Das westöstliche Belt
so mache ich ja die ungeheuer schnelle Drehung des Erdballs rück-
wärts mit. Das darf nicht sein; das schadet mir; deshalb habe ich
mich immer am Morgen so matt und wie zerschlagen gefühlt; darum
bin ich nicht auf der Löhe gewesen. Das Bett muß herumgedreht
werden; es hat in westöstlicher Richtung zu stehen! —
Darauf ersuchte Anton sofort seine Zimmerwirtin, mit ihm ge-
meinsam die Bettstelle herumzuschieben. Die Frau wollte zwar nicht
einsehen, warum das auf einmal nötig sein sollte. Antons Linweis
auf die ungeheuer schnelle Drehung der Erdkugel überzeugte sie
nicht; sie meinte, wenn sich das Ding in ganzen 24 Stunden nur
einmal herumdrehe, sei das eher furchtbar langsam. Vielleicht glaubte
sie auch nicht so recht an die Kugelgestalt und die Drehung; sie
hatte das freilich vor langen Jahren in der Schule gelernt, aber
wohl wieder vergessen. Immerhin tat sie Anton, weil er ein lang-
jähriger treuer Mieter war, den Willen, doch hatte sie einen leichten
Aerger davon, denn es stellte sich bei dem Lerumrücken heraus, daß
der Fußboden hinten unter dem Bett nicht so sauber war, wie er
sein sollte, und das war ihr peinlich.-
So kam das westöstliche Bett zustande, und Anton Froböse schlief
in der ersten Nacht so vorzüglich darin, wie das gewöhnlich »ach
einer angenehm ermüdende», aber nicht allzu anstrengenden Bahn-
fahrt der Fall ist. Er war am nächsten Morgen frisch und munter,
und so blieb das auch fortan. Als eine Nebensächlichkeit mag hier-
bei erwähnt sein, daß jener Vetter, der auf Antons Gesellschaft bei
abendlichen Vergnügungen und alkoholischen Exzessen so großen
Wert gelegt hatte, während Antons Abwesenheit eine junge Dame
kennengelernt hatte, die ihre Absicht, geheiratet zu werden, forsch
und schnell durchzusetzen wußte. Der Vetter brauchte dann Antons
Gesellschaft nicht mehr, und für diese» hörte damit das lange Locken
bei Wein, Schnäpsen und schweren Zigarren auf.
Anton war also endlich wieder aus der begehrten Löhe, und
damit war für ihn der Segen des westöstlichen Bettes erwiesen. Er
verfehlte nicht, auch andere dieses Segens teilhaftig werden zu lassen
oder wenigstens den Versuch dazu zu machen. Bei Freunden und
Bekannten schnüffelte er herum, wie wohl deren Betten ständen,
und wenn, was sich häufig ergab, eine falsche und gar die böse Ost-
westrichtung festzustellen war, hielt er lange Vorträge und erging
sich in schauerlichen Schilderungen, welche entsetzlichen Siebet nach
und nach zu erwarten wären. Er stieß dabei aber oft auf Spott
und Ablehnung und bedauerte dann herzlich den nicht zu bekehrenden
Unglauben mancher selbst klaren Gründen sich verschließenden
Menschen. Es ergab sich ferner, daß er, inzwischen aufgerückt, öfter
Dienstreisen zu machen hatte und dabei in Lotels falsch aufgestellte
Betten vorfand, was er — denn in einem fremden Zimmer an
einem fremden Ort und dazu oft spät abends lassen sich die Lim-
melsrichtungen nicht gleich ersehen — mit einem zu diesem Zweck
angeschafften Taschenkompaß ermittelte. Er bestand dann stets, selbst
noch gegen Mitternacht, auf Amdrehen der Lagerstätte, und wenn
er dafür auch besondere Trinkgelder an Lausdiener und Stuben»
mädchen zu geben hatte, so tat er das doch gern für sein Wohl-
befinden und auch im menschenfreundlichen Interesse für »ach ihm
kommende Gäste. Daneben versuchte er, die Lotelbesitzer von der
dringenden Notwendigkeit solcher Art der Aufstellung der Betten
zu überzeugen, fand aber dabei meist Lässigkeit oder ablehnende
Witze, ja sogar Grobheit. Nur einmal gewann er einen vertrauens-
voll ihm glaubenden Mann, der nach Antons Anleitung in sämt-
lichen Zimmer» des Lotels, wo es nötig war, die entsprechende
Ordnung durchführte und dann sogar mit einem Plakat auf diesen
Vorzug seines Gasthofs hinwies. Wer also zufällig einmal in jenes
Lotel kommen sollte und ^das Plakat bemerkt, wird wissen, daß
Anton Froböse der eigentliche Arheber ist.-
Ja, und nun hat Antons westöstliches Bett schließlich noch eine
richtige Geschichte, und es entstand wirklich Segen daraus. Freilich
in ganz anderer Art.
Tante Iakobines Gatte, der für Anton der ziemlich fremde Onkel.
Albert gewesen war, dessen Abscheiden ihn nur um der Tante willen
anging, segnete das Zeitliche. Sehr schnell kam das in einer Nacht,
214
Macht der Gewohnheit
Der Mann, der täglich in der Straßenbahn stehen muß.
0d da§ Roosevelts schwache Beine aushalten?
nachdem er am Abend ein wenig geklagt hatte, daß ihm nicht recht
zumute wäre. Tante Iakobine hatte großen Kummer, doch auch eine
schwere Sorge drohte ihr. Albert hatte nicht nur eine kinderlose
Witwe hinterlassen, sondern auch einen Bruder. Aber ein Testament
war nicht zu finden, und so war nach dem Gesetz Tante Iakobine
so mache ich ja die ungeheuer schnelle Drehung des Erdballs rück-
wärts mit. Das darf nicht sein; das schadet mir; deshalb habe ich
mich immer am Morgen so matt und wie zerschlagen gefühlt; darum
bin ich nicht auf der Löhe gewesen. Das Bett muß herumgedreht
werden; es hat in westöstlicher Richtung zu stehen! —
Darauf ersuchte Anton sofort seine Zimmerwirtin, mit ihm ge-
meinsam die Bettstelle herumzuschieben. Die Frau wollte zwar nicht
einsehen, warum das auf einmal nötig sein sollte. Antons Linweis
auf die ungeheuer schnelle Drehung der Erdkugel überzeugte sie
nicht; sie meinte, wenn sich das Ding in ganzen 24 Stunden nur
einmal herumdrehe, sei das eher furchtbar langsam. Vielleicht glaubte
sie auch nicht so recht an die Kugelgestalt und die Drehung; sie
hatte das freilich vor langen Jahren in der Schule gelernt, aber
wohl wieder vergessen. Immerhin tat sie Anton, weil er ein lang-
jähriger treuer Mieter war, den Willen, doch hatte sie einen leichten
Aerger davon, denn es stellte sich bei dem Lerumrücken heraus, daß
der Fußboden hinten unter dem Bett nicht so sauber war, wie er
sein sollte, und das war ihr peinlich.-
So kam das westöstliche Bett zustande, und Anton Froböse schlief
in der ersten Nacht so vorzüglich darin, wie das gewöhnlich »ach
einer angenehm ermüdende», aber nicht allzu anstrengenden Bahn-
fahrt der Fall ist. Er war am nächsten Morgen frisch und munter,
und so blieb das auch fortan. Als eine Nebensächlichkeit mag hier-
bei erwähnt sein, daß jener Vetter, der auf Antons Gesellschaft bei
abendlichen Vergnügungen und alkoholischen Exzessen so großen
Wert gelegt hatte, während Antons Abwesenheit eine junge Dame
kennengelernt hatte, die ihre Absicht, geheiratet zu werden, forsch
und schnell durchzusetzen wußte. Der Vetter brauchte dann Antons
Gesellschaft nicht mehr, und für diese» hörte damit das lange Locken
bei Wein, Schnäpsen und schweren Zigarren auf.
Anton war also endlich wieder aus der begehrten Löhe, und
damit war für ihn der Segen des westöstlichen Bettes erwiesen. Er
verfehlte nicht, auch andere dieses Segens teilhaftig werden zu lassen
oder wenigstens den Versuch dazu zu machen. Bei Freunden und
Bekannten schnüffelte er herum, wie wohl deren Betten ständen,
und wenn, was sich häufig ergab, eine falsche und gar die böse Ost-
westrichtung festzustellen war, hielt er lange Vorträge und erging
sich in schauerlichen Schilderungen, welche entsetzlichen Siebet nach
und nach zu erwarten wären. Er stieß dabei aber oft auf Spott
und Ablehnung und bedauerte dann herzlich den nicht zu bekehrenden
Unglauben mancher selbst klaren Gründen sich verschließenden
Menschen. Es ergab sich ferner, daß er, inzwischen aufgerückt, öfter
Dienstreisen zu machen hatte und dabei in Lotels falsch aufgestellte
Betten vorfand, was er — denn in einem fremden Zimmer an
einem fremden Ort und dazu oft spät abends lassen sich die Lim-
melsrichtungen nicht gleich ersehen — mit einem zu diesem Zweck
angeschafften Taschenkompaß ermittelte. Er bestand dann stets, selbst
noch gegen Mitternacht, auf Amdrehen der Lagerstätte, und wenn
er dafür auch besondere Trinkgelder an Lausdiener und Stuben»
mädchen zu geben hatte, so tat er das doch gern für sein Wohl-
befinden und auch im menschenfreundlichen Interesse für »ach ihm
kommende Gäste. Daneben versuchte er, die Lotelbesitzer von der
dringenden Notwendigkeit solcher Art der Aufstellung der Betten
zu überzeugen, fand aber dabei meist Lässigkeit oder ablehnende
Witze, ja sogar Grobheit. Nur einmal gewann er einen vertrauens-
voll ihm glaubenden Mann, der nach Antons Anleitung in sämt-
lichen Zimmer» des Lotels, wo es nötig war, die entsprechende
Ordnung durchführte und dann sogar mit einem Plakat auf diesen
Vorzug seines Gasthofs hinwies. Wer also zufällig einmal in jenes
Lotel kommen sollte und ^das Plakat bemerkt, wird wissen, daß
Anton Froböse der eigentliche Arheber ist.-
Ja, und nun hat Antons westöstliches Bett schließlich noch eine
richtige Geschichte, und es entstand wirklich Segen daraus. Freilich
in ganz anderer Art.
Tante Iakobines Gatte, der für Anton der ziemlich fremde Onkel.
Albert gewesen war, dessen Abscheiden ihn nur um der Tante willen
anging, segnete das Zeitliche. Sehr schnell kam das in einer Nacht,
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Macht der Gewohnheit
Der Mann, der täglich in der Straßenbahn stehen muß.
0d da§ Roosevelts schwache Beine aushalten?
nachdem er am Abend ein wenig geklagt hatte, daß ihm nicht recht
zumute wäre. Tante Iakobine hatte großen Kummer, doch auch eine
schwere Sorge drohte ihr. Albert hatte nicht nur eine kinderlose
Witwe hinterlassen, sondern auch einen Bruder. Aber ein Testament
war nicht zu finden, und so war nach dem Gesetz Tante Iakobine
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Macht der Gewohnheit" "Ob das Roossevelts schwache Beine aushalten?"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1943
Entstehungsdatum (normiert)
1938 - 1948
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 198.1943, Nr. 5097, S. 214
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg