsurteil über
dieses Tierchen zusteht. Das Schicksal will es anders-^
„Was nun?" jammerte meine Frau, aber sie dachte
dabei nicht an Stiele, die derweil seelenruhig auf meine«»
Bette saß, sondern an ihr kostbares Parfüm, das heut'
zutage kaum zu ersetzen war. Karlchen verstand das wohi
und wollte sich zur Tür hinaus drnckeir. . .
„Lalt!" rief ich zum zweitenmal. „Es muß etwas
geschehen!"
sind dann geschah auch etivas. Feierlich stellte t#
Stiele in meiner Wohnung unter Naturschutz, feierlich
fand die Verleihung ihres anfangs genannten schönen,
schwierigen Namens statt, und feierlich mußten alst
Anwesenden geloben, das Leben Stieles zu achten und
ihre besonderen Fliegeneigenarten nicht mit Abscheu ä»
verfolgen, sintemalen die gebildeten Mitteleuropaer
ebenfalls genugsam allerlei Eigenarten an sich hätten,
über die man zwar mit Recht die Nase rümpfen könnte,
es jedoch nach stillschweigendem slebereinkomme» nichi
täte. Nichts störte diese feierliche Landlung, nur die
Mutter machte sich ein wenig bemerkbar. Natürlich, die
Frauen — wie das ja immer so ist!
itieke
Die Geschichte einer Wnikerfüege
Von Lerbert Lestiboudoid
Zuerst hatte ich ihr bett gravitätischen Namen „Dome-
stiekchen" verliehen. Eingeweihte, denen ein Leitfaden der
Zoologie kein Buch mit sieben Siegeln ist, werden wissen
warum. Denn siehe: unter der sechsten Ordnung der Insekten,
erste Gruppe: Fliegen, wird man unsere gemeine Stubenfliege
als „musca domestica“ verzeichnet finden. Aber „Domestiek'
chen" hielt nicht lange vor. Aeber „Stiekchen", das uns bald
zu hätschelig und tätschelig klang, gelangten wir zu „Stiele".
Das war in jeder Linsicht das Richtige. Ein prächtiger Name
für den Lausgebrauch: kurz, aber nicht langweilig wie etwa
Minna oder Meta, und dabei nicht zu hochtrabend, doch auch
nicht zu gering für eine Stubenfliege. Jeder gewöhnte sich
rasch daran, ohne deswegen mit der Zunge in gewagte sprach-
liche Konflikte zu kommen. Das heißt: unsere Allerjüngste
brachte es nur bis „Tieke", irgendetwas in ihr sträubte sich
in allen Lebenslagen noch gegen das „S" als Anfangsbuch-
staben -aber das tat Stiele fast gar nichts. Tieke klang
auch sehr hübsch, und ein kleiner Anterton von liebevoller
Fürsorglichkeit schwang obendrein mit.
Im Sommer hatten wir viele Fliegen im Lause. Es gab
eine rechte Plage damit, und überdies hatten wir da noch
keine Ahnung, welche unter den vielen nun Stiele war. Das
stellte sich erst gegen den Winter heraus, als die ganze Fliegen-
gesellschaft ihr Lebe» ausgehaucht hatte, teils am Fliegenfänger,
teils aber auch unter der Lungerblockade, die meine Frau
über sie verhängt hatte, denn da das Volk der Fliegen nicht
dazu zu bewegen war, Lebensmittelkarten abzuliefern, so hielt
meine Frau grundsätzlich alles Eßbare unter Verschluß. Ein
nicht geringer Teil ging aber auch bei de» mörderischen Treib-
jagden meines wilden Sohnes Karl zugrunde. Nur eben Stiele
blieb als letzte ihres Geschlechtes übrig, obwohl Karlchen sein
Möglichstes tat, auch sie von der Bürde des Daseins im
Winter zu erlösen. Von der Stube rettete sie sich ins Schlaf-
zimmer, vom Schlafzimmer ins Badezimmer, von dort aus
durchs offene Fenster über den Los ins Küchenfenster hinein
-und dann ging über Flur und Zimmer die wilde Jagd
von vorne los. Mein Karl immer hinterher, zuerst eifrig, dann
schließlich erbittert und zuletzt wütend wie ein gereiztes Raub-
tier. Er knirschte mit den Zähnen und schlug blindlings drauf-
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Tradition in Gefahr" "Jetzt weiß ichs ..."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1943
Entstehungsdatum (normiert)
1938 - 1948
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 198.1943, Nr. 5088, S. 70
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg