Unter dem Bette. 3
„Die Sache fangt gut an!" rief Lindberg.
Indem der Pastor in das ihm angewiesene Coups kletterte,
warf Jener einen Blick hinein. „Eine Dame! Allein! Aha!
Nun, gute Beute für den Anfang! Viel Glück!"
Der Schaffner warf die Thüre zu — von draußen er-
tönte noch das laute Lachen Lindbergs — der Zug setzte sich
in Bewegung. Erpel sah sich um: er war nicht allein. In
einer Ecke lag oder lehnte eine wunderliche Menge von Pelzen
und Kleidungsstücken, wie sie einer eleganten Dame angehören
— man hätte das Alles für unbelebt halten können, wäre nicht
die Spitze dieses Hansens mit einem zierlichen Pelzbarett ge-
krönt gewesen, unter welchem zwei unruhig funkelnde Augen
hervorblitzten.
Das Coups war, wie das trotz Reichs-Eisenbahnamt- und
Bahnpolizei-Reglement nur allzu oft vorkommt, wenig oder gar
nicht geheizt. Fröstelnd drückte Erpel sich in seine Ecke und
schlug den Rockkragen in die Höhe. Ein unruhiges Zucken in
dem Haufen da drüben begleitete seine Bewegung. „Und deß-
wegen bezahlt man die erste Klasse," dachte Erpel, welcher zum
ersten Male das Innere eines solchen Coupss sah. „Die paar
Spiegel erwärmen doch keinen Menschen! Da ist es ja noch
besser in der dritten Klasse, wo sich denn doch die Menge
gegenseitig wärmt! Freilich, wenn man so wohl verwahrt ist,
wie die da drüben —" Sein Blick begegnete dem der beiden
leuchtenden Angen, welche ihn durchbohren zu wollen schienen. J
„Weßhalb denn Die da drüben mich nur so aufmerksam be-
trachtet? Lieber Gott, sie schämt sich wohl, in Gesellschaft
meines schäbigen Anzuges zu fahren? Ja, ich möchte ihr ja
gern sagen, daß ich eigentlich gar keine Berechtigung dazu habe,'
hier zu sitzen — aber am Ende kann es ihr doch gleich sein.
Gewiß habe ich sie im Schlafe gestört — ja, ich schliefe auch
gern, wenn es nur nicht so kalt wäre." Er zog den wollenen
Shawl weit über Kinn und Ohren herauf.
Unter den Pelzen in der anderen Ecke wurde eine heftige
Bewegung sichtbar.
„Die arme Person scheint an nervösen Zuckungen zu
leiden! Da wird ihr diese Kälte auch nicht wohlthun! Es
ist wirklich abscheulich!" Erpel kauerte sich ineinander, fuhr
aber sogleich wieder ans. Er hatte vergessen, daß er Lindberg's
Revolver in der Brusttasche trug; derselbe hatte ihn schmerzhaft
gedrückt. „Ja so, der war's! Nun, ich werde ihn neben
mich legen. Es mag wunderlich genug aussehen, ein Pastor
mit solch einem Mordgewehr!" Er zog den Revolver hervor
und besah ihn.
Unter den Pelzen ertönte ein kurzes Klirren.
„Recht saubere Arbeit! Hoffentlich ist er nicht mehr ge-
laden. Der Lindberg in seinem Leichtsinne — Au!" Ein
schmerzhafter Schlag hatte seine Hand getroffen; der Revolver
fiel zur Erde: Erpel fühlte zwei Hände, welche ihm die Kehle
zudrückten.
„Nichtswürdiger! Nicht ohne Kampf zum Wenigsten!"
rief.eine helle Stimme.
Erpel würgte in Todesangst. Er griff nach seinem Halse
und fühlte zwei kleine, mit Handschuhen bekleidete Hände, von
denen er die eine mit Mühe ein wenig entfernte. „Aber so
lassen Sie — grrrr — so lassen Sie doch!"
„Elender!"
Erpel glaubte zu ersticken. Er rüttelte wieder an den
ihn erdrosselnden Fingern. „Hülfe! — grrrr! — Feuer! —
grrrr! — Mord!"
Brausend donnerte der Courierzng durch die Finsterniß
dahin, jedes andere Geräusch übertäubend.
„Hülfe! — grrrr — Mörder!"
„Schurke, Du wagst es, noch zu rufen?"
„Hülse! Hülse!"
„Ein Mörder, der um Hülfe ruft? Seltsam!"
Die Finger lösten sich plötzlich von seinem Hälse; eine
! dunkle Gestalt blickte sich plötzlich zu Boden: Erpel fühlte sich
frei. Ties aufathmend blickte er um sich. In dem schmalen
! Gange, welcher das Coups theilte, stand hochaufgerichtet eine
Dame, die Mündung des Revolvers, den sie vom Boden auf-
gehoben hatte, ihm entgegen haltend. „Rühren Sie sich nicht,
oder ich schieße!" rief sie ihn an.
(Fortsetzung folgt.)
Großer Sieg der Russen.
Bom Kriegsschauplatz.
(Naturaufnahme uusers Specialartisten.)
1*
„Die Sache fangt gut an!" rief Lindberg.
Indem der Pastor in das ihm angewiesene Coups kletterte,
warf Jener einen Blick hinein. „Eine Dame! Allein! Aha!
Nun, gute Beute für den Anfang! Viel Glück!"
Der Schaffner warf die Thüre zu — von draußen er-
tönte noch das laute Lachen Lindbergs — der Zug setzte sich
in Bewegung. Erpel sah sich um: er war nicht allein. In
einer Ecke lag oder lehnte eine wunderliche Menge von Pelzen
und Kleidungsstücken, wie sie einer eleganten Dame angehören
— man hätte das Alles für unbelebt halten können, wäre nicht
die Spitze dieses Hansens mit einem zierlichen Pelzbarett ge-
krönt gewesen, unter welchem zwei unruhig funkelnde Augen
hervorblitzten.
Das Coups war, wie das trotz Reichs-Eisenbahnamt- und
Bahnpolizei-Reglement nur allzu oft vorkommt, wenig oder gar
nicht geheizt. Fröstelnd drückte Erpel sich in seine Ecke und
schlug den Rockkragen in die Höhe. Ein unruhiges Zucken in
dem Haufen da drüben begleitete seine Bewegung. „Und deß-
wegen bezahlt man die erste Klasse," dachte Erpel, welcher zum
ersten Male das Innere eines solchen Coupss sah. „Die paar
Spiegel erwärmen doch keinen Menschen! Da ist es ja noch
besser in der dritten Klasse, wo sich denn doch die Menge
gegenseitig wärmt! Freilich, wenn man so wohl verwahrt ist,
wie die da drüben —" Sein Blick begegnete dem der beiden
leuchtenden Angen, welche ihn durchbohren zu wollen schienen. J
„Weßhalb denn Die da drüben mich nur so aufmerksam be-
trachtet? Lieber Gott, sie schämt sich wohl, in Gesellschaft
meines schäbigen Anzuges zu fahren? Ja, ich möchte ihr ja
gern sagen, daß ich eigentlich gar keine Berechtigung dazu habe,'
hier zu sitzen — aber am Ende kann es ihr doch gleich sein.
Gewiß habe ich sie im Schlafe gestört — ja, ich schliefe auch
gern, wenn es nur nicht so kalt wäre." Er zog den wollenen
Shawl weit über Kinn und Ohren herauf.
Unter den Pelzen in der anderen Ecke wurde eine heftige
Bewegung sichtbar.
„Die arme Person scheint an nervösen Zuckungen zu
leiden! Da wird ihr diese Kälte auch nicht wohlthun! Es
ist wirklich abscheulich!" Erpel kauerte sich ineinander, fuhr
aber sogleich wieder ans. Er hatte vergessen, daß er Lindberg's
Revolver in der Brusttasche trug; derselbe hatte ihn schmerzhaft
gedrückt. „Ja so, der war's! Nun, ich werde ihn neben
mich legen. Es mag wunderlich genug aussehen, ein Pastor
mit solch einem Mordgewehr!" Er zog den Revolver hervor
und besah ihn.
Unter den Pelzen ertönte ein kurzes Klirren.
„Recht saubere Arbeit! Hoffentlich ist er nicht mehr ge-
laden. Der Lindberg in seinem Leichtsinne — Au!" Ein
schmerzhafter Schlag hatte seine Hand getroffen; der Revolver
fiel zur Erde: Erpel fühlte zwei Hände, welche ihm die Kehle
zudrückten.
„Nichtswürdiger! Nicht ohne Kampf zum Wenigsten!"
rief.eine helle Stimme.
Erpel würgte in Todesangst. Er griff nach seinem Halse
und fühlte zwei kleine, mit Handschuhen bekleidete Hände, von
denen er die eine mit Mühe ein wenig entfernte. „Aber so
lassen Sie — grrrr — so lassen Sie doch!"
„Elender!"
Erpel glaubte zu ersticken. Er rüttelte wieder an den
ihn erdrosselnden Fingern. „Hülfe! — grrrr! — Feuer! —
grrrr! — Mord!"
Brausend donnerte der Courierzng durch die Finsterniß
dahin, jedes andere Geräusch übertäubend.
„Hülfe! — grrrr — Mörder!"
„Schurke, Du wagst es, noch zu rufen?"
„Hülse! Hülse!"
„Ein Mörder, der um Hülfe ruft? Seltsam!"
Die Finger lösten sich plötzlich von seinem Hälse; eine
! dunkle Gestalt blickte sich plötzlich zu Boden: Erpel fühlte sich
frei. Ties aufathmend blickte er um sich. In dem schmalen
! Gange, welcher das Coups theilte, stand hochaufgerichtet eine
Dame, die Mündung des Revolvers, den sie vom Boden auf-
gehoben hatte, ihm entgegen haltend. „Rühren Sie sich nicht,
oder ich schieße!" rief sie ihn an.
(Fortsetzung folgt.)
Großer Sieg der Russen.
Bom Kriegsschauplatz.
(Naturaufnahme uusers Specialartisten.)
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Vom Kriegsschauplatz"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 67.1877, Nr. 1667, S. 3
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg