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Der Herr Bankier Löwe befindet sich in großer Verlegen-
heit. Er besitzt eine Frau mit den zartesten Nerven von der
Welt. Diese Frau, die mit leidenschaftlicher Liebe an ihrem
Vater hängt, hat schon seit sieben Wochen von diesem keinen
Brief erhalten. Die Sache hat auch ihren einfachen, doch
traurigen Grund, denn besagter Vater ist vor vier Wochen plötz-
lich gestorben. Niemand in der ganzen Familie hatte bis jetzt
das Herz, der jungen nervösen Frau diesen harten Schlag mit-
zutheilen, und Herr Löwe, dem als Gatten diese Pflicht am
nächsten lag, konnte sich nicht entschließen, seiner Frau die Wahr-
heit zu gestehen. — In seiner Noth wendet er sich an seinen
alten Freund Nelkenthal. Dieser erklärt sich auch endlich bereit,
den schwierigen Auftrag zu übernehmen. „Laß' mich nur machen,"
sagt er, „wenn sich Niemand traut, Ich werde schon verstehen,
Deiner Frau die Unglücksnachricht auf eine feine Art bei-
zubringen!" — Und am Nachmittage sehen wir Herrn Nelken-
thal der jungen Frau stumm gegenüber sitzen. Lange, bange,
stumme Panse. Endlich aber beginnt die Frau das Gespräch:
„Herr Nelkenthal, ich bin in der größten Besorgniß; denken Sic
sich, schon seit sieben Wochen erhalte ich von meinem Vater
keinen Brief!" — „Was?" sagt Lilienthal, „sieben Wochen?
ist das eine Zeit? Mein Vater ist schon 39 Jahre
todt und ich Hab' noch keinen Brief von ihm!"
Neues Lied.
Ach, cs hört die Welt mit Schauer
Von so mancher Morithat,
Die zu allgemeiner Trauer
Schrecklich sich ereignet hat!
Ja mit Grausen hört's das Ohr:
So 'was kommt noch heute vor!
D'rum, o Mensch, bedenk' cs klüglich
Und geh' in dich bei der Zeit,
Denn oft schnell und unverzüglich
Hin ist diese Zeitlichkeit!
Bums, ein Knall, und puff ein Stoß
Und du bist dein Leben los.
Ist dein Hals auch noch so feste:
Fröhlich wird er durchgesägt!
Ist von Leder auch die Weste:
In das Herz die Kugel schlägt!
Selbst der allcrdickste Kopf
Wird zertrümmert wie ein Topf.
Darum, ivcr in diesen Tagen
Noch das Leben froh genießt,
Nicht crmcsscrt, nicht erschlagen
Oder sonst gemördert ist:
Dankbar sei er dem Geschick,
Daß verschont ward sein Genick.
Und den Göttern soll er bringen
Eine wohlgcbrat'nc Gans,
Und das Punschglas opfernd schwingen
In der Freunde frohem Kranz!
Fehlt noch einer oder zwei —
Nun, ich helfe gern dabei!
H. Seidel.
Der Herr Bankier Löwe befindet sich in großer Verlegen-
heit. Er besitzt eine Frau mit den zartesten Nerven von der
Welt. Diese Frau, die mit leidenschaftlicher Liebe an ihrem
Vater hängt, hat schon seit sieben Wochen von diesem keinen
Brief erhalten. Die Sache hat auch ihren einfachen, doch
traurigen Grund, denn besagter Vater ist vor vier Wochen plötz-
lich gestorben. Niemand in der ganzen Familie hatte bis jetzt
das Herz, der jungen nervösen Frau diesen harten Schlag mit-
zutheilen, und Herr Löwe, dem als Gatten diese Pflicht am
nächsten lag, konnte sich nicht entschließen, seiner Frau die Wahr-
heit zu gestehen. — In seiner Noth wendet er sich an seinen
alten Freund Nelkenthal. Dieser erklärt sich auch endlich bereit,
den schwierigen Auftrag zu übernehmen. „Laß' mich nur machen,"
sagt er, „wenn sich Niemand traut, Ich werde schon verstehen,
Deiner Frau die Unglücksnachricht auf eine feine Art bei-
zubringen!" — Und am Nachmittage sehen wir Herrn Nelken-
thal der jungen Frau stumm gegenüber sitzen. Lange, bange,
stumme Panse. Endlich aber beginnt die Frau das Gespräch:
„Herr Nelkenthal, ich bin in der größten Besorgniß; denken Sic
sich, schon seit sieben Wochen erhalte ich von meinem Vater
keinen Brief!" — „Was?" sagt Lilienthal, „sieben Wochen?
ist das eine Zeit? Mein Vater ist schon 39 Jahre
todt und ich Hab' noch keinen Brief von ihm!"
Neues Lied.
Ach, cs hört die Welt mit Schauer
Von so mancher Morithat,
Die zu allgemeiner Trauer
Schrecklich sich ereignet hat!
Ja mit Grausen hört's das Ohr:
So 'was kommt noch heute vor!
D'rum, o Mensch, bedenk' cs klüglich
Und geh' in dich bei der Zeit,
Denn oft schnell und unverzüglich
Hin ist diese Zeitlichkeit!
Bums, ein Knall, und puff ein Stoß
Und du bist dein Leben los.
Ist dein Hals auch noch so feste:
Fröhlich wird er durchgesägt!
Ist von Leder auch die Weste:
In das Herz die Kugel schlägt!
Selbst der allcrdickste Kopf
Wird zertrümmert wie ein Topf.
Darum, ivcr in diesen Tagen
Noch das Leben froh genießt,
Nicht crmcsscrt, nicht erschlagen
Oder sonst gemördert ist:
Dankbar sei er dem Geschick,
Daß verschont ward sein Genick.
Und den Göttern soll er bringen
Eine wohlgcbrat'nc Gans,
Und das Punschglas opfernd schwingen
In der Freunde frohem Kranz!
Fehlt noch einer oder zwei —
Nun, ich helfe gern dabei!
H. Seidel.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Schlechter Trost" "Neues Lied"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 67.1877, Nr. 1677, S. 87
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg