Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
204

Die Vergangenheit.

meiner Schauspielerlaufbahn her kannte, besuchte mich zuweilen und j
erheiterte und zerstreute mich in den Stunden, die ich nicht mit j
Lesen, Schreiben oder Stndiren ausfüllen mochte.

Da lernte ich bei entfernten Verwandten in Neu-Strelitz, die
ich auf einer kleinen Spritztour besuchte, ein junges Mädchen kennen,
das mir durch ihre Schönheit, ihre einfache, gewählte Toilette und
durch ihr bescheidenes, sittsames Wesen ungemein auffiel.

Als ich aber erst erfuhr, daß dieses holden Engels Hand noch
nie ein Piano berührt, sondern, geleitet von kunstverständigem,
häuslichem Sinn, sich mit Kochtöpfen und dergleichen beschäftigt, da
vergaß ich meine neununddreißig und erklärte der siebzehnjährigen
Klara, die ich besser hätte als Tochter betrachten sollen, meine Liebe, ;
fand Erwiederung und Erhörung und wurde — wie die landes- }
übliche Phrase lautet — glücklicher Bräutigam.

Du lieber Him-
mel, als ob ein
Bräutigam „glück-
lich" wäre! Es ist
eine entsetzliche
Zeit! — „Lieber
Karl" — ich heiße
nämlich Karl —

„zu Müllers
müssen wir auch
noch — die Visite
dürfen wir nicht
unterlassen!" —

„Schwiegersohn,
wünschen Sie die
Plüschgarnitur in
grün oder blau?

Klara hätte sic gern in blau!" — Wozu
nur die Frage? Anstandshalber muß man ;

doch wie ein Papagei „blau, blau!" rufen,
und wenn man diese Farbe auch entsetzlich findet.

Dann folgen die Einkäufe. Klara kommt mit der Mama nach
Berlin. „Karl, heut' fährst Du mit mir zu „Herzog"! Du mußt
mir doch den Stoff zu den seidenen Kleidern auswählen helfen, die
Papa mir mitgcbcn will!" — Es geht also zu Herzog! — Hat
der geneigte Leser schon einmal Kleiderzcng mit Damen zusammen
gekauft, dann weiß er, was das heißt. Es ist haarsträubend!

Dazu kommen noch die grinsenden, feixenden Gesichter von den
guten Bekannten. Die Verheiratheten betrachten' uns mit einem
halb schadenfrohen, halb mitleidigen Lächeln, die Unverheiratheten
inachen sich auf die unverschämteste Art und Weise über einen lustig,
und die jungen Damen kehren uns energisch den Rücken, als hätte
man ihnen die Schleppe abgetreten, oder einen verlorenen Zopf mit
der bescheidenen Frage: „Gehört der Ihnen, mein Fräulein?"
überreicht.

Mein Freund, der Komiker Eugen Kraft, war der Unausstehlichste
der Unausstehlichen. Abgesehen von den Scherzen, zu denen ihm
das Alter meiner Klara und das meinige Veranlassung gab, betete
er mir Schopenhauers Aussprüche über die Frauen jeden Tag vor.
Dann führte er mir Scenen aus meinem zilkünftigen Eheleben —
selbstverständlich keine angenehmen — mit drastischer Natürlichkeit
vor Augen und bat mich um die Erlaubniß, tagtäglich bei mir, so-
bald ich verheirathet sei, anzufragen, ob ich mich glücklich fühle, was
ich ihm lachend gewährte.

Nachdem ich also auf diese Weise fünfzehn Wochen gemartert
worden war, der Hund einer alten Gehcimräthin, die zu besuchen

Klara für unser Eheglück unumgänglich nothwendig hielt, mir mein
schwarzes Beinkleid zerrissen, die Söhne von dem Onkel meiner
Braut ans meinem Cylinder einen Chapeau-claque gemacht hatten,
eine neue Wohnung gemiethet, nmgezogen, mir meine Sammlung
von Kupferstichen dabei rninirt worden war und ich den Anblick
von so und so viel Küchennymphen genossen hatte, die meiner
Gattin die Last der Hansfrauenwürde tragen helfen wollten, nahte
der große Tag meiner Vermählung heran.

An: Tage vorher kam Kraft. „Na, mein Junge", sagte er,
als er sich gemüthlich in einen neuen, blauen Plüschfantenil nieder-
gelassen hatte, „heute bist Du zum letzten Male Herr im Hause!
Fünfzehn Wochen lang haben sie Dich in Essig gelegt und gespickt,
morgen wirst Du gebraten, und nachher von Sorgen und Weibern
mit gutem Appetit verzehrt. — Was hilft Dir nun das Vermögen
Deines Onkels? Der gute Mann wollte Dich sorgenfrei machen.
Morgen dreht er sich im Grabe herum, wenn er sieht, welche Last
Du Dir auf die Schultern geladen. Sein Wille war es sicher nicht,
sonst hätte er Dir eine Frau gleich mit dazu vermacht. . . Im Mai
hast Du Deine Braut kennen gelernt und am fünfzehnten September
läßt Du Dich schon trauen. Du solltest doch wissen, daß man, um
einen Menschen zu kennen, erst einen Scheffel Salz mit ihm essen
soll! . . . Wirst Du denn eine Hochzeitsreise machen?"

„Nein, ich will meine Ruhe haben!"

Kraft lachte. „Das ist noch nicht dagewesen", rief er, „vcr
heirathet sich der Mensch, um Ruhe zu haben! Das ist ebenso, als
wenn Jemand schreit, „ich tvill leben — leben", und springt in den
Fluß. Ruhe — die ist nur im Jnnggcsellenstande zu finden! Wir
waren so glücklich, Du in Deinen Träumereien, und ich konnte bei
Dir gemüthlich plaudern. Das hat nun Alles ein Ende. Und dann,
Mensch, bedenke Deine Vergangenheit! — Wenn Deine Braut diese
entdeckte!"

Jetzt wurde ich ärgerlich. „Das kann sie!" rief ich aufspringend.
„Ich habe mir nicht mehr oder nicht weniger vorzuwerfen, als jeder
andere Mensch, der bis zu seinem vierzigsten Jahre noch nicht ge
heirathet hat. Ich bin weder ein Lump, noch ein Lüderjan ge-
ivcsen!" „Aber auch kein Klosterbruder!" meinte Kraft und
lächelte ironisch. Dann empfahl er sich mit dem Bemerken, daß er
nach fünf Tagen wieder anfragen würde, ob ich glücklich, ganz
glücklich sei. —

Am Abend fuhr ich mit der Nordbahn nach Neu-Strelitz.
Die Wohnung meiner Schwiegereltern war erleuchtet. Ich traf eine
große Versammlung, und Klara zog mir ein schiefes Mäulchen,
weil ich mich nach ihrer Ansicht um eine Viertelstunde verspätet
hatte. Ich mußte sogleich den für uns Brautleute improvisirten
Thron zwischen Oleandern und uüldcn Lorbeern besteigen und mich
andeklamiren lassen.

Was mir au dem Abend für alberne und langweilige Dinge
gesagt wurden — es war entsetzlich! Und mein schauspielerisches
Gefühl litt wahre Höllenqualen, wenn ich ein Gedicht nach dem
andern herunterleicr» hörte. Dazu gesellte sich ein fürchterlicher
Hunger, so daß ich gar nicht mehr ans die Deklamation achtete,
sondern meiner Klara, während sie Thränen der Rührung über die
Verse einer dürren Freundin vergoß, in's Ohr flüsterte: „Wenn die
Julie nicht so trocken wäre, könnte ich sie anknabbern, solchen
Hunger habe ich!"

„Du hast mir den ganzen Abend verdorben!" sagte sic nach
Beendigung des scherzloscn Poltcrabendscherzes „warum hast Tn
nicht in Berlin gegessen?" - Das war eigentlich ein ganz gerecht-
fertigter Vorwurf. Ich nahm ihn schweigend hin, und war zufrieden,
daß ich endlich an reichbesetzter Tafel meinen Appetit stillen konnte.
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Die Vergangenheit"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Graetz, Theodor
Entstehungsdatum
um 1893
Entstehungsdatum (normiert)
1888 - 1898
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 99.1893, Nr. 2523, S. 204

Beziehungen

Erschließung

Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg
 
Annotationen