\
Urahn
um 1600 mit klugen Augen von seinem hohen Platz über dem
Kamin prüfend auf uns niederschaute.
„Das soll mein Urahn sein I" sagte der Lausherr erklärend,
worauf ich mich beeilte, die unleugbare Aehnlichkeit mit dem neben
Mir stehenden Sproß des Geschlechtes festzustellen. „Soll?!" rief ich
aus, „kein Zweifel, es sind die gleichen Augen, der gleiche durch-
geistigte Ausdruck, die gleiche Denkerstirn..!" Der Dichter lächelte:
»Und trotzdem habe ich Gründe, an der Echtheit meines Ahnen zu
zweifeln. Das Bild wurde mir vor einigen Jahren von einer
Kunsthandlung mit dem Linweis zum Kauf angeboten, daß es einen
Träger meines Namens darstelle, der deshalb sicherlich ein Mitglied
Meiner Sippe sei. Als ich das bezweifelte, meinte der tüchtige Kunst-
händler, die Möglichkeit sei nicht von der Land zu weisen, daß der
alte Lerr einmal auf Grund späterer Forschung als Glied meiner
^ihnenreihe erkannt würde. Ich habe daraufhin das Bild gekauft und
'hm einen Ehrenplatz, wie er einem Urahnen zukommt, gegeben."
Ich trat etwas zurück, um das Bildnis bester betrachten zu könne».
»Es ist ein Müller!" rief ich voll Aeberzeugung aus, „Sie sind ihm
>a wie aus dem Gesicht geschnitten!"
„So, meinen Sie?" Der große Dichter lächelte nachdenklich. „Ich
vergaß allerdings. Ihnen zu sagen, daß mein Urahn dort oben ...
heißt." Und an der Stelle, wo die Pünktchen stehen, nannte Emil
Müller seine» Dichternamen, unter dem ihr ihn alle kennt.
Ein Vergleich
Crooks, der an der Londoner Börse keine unbedeutende Rolle
spielt, ist bei Lapkins zum Tee eingelade» gewesen, aber er hat
seine Tochter Lilian allein hingeschickt, denn er hat einen ekelhaften
Rheumatismus im rechten Schulterblatt.
Crooks behaudelt sich selbst. Er hat ei» strammes Senfpflaster
auf die schmerzende Stelle gelegt, sich dann in eine» molligen Schlaf-
rock gehüllt und in einen behaglichen Sessel gesetzt. Allmählich ist
es dann auch wirklich bester geworden.
Endlich kommt Lilian nach Lause. Sie ist begeistert. „O, Daddy,
ich habe eine» reizenden amerikanischen Offizier kennen gelernt."
Crooks mag das nicht höre»; er knurrt: „Lapkin ist wohl verrückt
geworden, daß er einen Amerikaner eingeladen hat."
„Aber Daddy, es ist wirklich ein entzückender Mensch."
„Blödsinn! Amerikaner sind niemals entzückend."
„Aber sie helfen uns doch."
Crooks zieht sein Senfpflaster heraus und schmeißt es auf den
Boden. „Da — das hilft mir auch, aber entzückend ist es nicht."
Wer führt wen?
„Wohin so eilig, Lerr Müller?"
„Ich führe meinen Lund aus!"
Unheimliche Schatten auf der Mattscheibe
Bei der Rückkehr von einer Reise
fand Meisterdetektiv Styx auf sei-
nem Schreibtisch einen Brief vor. Er
war in großer Erregung geschrie-
ben. Zum Schluß hieß es: „Wäh-
rend unserer Abwesenheit muß ein
Fremder in die Wohnung kommen.
Wirerkennen es am Verbrauch des
elektrischen Lichtes. Bei der letzten
Stromrechnung wurde uns vor dem
Riesenbetrag schwindlig. Schreck-
lich, dieses Gefühl! Ist ein Ver-
brechen geplant? Auf den Matt-
scheiben der Türen glauben wir un-
heimliche Schatten zu sehen. Kom-
men Sie schnell, helfen Sie uns!"
Bald darauf läutete Styx an der
Wohnungstür des Briefschreibers.
Man öffnete. Mehrere Personen,
das hilfesuchende Ehepaar und
seine drei Töchter, standen in der
Diele. Alle machten sie einen stark
verängstigten Eindruck.
