Königlicher Empfang des Verräterkönigs
König Fußball
Elternhaus und Schule, das hatte kein Gewicht und stand nur störend
auf dem Wege, der zum Mittelstürmer des Jahrhunderts führte.
Ich war nicht Sohn der Eltern mehr, nicht Schüler und nicht Zög-
ling der erwachsenen Welt —ich war Trabant des Fußballs.
So war denn alles ganz einfach und ohne Konflikte auf diesem
Weg ins Leben. Welch eine glücklich unkomplizierte und dabei muntere
Regelung des Tageslaufs —: der Fußball lenkte unsere Schritte früh
bis spät; denn Fußball war uns alles aus den Wegen, Straßen,
Tummelplätzen unserer Jugend — ob es die weggcworfene, leere
Sardinenbüchse war, Kastanien, die von den Bäumen purzelten,
Papierknäuel und Lumpenfetzen oder auch Lolzstücke, faulige Kar-
toffeln, die in der Gosse lagen, und Abfälle und Gegenstände jeder
Art und Form-Fußball war alles, und alles wurde uns zum
Fußball! Die Beine zuckten und die Füße trippelten danach — und
beides, Weg und Ziel, sie lagen klar und offen: der Schuß ins Zen-
trum und das Tor zur Welt (zur damaligen!). Ich höre noch die
Rufe, die uns Feuer machten, sehe heute noch die kleinen Bälle
meines Schwesterleins, eines nach dem anderen, vor meinen Füßen
rollen, bis sie in Straßensielen, fremden Fenstern, Lösen, Gärten,
einer nach dem anderen, unwiederbringlich in Verlust gerieten . . .
sehe noch die dicken, runde» Tränentrauertropfen auf. den Wangen
meines Schwesterleins und höre noch das Schimpfen meiner Mutter -
-aber es war Triumph in mir, es ging um Kampf unv Sieg
und leidenschaftlichen Aufruhr in der Knabcnseele, war das Sich-
fühlen und Schwelgen in der jungen Kraft und ungefesselten Be-
wegung! Nichts galten Schwcstertränen um verlorene bunte Bälle,
nichts der Mutter böse Worte; denn diese Worte waren nicht meine
Sprache, waren nicht Sprache des Fußballs und der Sportfelder,
die allein mich und uns, die Lalbwüchsigen, zur Gefolgschaft rief.
Es hat viele, viele Scheltworte, viele Strafen auch gegeben. And
wenn ich sagte, daß im Grunde alles ganz einfach und unproble-
matisch war, solange wir Fußball spielten, so war das Leben dennoch
208
nicht ohne Konflikte. Aber sie waren keine Folgen des Fußballs,
sondern Folgen des Krieges und der Notzeit hinterher; denn es
gab keine Stiefel für uns Jungen und kein Leder, um die zerrissenen
und durchgetretenen Schuhe zu besohlen, wenn ich von Straße und
Sportplatz heimkam. Auch der'Fußball forderte, wie jede Leidenschaft,
sein Opfer, forderte Lingabe nicht nur mit Leib und Seele, sondern
auch allen Schuhzeugs, das ich, arm genug damals, besaß. And ich
opferte — bedenkenlos, opferte immer wieder jede Sohle, jede Kappe,
jede Naht meiner Schuhe, die der Vater mühevoll zusammengeflickt
hatte! . . .
„Ich verbiete dir das Fußballspielen!" schimpfte bald der Vater,
bald die Mutter. „Wir können nicht nur für dein Schuhzeug ar-
beiten. Es ist auch rüpelhaft, dieses Spiel — und alles vernach-
lässigst du: deine Schularbeiten machst du nicht, deine Zeugnisse
werden immer schlechter-ich verbiete es, ein für alle Male!
Acht Tage kommst du nicht mehr auf die Straße!"
Ach, Vater, Mutter! — was wußtet ihr, was ahntet ihr? Ich
war doch besessen. Ich mußte doch aus dem Fenster gehen, wenn
ich Stubenarrest hatte — es ging doch nicht anders, ich fehlte doch
in der jungen Mannschaft! Lätte ich mich auslachen lassen sollen
von den Kameraden? Ach, Vater, Mutter! — ich konnte doch mein
Lerz nicht aus dem Leibe reißen. Ich mußte trotzen, mußte heimlich
tun, was ich offen nicht durfte, mußte lügen, daß ich zur gemeinsamen
Schularbeit einen Hrmeraden aussuchte, wenn der Nachmittag des
Wettspiels gekommen war, mußte die unersetzlichen Stiefel immer
wieder hundert Tode sterben lassen, damit nicht viel unersetzlicheres
Lebensgefühl starb und verdarb, mußte deine Scheltworte schlucken,
Mutter, deine Prügel klaglos hinnehmen, Vater, wenn es gar zu
arg wurde mit meinem Lumpenfußzeug, mußte leiden an euch, den
Lehrern, unter meinen schlimme» Vieren in Mathematik und — o
weh! — auch in Religion, leiden, nichts als leiden um des Fußballs
willen! Aber ich litt gern mit zusammengebissenen Zähneri; denn
mein war ja darum doch die heimliche Krone der jungen Stürmer
König Fußball
Elternhaus und Schule, das hatte kein Gewicht und stand nur störend
auf dem Wege, der zum Mittelstürmer des Jahrhunderts führte.
Ich war nicht Sohn der Eltern mehr, nicht Schüler und nicht Zög-
ling der erwachsenen Welt —ich war Trabant des Fußballs.
So war denn alles ganz einfach und ohne Konflikte auf diesem
Weg ins Leben. Welch eine glücklich unkomplizierte und dabei muntere
Regelung des Tageslaufs —: der Fußball lenkte unsere Schritte früh
bis spät; denn Fußball war uns alles aus den Wegen, Straßen,
Tummelplätzen unserer Jugend — ob es die weggcworfene, leere
Sardinenbüchse war, Kastanien, die von den Bäumen purzelten,
Papierknäuel und Lumpenfetzen oder auch Lolzstücke, faulige Kar-
toffeln, die in der Gosse lagen, und Abfälle und Gegenstände jeder
Art und Form-Fußball war alles, und alles wurde uns zum
Fußball! Die Beine zuckten und die Füße trippelten danach — und
beides, Weg und Ziel, sie lagen klar und offen: der Schuß ins Zen-
trum und das Tor zur Welt (zur damaligen!). Ich höre noch die
Rufe, die uns Feuer machten, sehe heute noch die kleinen Bälle
meines Schwesterleins, eines nach dem anderen, vor meinen Füßen
rollen, bis sie in Straßensielen, fremden Fenstern, Lösen, Gärten,
einer nach dem anderen, unwiederbringlich in Verlust gerieten . . .
sehe noch die dicken, runde» Tränentrauertropfen auf. den Wangen
meines Schwesterleins und höre noch das Schimpfen meiner Mutter -
-aber es war Triumph in mir, es ging um Kampf unv Sieg
und leidenschaftlichen Aufruhr in der Knabcnseele, war das Sich-
fühlen und Schwelgen in der jungen Kraft und ungefesselten Be-
wegung! Nichts galten Schwcstertränen um verlorene bunte Bälle,
nichts der Mutter böse Worte; denn diese Worte waren nicht meine
Sprache, waren nicht Sprache des Fußballs und der Sportfelder,
die allein mich und uns, die Lalbwüchsigen, zur Gefolgschaft rief.
Es hat viele, viele Scheltworte, viele Strafen auch gegeben. And
wenn ich sagte, daß im Grunde alles ganz einfach und unproble-
matisch war, solange wir Fußball spielten, so war das Leben dennoch
208
nicht ohne Konflikte. Aber sie waren keine Folgen des Fußballs,
sondern Folgen des Krieges und der Notzeit hinterher; denn es
gab keine Stiefel für uns Jungen und kein Leder, um die zerrissenen
und durchgetretenen Schuhe zu besohlen, wenn ich von Straße und
Sportplatz heimkam. Auch der'Fußball forderte, wie jede Leidenschaft,
sein Opfer, forderte Lingabe nicht nur mit Leib und Seele, sondern
auch allen Schuhzeugs, das ich, arm genug damals, besaß. And ich
opferte — bedenkenlos, opferte immer wieder jede Sohle, jede Kappe,
jede Naht meiner Schuhe, die der Vater mühevoll zusammengeflickt
hatte! . . .
„Ich verbiete dir das Fußballspielen!" schimpfte bald der Vater,
bald die Mutter. „Wir können nicht nur für dein Schuhzeug ar-
beiten. Es ist auch rüpelhaft, dieses Spiel — und alles vernach-
lässigst du: deine Schularbeiten machst du nicht, deine Zeugnisse
werden immer schlechter-ich verbiete es, ein für alle Male!
Acht Tage kommst du nicht mehr auf die Straße!"
Ach, Vater, Mutter! — was wußtet ihr, was ahntet ihr? Ich
war doch besessen. Ich mußte doch aus dem Fenster gehen, wenn
ich Stubenarrest hatte — es ging doch nicht anders, ich fehlte doch
in der jungen Mannschaft! Lätte ich mich auslachen lassen sollen
von den Kameraden? Ach, Vater, Mutter! — ich konnte doch mein
Lerz nicht aus dem Leibe reißen. Ich mußte trotzen, mußte heimlich
tun, was ich offen nicht durfte, mußte lügen, daß ich zur gemeinsamen
Schularbeit einen Hrmeraden aussuchte, wenn der Nachmittag des
Wettspiels gekommen war, mußte die unersetzlichen Stiefel immer
wieder hundert Tode sterben lassen, damit nicht viel unersetzlicheres
Lebensgefühl starb und verdarb, mußte deine Scheltworte schlucken,
Mutter, deine Prügel klaglos hinnehmen, Vater, wenn es gar zu
arg wurde mit meinem Lumpenfußzeug, mußte leiden an euch, den
Lehrern, unter meinen schlimme» Vieren in Mathematik und — o
weh! — auch in Religion, leiden, nichts als leiden um des Fußballs
willen! Aber ich litt gern mit zusammengebissenen Zähneri; denn
mein war ja darum doch die heimliche Krone der jungen Stürmer
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Königlicher Empfang der Verräterkönigs"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1943
Entstehungsdatum (normiert)
1938 - 1948
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 199.1943, Nr. 5126, S. 208
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg