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Wohnu ngsnoth.

„Was für ein Tischler?" fragte er immer ungeduldiger.
Sie cntgcgnete wie früher: „No, der sich vor zwei
Jahren hier den Hals abgcschnittcn hat."
Nun fing Müller an zu begreifen und lächelnd sagte er:
„Das ist allerdings sehr traurig, aber was geht das mich an?"
Mit großer Wichtigkeit erklärte sie ihm endlich: „Der
Tischler geht ja da um!"
Müller platzte mit einem Hellen Gelächter heraus, die
Lisel bekreuzte sich vor ihm und flüchtete hinunter, von wo ihm
das heitere Lachen des alten Hanptmanns entgegen scholl, indem
er zugleich rief: „Kommen Sie nur herunter, Herr Müller, ich
will Sie über das a'nfklüren, was die dumme Gans Ihnen sagte."
Beim Frühstück und einer Pfeife Tabak erzählte nun der
I Hauptmann folgende Geschichte: „Vor zwei Jahren gehörte
dieses Hans einem Tischler, Wittwcr mit drei Kindern, er war
kränklich und in Folge dessen gänzlich verschuldet, das Haus
sollte ihm cxecntirt werden, und in seiner Dcsparation schnitt
er seinen Kindern und sich den Hals ab. Da verbreitete sich
das Gerücht, daß er als Geist hier umgeht, und wegen dieser
Spukgeschichte fanden sich keine Käufer; ich scherte mich nichts
darum und kaufte das Hans billig. Nachdem ich es vollkom-
I men restaurirt, wollte ich den ersten Stock vermiethen, — nicht
! möglich. Die Wohnungsnot!) großer Städte, wo man selbst zum
Teufel in's Quartier zöge, kennen wir hier noch nicht, und so
hielt sich von dem als unheimlich erklärten Quartier Alles fern.
! Ich moblirte es deßhalb auf's Beste und dachte an Kurgäste
wegen der Nähe der Salinen. Richtig bekam ich eine Familie,
aber auch diese verließ die Wohnung schon nach einer Woche
unter irgend passendem Vorwände, und wie ich durch Dienstboten
es erfuhr, daß auch diese Familie durch das Spnkgespenst vertrieben
wurde, so war dieses auch bald in der ganzen Stadt bekannt
und damit der Spnk in meinem Hause besiegelt. Nun war Alles
umsonst, theils Aberglaube, theils auch Neid verscheuchte mir
jede Wohnung suchende Partei; — da kamen endlich Sie. —
Ich dachte, über Comödiantcn wagen sich die Gespenster nicht,
und der Schauspieler wird dir den Teufel auStreiben!" Ein
herzliches Gelächter, in welches Müller mit einstimmte, beschloß
nun diese einfache Erzählung.
„Sie haben Recht," begann jetzt Müller, „der Spnk hat
mir nichts angethan und ich habe prächtig geschlafen!"
„Erzählen Sie es nur auch im Gasthanse," sagte der
Hauptmann, „so gelegentlich, aber als wenn Sie nichts wüßten."
„Lassen Sie mich nur machen," fiel Müller ein, „ich
werde der Dummheit und dem Aberglauben ganz ordentlich
entgegen treten, und in kurzer Zeit soll man sich um Ihre Wohn-
ung reißen, wie in Wien um ein Gewölbe ans dem Stefansplatz."
„Bravo!" schrie der Hauptmann, „und Sie bleiben mein
Gast, so lange Sie hier sind."
Müller schlug in die dargereichte Hand: „Abgemacht!"
und so war das Bündnis; für den Kampf gegen Dummheit
und Aberglauben geschlossen.
Nach dem Theater finden wir Müller im Gasthause an
dem sogenannten Honvratiorcntisch, wo er freundlich aus-
genommen war. Durch seine Gegenwart erlitt der gewöhn-

liche Stadtklatsch eine wohlthncndc Unterbrechung, schon deßhalb
war er ein geduldeter Gesellschafter. Er wußte aber auch
besser zu antworten, als die Anwesenden zu fragen und so kam
es, daß man ihn bald mit einer gewissen wohlwollenden
Achtung behandelte. Nachdem das Gespräch sich eine Weile
um Theatergcschichten gedreht, sagte der Herr Landrichter zu
den Anwesenden: „Wissen Sie schon, daß unser Herr Müller
endlich ein Quartier gefunden?"
„So? Na also! Das ist gescheit! Wo denn?" so
ging es am Tische der ländlichen Spießbürger herum; Jeder
hatte es ihm gewünscht, aber Keiner hatte es ihm gegeben.
Der Herr Landrichter setzte sich in Positur, als ob er ein
Urthcil verkünden wollte und antwortete: „Beim Hauptmann
wohnt er." Diese Worte erregten einen Zauber, wie in
dem Märchen Dornröschen. Alle waren Plötzlich wie verstei-


nert! Der Eine behielt den Mund angclwcit offen, ein An-
derer sein Bierglas am Munde, ohne zu trinken, ein Dritter
hielt seine Tabakpfeife in der Lust und so weiter, als wäre die
ganze Gesellschaft zum Photographien hergerichtet, um ein
echtes Bild des Spießbürgerthums zu liefern. Endlich löste
sich die allgemeine Erstarrung in einige „so" und „ah" auf, die
nächsten Nachbarn Müllers rückten sogar ihre Sessel etwas
weiter und Alle betrachteten ihn, wie ein besonderes Thier,
welches noch keine Menagerie in den Ort brachte.
„Sie scheinen Alle sehr überrascht," brach Müller das
Schweigen, „ist es denn gar so etwas Besonderes, daß ich bei
dem Hauptmann wohne?"
Einer sah den Andern an, Einer stieß den Andern mit
dem Ellenbogen, und die Schafsgesichter gingen beinahe in das
Schöpsene über. Der Landrichter, um die guten Leutchen ans
der Verlegenheit zu bringen, sagte endlich: „Das Ganze ist

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Wohnungsnoth"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
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Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Spitzer, Emanuel
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

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Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
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In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 59.1873, Nr. 1479, S. 163

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