Blitzschnell stieß Styx die Rechte
vor. In ihr blitzte es auf. „Hände
hoch!"
Die Anwesenden rissen die Arme
aufwärts, als griffen sie in einer
Straßenbahnkurve nach den Halte-
gurten.
„Erschrecken Sie nicht!" beruhigte
Styx. „Kein Schießeisen, nur meine
Tabakspfeife. Ich bin Styx."
Der Hausherr hatte sich zuerst ge-
faßt. „Ich muß schon sagen, Herr
Styx," stammelte er, „Ihre Einfüh-
rung ist eigenartig."
Styx lächelte. „Ich wollte Sie nur
an Maßnahmen hindern," meinte
er, „die Ihre Zimmer und damit
den Beweis verdunkeln konnten."
Damit ging er zum elektrischen
Stromzähler. Sorgfältig untersuchte
er ihn. Dann durchschritt er die
Zimmer. „Habe mir’s gedacht,"
sagte er, „in allen Räumen Fest-
beleuchtung ! Kronen mit acht, zehn,
zwölf Birnen, dreiTischlampen, eine
Klavierampel! Kein Wunder, daß
die Uhr Ihres Stromzählers den
Drehwurm hat und daß Sie Kauf-
hausstromrechnungen zahlen müs-
sen! Wissen Sie, wer sich in Ihre
Wohnung eingeschlichen hat?"
„Wer denn?" kam es hastig wie
aus einem Munde.
„Kohlenklau! Wo Kohle, Gas
und Strom verplempert werden,
sitzt er auf dem Zählerzeiger und
fährt Karussell. Wozu muß sich
jedes Familienmitglied in seinem
eigenen Zimmer mit Vielfraßkron-
leuchter verkrümeln ?Setzen Sie sich
um den gemütlichen Familientisch,
begnügen Sie sich mit einer Ge-
meinschaftslampe! Sind die übri-
gen Zimmer dunkel, werden Sie
auch keine Schatten mehr auf der
Mattscheibe sehen."
Fliegende Blätter Nr. 5093 vom 11. März 1943
153
Urahn
um 1600 mit klugen Augen von seinem hohen Platz über dem
Kamin prüfend auf uns niederschaute.
„Das soll mein Urahn sein I" sagte der Lausherr erklärend,
worauf ich mich beeilte, die unleugbare Aehnlichkeit mit dem neben
Mir stehenden Sproß des Geschlechtes festzustellen. „Soll?!" rief ich
aus, „kein Zweifel, es sind die gleichen Augen, der gleiche durch-
geistigte Ausdruck, die gleiche Denkerstirn..!" Der Dichter lächelte:
»Und trotzdem habe ich Gründe, an der Echtheit meines Ahnen zu
zweifeln. Das Bild wurde mir vor einigen Jahren von einer
Kunsthandlung mit dem Linweis zum Kauf angeboten, daß es einen
Träger meines Namens darstelle, der deshalb sicherlich ein Mitglied
Meiner Sippe sei. Als ich das bezweifelte, meinte der tüchtige Kunst-
händler, die Möglichkeit sei nicht von der Land zu weisen, daß der
alte Lerr einmal auf Grund späterer Forschung als Glied meiner
^ihnenreihe erkannt würde. Ich habe daraufhin das Bild gekauft und
'hm einen Ehrenplatz, wie er einem Urahnen zukommt, gegeben."
Ich trat etwas zurück, um das Bildnis bester betrachten zu könne».
»Es ist ein Müller!" rief ich voll Aeberzeugung aus, „Sie sind ihm
>a wie aus dem Gesicht geschnitten!"
„So, meinen Sie?" Der große Dichter lächelte nachdenklich. „Ich
vergaß allerdings. Ihnen zu sagen, daß mein Urahn dort oben ...
heißt." Und an der Stelle, wo die Pünktchen stehen, nannte Emil
Müller seine» Dichternamen, unter dem ihr ihn alle kennt.
Ein Vergleich
Crooks, der an der Londoner Börse keine unbedeutende Rolle
spielt, ist bei Lapkins zum Tee eingelade» gewesen, aber er hat
seine Tochter Lilian allein hingeschickt, denn er hat einen ekelhaften
Rheumatismus im rechten Schulterblatt.
Crooks behaudelt sich selbst. Er hat ei» strammes Senfpflaster
auf die schmerzende Stelle gelegt, sich dann in eine» molligen Schlaf-
rock gehüllt und in einen behaglichen Sessel gesetzt. Allmählich ist
es dann auch wirklich bester geworden.
Endlich kommt Lilian nach Lause. Sie ist begeistert. „O, Daddy,
ich habe eine» reizenden amerikanischen Offizier kennen gelernt."
Crooks mag das nicht höre»; er knurrt: „Lapkin ist wohl verrückt
geworden, daß er einen Amerikaner eingeladen hat."
„Aber Daddy, es ist wirklich ein entzückender Mensch."
„Blödsinn! Amerikaner sind niemals entzückend."
„Aber sie helfen uns doch."
Crooks zieht sein Senfpflaster heraus und schmeißt es auf den
Boden. „Da — das hilft mir auch, aber entzückend ist es nicht."
Wer führt wen?
„Wohin so eilig, Lerr Müller?"
„Ich führe meinen Lund aus!"
Unheimliche Schatten auf der Mattscheibe
Bei der Rückkehr von einer Reise
fand Meisterdetektiv Styx auf sei-
nem Schreibtisch einen Brief vor. Er
war in großer Erregung geschrie-
ben. Zum Schluß hieß es: „Wäh-
rend unserer Abwesenheit muß ein
Fremder in die Wohnung kommen.
Wirerkennen es am Verbrauch des
elektrischen Lichtes. Bei der letzten
Stromrechnung wurde uns vor dem
Riesenbetrag schwindlig. Schreck-
lich, dieses Gefühl! Ist ein Ver-
brechen geplant? Auf den Matt-
scheiben der Türen glauben wir un-
heimliche Schatten zu sehen. Kom-
men Sie schnell, helfen Sie uns!"
Bald darauf läutete Styx an der
Wohnungstür des Briefschreibers.
Man öffnete. Mehrere Personen,
das hilfesuchende Ehepaar und
seine drei Töchter, standen in der
Diele. Alle machten sie einen stark
verängstigten Eindruck.
Blitzschnell stieß Styx die Rechte
vor. In ihr blitzte es auf. „Hände
hoch!"
Die Anwesenden rissen die Arme
aufwärts, als griffen sie in einer
Straßenbahnkurve nach den Halte-
gurten.
„Erschrecken Sie nicht!" beruhigte
Styx. „Kein Schießeisen, nur meine
Tabakspfeife. Ich bin Styx."
Der Hausherr hatte sich zuerst ge-
faßt. „Ich muß schon sagen, Herr
Styx," stammelte er, „Ihre Einfüh-
rung ist eigenartig."
Styx lächelte. „Ich wollte Sie nur
an Maßnahmen hindern," meinte
er, „die Ihre Zimmer und damit
den Beweis verdunkeln konnten."
Damit ging er zum elektrischen
Stromzähler. Sorgfältig untersuchte
er ihn. Dann durchschritt er die
Zimmer. „Habe mir’s gedacht,"
sagte er, „in allen Räumen Fest-
beleuchtung ! Kronen mit acht, zehn,
zwölf Birnen, dreiTischlampen, eine
Klavierampel! Kein Wunder, daß
die Uhr Ihres Stromzählers den
Drehwurm hat und daß Sie Kauf-
hausstromrechnungen zahlen müs-
sen! Wissen Sie, wer sich in Ihre
Wohnung eingeschlichen hat?"
„Wer denn?" kam es hastig wie
aus einem Munde.
„Kohlenklau! Wo Kohle, Gas
und Strom verplempert werden,
sitzt er auf dem Zählerzeiger und
fährt Karussell. Wozu muß sich
jedes Familienmitglied in seinem
eigenen Zimmer mit Vielfraßkron-
leuchter verkrümeln ?Setzen Sie sich
um den gemütlichen Familientisch,
begnügen Sie sich mit einer Ge-
meinschaftslampe! Sind die übri-
gen Zimmer dunkel, werden Sie
auch keine Schatten mehr auf der
Mattscheibe sehen."
Fliegende Blätter Nr. 5093 vom 11. März 1943
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Wer führt wen?"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1943
Entstehungsdatum (normiert)
1938 - 1948
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 198.1943, Nr. 5093, S. 153
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg