„Da schaut ihr! Ja, ich bin es! Ich kam mit dem früheren Zug!"
Es gab eine Begrüßung, daß Onkel Theodor glauben mußte, er
sei der Weihnachtsmann, Osterhase, und was es sonst noch an ge-
liebten Wesen des Schenkens gibt, in einer Person. Er stellte sein
Reisegepäck nieder. Der vorlaute Fritz, dem vor lauter Appetit auf
die versprochene Gans das Wasser aus dem Munde lies, stotterte:
„Lieber Onkel, die Gans?!"
„Ja, die Gans! Die ist schuld, daß ich mit dem früheren Zug
gefahren bin! Sie wollte früher in dör Stadt sein, wegen des
Mittagessens!"
„Onkel, immer zu Scherzen aufgelegt!" sagten wir, ei» armes
Lächeln versuchend. „Das wollte die Gans natürlich unseretwegen;
sie wollte, daß sie bis Mittag auch weich werde!"
„Das eigentlich nicht!" erwiderte der Onkel lachend. „Sie wollte
sich die Äaare färben lassen und bis zum Mittagessen damit fertig
sein. Ja, ihr werdet mir kaum glaube», wenn ich euch sage, daß
Tante Julie auf ihre alten Jahre eine eitle Gans geworden ist!
Ihr habt doch recht gehabt, als ihr die Tante Julie immer nur
,die Gans' betitelt habt! Ich nenne sie auch nur mehr so! Und nun
sitzt die Gans beim Friseur!"
Erich schwieg. Wir waren mehr als enttäuscht. Das sei ein
armes Geschichtchen, ohne Pointe, ohne Witz, und ohne
„ — ohne Phantasie, ja, da habt ihr recht!" sagte Erich. „Aber
dafür ist dieses Geschichtchen wahr. Und was das bedeutet, weiß
nur der Arme, der sie erlebt hat!"
Kleine Chronik
Die Engländer haben in Syrien versucht, Freiwillige als Fall-
schirinjäger zu finden; es haben sich aber nur drei Mann gemeldet.
Wenn es wenigstens vier gewesen wären; dann hätte man von
einem glückbringenden vierblättrigc» Kleeblatt sprechen können.
Reuter hat berichtet, daß der Exgeneral Giraud bei seiner Ein-
kunft in Algier von der Bevölkerung mit Jubel begrüßt worden
sei; man habe ihm Massen von Mimosensträußchen zugeworfen.
Vielleicht hatte er Lorbeerkränze erwartet. Aber die Mimosen
paßten besser; sie sind sehr empfindlich und welken schnell.
*
Laguardias Albtraum von seinem ersten Auftreten
als Gouverneur Nordafrikas
„Oh horrible, mir träumte, ich sei geprellt worden!"
„Als ,Ober‘ um die Zeche?“ — „No, viel gemeiner!"
bas Gefchichtchen von der Gans
Von Josef Robert Sarrer
Es dürfte wohl selten im Laufe der Zeit so viel über das eßbare
Geflügel gesprochen worden sein wie jetzt. Auch wir machten keine
Ausnahme. Da seufzte Erich; dann erzählte er uns das Geschichtchen.
Vor einiger Zeit war Onkel Theodors Geburts-
fog. Von allen unseren Verwandten zeigte Theodor
in unserer Phantasie das schönste Bild; denn er
besaß eine kleine Landwirtschaft, wo es manche Dinge
gab, die sür einen Städter in dieser Zeit usw. . . .
Deshalb waren unsere Glückwünsche auch besonders
herzlich ausgefallen, viel inniger als im vorigen Jahr.
^Dir hatten den lieben Onkel sogar eingeladen, uns
doch wieder einmal zu besuchen; wir würden ihn ins
Theater, ins Kino, in Museen führen. Bald daraus
kam ein Antwortschreiben des lieben Onkels.
„ . . . Und da ihr mich so freundlich eingeladen
habt, will ich wirklich aus Besuch zu euch kommen,
kholt mich Dienstag um elf Uhr vom Bahnhof ab.
Damit ihr eine große Freude habt, will ich auch
b>e Gans milbringen! . . ."
Die Gans! Die Stunden bis zur elften Vor-
^ittagsstunde des Dienstags waren mit Erwartung
erfüllt, die wir in die schönsten Worte kleideten.
Die schönste Königstochter im Märchen konnte ver-
gleichsweise nicht prächtiger gekleidet sein als unsere
Erwartung.
Der Dienstag kam. Schon um zehn Ahr wollten
^ir uns auf den Weg machen, obwohl wir nur ein
baar Minuten zum Bahnhof hatten. In diesem Augen-
blick läutete es. Onkel Theodor stand lächelnd vor
^°r Türe.
Lleppige Schönheit „Wollen Sie nicht bei Ihrer Freundin Lilde ein Wort
für mich einlegen? Sie ist mein Traum!"
„Mein Gott, wie kann man bloß so schwereTräume haben?"
283
Es gab eine Begrüßung, daß Onkel Theodor glauben mußte, er
sei der Weihnachtsmann, Osterhase, und was es sonst noch an ge-
liebten Wesen des Schenkens gibt, in einer Person. Er stellte sein
Reisegepäck nieder. Der vorlaute Fritz, dem vor lauter Appetit auf
die versprochene Gans das Wasser aus dem Munde lies, stotterte:
„Lieber Onkel, die Gans?!"
„Ja, die Gans! Die ist schuld, daß ich mit dem früheren Zug
gefahren bin! Sie wollte früher in dör Stadt sein, wegen des
Mittagessens!"
„Onkel, immer zu Scherzen aufgelegt!" sagten wir, ei» armes
Lächeln versuchend. „Das wollte die Gans natürlich unseretwegen;
sie wollte, daß sie bis Mittag auch weich werde!"
„Das eigentlich nicht!" erwiderte der Onkel lachend. „Sie wollte
sich die Äaare färben lassen und bis zum Mittagessen damit fertig
sein. Ja, ihr werdet mir kaum glaube», wenn ich euch sage, daß
Tante Julie auf ihre alten Jahre eine eitle Gans geworden ist!
Ihr habt doch recht gehabt, als ihr die Tante Julie immer nur
,die Gans' betitelt habt! Ich nenne sie auch nur mehr so! Und nun
sitzt die Gans beim Friseur!"
Erich schwieg. Wir waren mehr als enttäuscht. Das sei ein
armes Geschichtchen, ohne Pointe, ohne Witz, und ohne
„ — ohne Phantasie, ja, da habt ihr recht!" sagte Erich. „Aber
dafür ist dieses Geschichtchen wahr. Und was das bedeutet, weiß
nur der Arme, der sie erlebt hat!"
Kleine Chronik
Die Engländer haben in Syrien versucht, Freiwillige als Fall-
schirinjäger zu finden; es haben sich aber nur drei Mann gemeldet.
Wenn es wenigstens vier gewesen wären; dann hätte man von
einem glückbringenden vierblättrigc» Kleeblatt sprechen können.
Reuter hat berichtet, daß der Exgeneral Giraud bei seiner Ein-
kunft in Algier von der Bevölkerung mit Jubel begrüßt worden
sei; man habe ihm Massen von Mimosensträußchen zugeworfen.
Vielleicht hatte er Lorbeerkränze erwartet. Aber die Mimosen
paßten besser; sie sind sehr empfindlich und welken schnell.
*
Laguardias Albtraum von seinem ersten Auftreten
als Gouverneur Nordafrikas
„Oh horrible, mir träumte, ich sei geprellt worden!"
„Als ,Ober‘ um die Zeche?“ — „No, viel gemeiner!"
bas Gefchichtchen von der Gans
Von Josef Robert Sarrer
Es dürfte wohl selten im Laufe der Zeit so viel über das eßbare
Geflügel gesprochen worden sein wie jetzt. Auch wir machten keine
Ausnahme. Da seufzte Erich; dann erzählte er uns das Geschichtchen.
Vor einiger Zeit war Onkel Theodors Geburts-
fog. Von allen unseren Verwandten zeigte Theodor
in unserer Phantasie das schönste Bild; denn er
besaß eine kleine Landwirtschaft, wo es manche Dinge
gab, die sür einen Städter in dieser Zeit usw. . . .
Deshalb waren unsere Glückwünsche auch besonders
herzlich ausgefallen, viel inniger als im vorigen Jahr.
^Dir hatten den lieben Onkel sogar eingeladen, uns
doch wieder einmal zu besuchen; wir würden ihn ins
Theater, ins Kino, in Museen führen. Bald daraus
kam ein Antwortschreiben des lieben Onkels.
„ . . . Und da ihr mich so freundlich eingeladen
habt, will ich wirklich aus Besuch zu euch kommen,
kholt mich Dienstag um elf Uhr vom Bahnhof ab.
Damit ihr eine große Freude habt, will ich auch
b>e Gans milbringen! . . ."
Die Gans! Die Stunden bis zur elften Vor-
^ittagsstunde des Dienstags waren mit Erwartung
erfüllt, die wir in die schönsten Worte kleideten.
Die schönste Königstochter im Märchen konnte ver-
gleichsweise nicht prächtiger gekleidet sein als unsere
Erwartung.
Der Dienstag kam. Schon um zehn Ahr wollten
^ir uns auf den Weg machen, obwohl wir nur ein
baar Minuten zum Bahnhof hatten. In diesem Augen-
blick läutete es. Onkel Theodor stand lächelnd vor
^°r Türe.
Lleppige Schönheit „Wollen Sie nicht bei Ihrer Freundin Lilde ein Wort
für mich einlegen? Sie ist mein Traum!"
„Mein Gott, wie kann man bloß so schwereTräume haben?"
283
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Laguardias Albtraum von seinem ersten Auftreten als Gouverneur Nordafrikas" "Ueppige Schönheit"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1943
Entstehungsdatum (normiert)
1938 - 1948
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 198.1943, Nr. 5102, S. 283
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg