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Anzüglich „Gestatten, Fräulein, daß ich Ihnen einen Mottensack
anbiete, der schließt noch dichter!"

IlyriF mit kzindemissm

Die Straßenbahnen verkehren heute in größeren Zeitabständen,
aus begreiflichen Gründen. Das hat mancherlei private und
öffentliche Folgen. Dazu gehören die kürzeren und längeren
Wartezeiten, die sich an den Haltestellen ergebe». Mein Freund
Erich Pflegt jede freie Minute nutzbringend zu verwenden, so
widmete er heute morgen seine Wartezeit an der Haltestelle
Marienstraße einer gleichfalls wartenden jungen Dame. Uner-
müdlich strich er an ihr vorüber, zunächst um ein allseitiges Bild
von ihr zu gewinnen, und, als dieses befriedigend ausfiel, um
ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, seine eigene Person
freundlicher Beachtung zu empfehlen, kurz zur eigenen Reklame.
Damit hatte er bis zur Ankunft der nächsten „15" schon einen
ganz netten Anfangserfolg erzielt. Er war mit sich zufrieden:
Er machte immer noch Eindruck, verfehlte die gewünschte Wir-
kung nicht.

Eben rasselte die „15" an. Hurtig kletterte Erich hinter der
jungen Dame in den Wagen und ließ sich ihr gegenüber nieder.
Zur Inszenierung der üblichen lyrischen Pantomime. Er ließ
seine Augen zwinkern, schmachten, flackern, sprühen, wandte jede
Dialektik des Lächelns auf. Sie zwinkerte, flackerte, sprühte zurück.
Schon war das angeregteste Zwiegespräch der Physiognomien
im Gange.

Die Straßenbahn hielt, neue Fahrgäste stiegen zu. Anter ihnen
ein junger Mann, der sich keck in die schmale Lücke zur Rechten
der jungen Dame zwängte. Er musterte sie frech von der Seite,
räusperte sich reklamehaft, wackelte kokett mit seinem Oberbau.
Ein widerlicher Bursche mit richtigen Gockelmanieren, taxierte
Erich voreingenommen und schmiß ihm verächtliche Blicke zu.
Der andere grinste höhnisch zurück und schielte dreist die junge
Dame an. In Erich stieg ritterlicher Ingrimm auf: Sollte er den
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infamen Kerl in Grund und Boden hauen, der seine Dame mit
zynischein Geglotze zu beflecken wagte? Schon skizzierte er im
Geist eine ganze Serie nachhaltigster Körperverletzungen. Seine
Friedlichkeit aber gewann schließlich die Oberhand über die ris-
kante Kampflust: Ach was, mit solch einem Lassen ließ man sich
nicht ein! Man ignorierte ihn, dann war er überhaupt nicht da!
Auch die junge Dame würdigte ihn keines Blickes. Selbstver-
ständlich, sie hatte sofort erkannt, wer Kavalier und wer Prolet
war. Geschmeichelt genoß Erich seinen vermeintlichen Wert.

Wieder hielt die Elektrische. Ein ganzer Volksstamm schob
sich ins Wageninnere und baute sich als dichte Menschenmauer
im Gange zwischen den beiden Sitzreihen auf. Zu Erichs Herze-
leid. Versperrt war ihm der Blick in die augenblicklich schönsten
Augen der Welt, das so hoffnungsvoll eingeleitete Zwiegespräch
der Physiognomien mußte verstuinmen. Der mächtige Bauch, der
sich vor ihm aufgepflanzt hatte, ließ keine Lyrik durch.

Der Koloß muß beseitigt werden, der unserem Gefühlsleben
im Wege steht, beschloß Erich. Auf friedfertige Weise selbstver-
ständlich, wie es bei Kolossen ratsam ist. „Darf ich Sie bitten,
gütigst meinen Platz einzunehmen?" lispelte er an dem Bauch
empor. „Danke sehr, ich stehe gern," brummte der kurzangebunden
herab. Im Einblick auf die Dringlichkeit des Falles verdoppelte
Erich seine Inständigkeit: „Ich überlasse Ihnen mit größtem
Vergnügen meine Sitzgelegenheit. Ich kann nicht glauben, daß
Sie gerne stehen. Sie tragen doch zu schwer an Ihrer Last." —
„Ich verbitte mir Ihre Anzüglichkeiten," schrie der Koloß herab,
„mein Bauch geht Sie gar nichts an!"

Ratlos blickte Erich an der Menschenmauer entlang: Sie war
ausschließlich männlichen Geschlechtes. Keine einzige Frau befand
sich darunter, an die er mühelos seinen Platz losgeworden wäre.
Aber wenn er doch noch einen Versuch mit dem Nachbarn des
unfreundlichen Bauches machte? Der war so schlank, daß er in
einer höflichen Platzofferte keine Anzüglichkeit argwöhnen konnte.
„Darf ich vielleicht Ihnen meinen Sitz antragen?" wagte Erich
mit schüchternem Augenaufschlag. Leider geriet er an einen noch
unfreundlicheren Zeitgenossen. „Bleiben S' sitzen," knurrte der,
„und bringen S' keine Störung in den Betrieb. Jeder andere tät
sich freu'n, wenn er hocken könnt'. Sie aber scheint Ihr Sitzfleisch
zu jucken. Sie narrischer Kampel!"

Donnerndes Gelächter lief die Sitz- und Stehreihen entlang.
Beschämt sank Erich auf dem Platz zusammen, von dem ihn
niemand erlöste. Gottseidank war die Endstation nahe, dann durste

(Fortsetzung auf S. 198)

„Immer nur der Kopf, gibt's denn kein Brustbild von Ihnen?"
„O Sie Schlimmer, Sie Busenfreund, Sie!"
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Anzüglich" "Immer nur der Kopf, gibt's denn ken Brustbild von Ihnen?"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Croissant, Eugen
Entstehungsdatum
um 1944
Entstehungsdatum (normiert)
1939 - 1949
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift
Weltkrieg <1939-1945>

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 200.1944, Nr. 5152, S. 5152_196

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Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
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