Ein gerissenes Unternehme»
Gretchen kommt mit einem Korb Wäsche in den Garten und be-
ginnt, die Wäsche auf die bereits gezogene Leine zu hängen. Sie
summt wehmütig vor sich hin: „Ach, wie ist's möglich dann-"
Bastian klettert über den Zaun und erblickt Gretchen: „Grüß
Gott, mein holdes Mädchen! Sind wir ohne Zeugen? Belauscht
uns auch niemand?"
Was war das? Das kam mir doch so bekannt vor. Schnell
blätterte ich weiter: Bastian muß fürchten, von den Franzosen
die im Orte sind, festgenommen zu werden. Richtig — sie kriegen
ihn. Bastians eigener Vater, der Müller liefert ihn aus — aller-
dings unwissentlich. Bevorstehende Exekution. Der Dorftrottel läßt
eine Kiste in den Bach fallen-und so weiter. And zum Schlüsse
rufen alle dreimal Lurra!
„Die Wutzacher" - das waren also auch „Die Ankelshorster",
und die Ankelshorster waren die Wutzacher, und Leinrich Pommrehn
war auch Günther Macheleit. Lier trug er einen echt thüringischen
und dort einen echt hinterpvmmerschen Namen. Darum also hatte
er jedes Lokalkolorit vermieden; darum also hatte er nicht von
Pöttchenkraug oder Gloppsow oder Schliewe sprechen können, sondern
nur vom Nachbardorfe, das in Wuhach an der Eagle, wie ich fest-
stellte, Vehsa oder Runkelstedt, Osmannsburg oder Sulzfeld hätte
heißen müssen. Dieser Heinrich Pommrehn oder Günther Macheleit
war ja ein gerissener Kerl; hier und dort hatte er in jeder Saison
einen sicheren Absatz für sein Iammerstück zu erwarten.
Ich blieb nicht lange in Wutzach an der Saale. An die Nord-
see fuhr ich, nach Swienbüll an der holsteinischen Küste. Da gab es
einen „Badebasar", und als ich dort etwas Lektüre suchte — was
fand ich? „Die Swienbüller" fand ich, von Detlev Lärms, was ein
echt holsteinischer Name ist. Diesmal aber kaufte ich das Buch nicht
aus Voreiligkeit, sondern der Kontrolle halber. Ich ahnte schon,
was ich würde lesen müssen. Richtig: Vaterländisches Schauspiel in
3 Akte». Franzosenzeit. Gretchen und Bastian. „Grüß Gott, mein
holdes Mädchen!" Nachbardorf. Dorftrottel. Kiste. Lurra!-
Ein Jahr später war ich im Bade Potensiel in Ostfriesland.
Lier habe ich die „Potensteler" gefunden, von Onno Geerts, was
ein echt friesischer Name ist. Wieder ein Jahr später habe ich an
der samländischen Küste, nämlich in Kurpelle», von Otto Stantien,
was ein echt ostpreußischer Name ist, die „Kurpellener" entdeckt und
in der Danziger Gegend die „Schippkauer" von Artur Trösten, was
ei» echt Danziger Name ist. Am es kurz zu machen: mit Lilfe von
Freunden und Bekannten habe ich dann noch mehr Ausgaben des
vaterländischen Schauspiels aufgespürt: im Larz die „Ilserodener",
im Riesengebirge die „Koppelbaudener", auf dem Fischlande die
„Riehägener"-und so weiter. Ja, sogar Oberbayer» war ver-
treten, mit den „Niedertupfingern" von Korbinian Baudrexl. Aber
hier hak der viel benamste Autor mit seinem vaterländischen Schau-
spiel doch eine glatte Anmöglichkeit aufgestellt. Bastians herziges
„Grüß Gott!" paßt freilich nach Niedertupfinge», aber sonst nichts
weiter — die Beziehungen zwischen Bayern und Frankreich waren
1812 nicht so gestaltet, wie es das Schauspiel voraussetzt. Das hätte
Korbinian Baudrexl bedenken müsse»; aber er wollte eben sein fik-
tives Lokalopus auch in Oberbayern an Sommergäste loswerde».
Im ganze» habe ich also 18 Ausgaben ausfindig gemacht. Aber
das ist wohl sicher: es hat noch viel mehr gegeben; Deutschland hat
ja so viele Bade- und Kurorte. Angenommen, das Buch sei in rund
hundert Orten vertrieben worden, dann wurden in jedem Jahr etwa
50000 Exemplare abgesetzt. Lat in zehn Jahren eine halbe Million
gemacht, das Stück zu 3 Mark. And dabei war das Buch ja billig
herzustellen, in Stereotypdruck; nur Amschlag und Titelseite waren
für jeden Ort besonders zu drucken.
Ja, das ist ein Geschäft gewesen, ein knolliges Geschäft, und da-
rauf kam es damals im Literaturbetriebe doch hauptsächlich an.
Wieviel mag wohl der unbekannte Autor, jener Keinrich Pommrehn,
Günther Macheleit, Detlev Lärms, Onno Geerts usw., davon ab-
bekommen haben? Vielleicht lebt er noch irgendwo behaglich als
Rentner, fröhlich zurückblickend auf die gewinnreichen Tage seines
in so viele Maske» gehüllten pseudonymen Auftretens. Aber am
Ende hat er auch in der Loffnung, daß es immer so weitergehen
werde, das leicht verdiente Geld bald verjuxt und sitzt nun kümmer-
lich da.
Das möchte man beinahe wünsche».
Kleine Chronik
Der Vorsitzende des Kongreßausschusses zur „Antersuchung un-
amerikanischer Vorgänge", Martin Dies, hat einigen ASA-Sendern
Stillegung angedroht wegen „unamerikanischer Nachrichten"; es soll
sich dabei um kommunistische Agitation gehandelt haben.
Gar so unamerikanisch wäre das doch nicht. Es gibt aber manch-
mal Darbietungen der Sender, die vollkommen unamerikanisch sind;
wenn z. B. Musik von Mozart oder Beethoven gesendet wird.
Beratung „Sie gefallen mir gar nicht, meine Dame!"
„Sie sind auch nicht mein Typ, Lerr Doktor!"
259
Gretchen kommt mit einem Korb Wäsche in den Garten und be-
ginnt, die Wäsche auf die bereits gezogene Leine zu hängen. Sie
summt wehmütig vor sich hin: „Ach, wie ist's möglich dann-"
Bastian klettert über den Zaun und erblickt Gretchen: „Grüß
Gott, mein holdes Mädchen! Sind wir ohne Zeugen? Belauscht
uns auch niemand?"
Was war das? Das kam mir doch so bekannt vor. Schnell
blätterte ich weiter: Bastian muß fürchten, von den Franzosen
die im Orte sind, festgenommen zu werden. Richtig — sie kriegen
ihn. Bastians eigener Vater, der Müller liefert ihn aus — aller-
dings unwissentlich. Bevorstehende Exekution. Der Dorftrottel läßt
eine Kiste in den Bach fallen-und so weiter. And zum Schlüsse
rufen alle dreimal Lurra!
„Die Wutzacher" - das waren also auch „Die Ankelshorster",
und die Ankelshorster waren die Wutzacher, und Leinrich Pommrehn
war auch Günther Macheleit. Lier trug er einen echt thüringischen
und dort einen echt hinterpvmmerschen Namen. Darum also hatte
er jedes Lokalkolorit vermieden; darum also hatte er nicht von
Pöttchenkraug oder Gloppsow oder Schliewe sprechen können, sondern
nur vom Nachbardorfe, das in Wuhach an der Eagle, wie ich fest-
stellte, Vehsa oder Runkelstedt, Osmannsburg oder Sulzfeld hätte
heißen müssen. Dieser Heinrich Pommrehn oder Günther Macheleit
war ja ein gerissener Kerl; hier und dort hatte er in jeder Saison
einen sicheren Absatz für sein Iammerstück zu erwarten.
Ich blieb nicht lange in Wutzach an der Saale. An die Nord-
see fuhr ich, nach Swienbüll an der holsteinischen Küste. Da gab es
einen „Badebasar", und als ich dort etwas Lektüre suchte — was
fand ich? „Die Swienbüller" fand ich, von Detlev Lärms, was ein
echt holsteinischer Name ist. Diesmal aber kaufte ich das Buch nicht
aus Voreiligkeit, sondern der Kontrolle halber. Ich ahnte schon,
was ich würde lesen müssen. Richtig: Vaterländisches Schauspiel in
3 Akte». Franzosenzeit. Gretchen und Bastian. „Grüß Gott, mein
holdes Mädchen!" Nachbardorf. Dorftrottel. Kiste. Lurra!-
Ein Jahr später war ich im Bade Potensiel in Ostfriesland.
Lier habe ich die „Potensteler" gefunden, von Onno Geerts, was
ein echt friesischer Name ist. Wieder ein Jahr später habe ich an
der samländischen Küste, nämlich in Kurpelle», von Otto Stantien,
was ein echt ostpreußischer Name ist, die „Kurpellener" entdeckt und
in der Danziger Gegend die „Schippkauer" von Artur Trösten, was
ei» echt Danziger Name ist. Am es kurz zu machen: mit Lilfe von
Freunden und Bekannten habe ich dann noch mehr Ausgaben des
vaterländischen Schauspiels aufgespürt: im Larz die „Ilserodener",
im Riesengebirge die „Koppelbaudener", auf dem Fischlande die
„Riehägener"-und so weiter. Ja, sogar Oberbayer» war ver-
treten, mit den „Niedertupfingern" von Korbinian Baudrexl. Aber
hier hak der viel benamste Autor mit seinem vaterländischen Schau-
spiel doch eine glatte Anmöglichkeit aufgestellt. Bastians herziges
„Grüß Gott!" paßt freilich nach Niedertupfinge», aber sonst nichts
weiter — die Beziehungen zwischen Bayern und Frankreich waren
1812 nicht so gestaltet, wie es das Schauspiel voraussetzt. Das hätte
Korbinian Baudrexl bedenken müsse»; aber er wollte eben sein fik-
tives Lokalopus auch in Oberbayern an Sommergäste loswerde».
Im ganze» habe ich also 18 Ausgaben ausfindig gemacht. Aber
das ist wohl sicher: es hat noch viel mehr gegeben; Deutschland hat
ja so viele Bade- und Kurorte. Angenommen, das Buch sei in rund
hundert Orten vertrieben worden, dann wurden in jedem Jahr etwa
50000 Exemplare abgesetzt. Lat in zehn Jahren eine halbe Million
gemacht, das Stück zu 3 Mark. And dabei war das Buch ja billig
herzustellen, in Stereotypdruck; nur Amschlag und Titelseite waren
für jeden Ort besonders zu drucken.
Ja, das ist ein Geschäft gewesen, ein knolliges Geschäft, und da-
rauf kam es damals im Literaturbetriebe doch hauptsächlich an.
Wieviel mag wohl der unbekannte Autor, jener Keinrich Pommrehn,
Günther Macheleit, Detlev Lärms, Onno Geerts usw., davon ab-
bekommen haben? Vielleicht lebt er noch irgendwo behaglich als
Rentner, fröhlich zurückblickend auf die gewinnreichen Tage seines
in so viele Maske» gehüllten pseudonymen Auftretens. Aber am
Ende hat er auch in der Loffnung, daß es immer so weitergehen
werde, das leicht verdiente Geld bald verjuxt und sitzt nun kümmer-
lich da.
Das möchte man beinahe wünsche».
Kleine Chronik
Der Vorsitzende des Kongreßausschusses zur „Antersuchung un-
amerikanischer Vorgänge", Martin Dies, hat einigen ASA-Sendern
Stillegung angedroht wegen „unamerikanischer Nachrichten"; es soll
sich dabei um kommunistische Agitation gehandelt haben.
Gar so unamerikanisch wäre das doch nicht. Es gibt aber manch-
mal Darbietungen der Sender, die vollkommen unamerikanisch sind;
wenn z. B. Musik von Mozart oder Beethoven gesendet wird.
Beratung „Sie gefallen mir gar nicht, meine Dame!"
„Sie sind auch nicht mein Typ, Lerr Doktor!"
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Trinke tu i da Moscht gern, aber net trage!" "Beratung"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1944
Entstehungsdatum (normiert)
1939 - 1949
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 200.1944, Nr. 5157, S. 5157_259
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg