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Die Vergangenheit.
Der folgende Tag wurde mir entsetzlich lang. Die neugierig
gaffende Menge auf den Straßen und in der Kirche — das lang-
weilige und gelangweilte Gesicht des Standesbeamten, die gefühlvolle
Traurede — die Thronen der Umstehenden — das Heulen meiner
Klara, die einen Lärm machte, als ob sie hingerichtet, oder mindestens
doch zeitlebens eingespcrrt werden sollte — endlich das Diner —
die üblichen Toaste — einige Angesäuselte — zum Schluß die Reise
nach Berlin mit dem Morgcnzuge.-
Die ersten Tage der Ehe vergingen mir dagegen sehr schnell.
Ich konnte mit Freiligrath sagen:
In uns'rer Liebe Nacht versunken,
Sind mir cntfloh'n aus Welt und Zeit,
Wir ruh'» und träumen, wir sind trunken
In seliger Verschollenheit.
Die erste fremde Person, die in unsere friedliche Idylle —
pünktlich am fünften Morgen — brach (ich finde keinen anderen
Ausdruck dafür), war Kraft.
Ich hatte mein reizendes Weibchen, die in der Haube aller-
liebst anssah, beim Kopf und küßte sic herzhaft ab — als das falten»
teidje Gesicht des Komikers durch die halbgeöffnete Thüre schaute.
„Bist Du glücklich, Karl?" — „Ja!" — ,,'n Morgen!" Und
svrt war er.
Natürlich großes Erstaunen meiner Frau, Fragen, wer das
wäre, u. s. w. Ich erzählte ihr harmlos Alles, und sie verlangte
darauf, daß ich dem Weiberfeinde, dem ungeschliffenen Patron, die
Thür weisen solle.
Da legte ich aber ein entschiedenes Veto ein und erklärte, daß .
dies nun und nimmer der Fall sein werde. „Sichst Du, liebes
Kind", schloß ich meine ruhige und etwas umständliche Rede, „ich
habe von meinem früheren, sehr schicksalsrcichen Leben eins behalten:
die fatale Rückerinneruug, welche mich zu Zeiten sehr weich und
wehmüthig stimmt. In solchen Augenblicken ist dann Kraft's Er
scheinen, sind seine tollen Späße und drolligen Bemerkungen für
'"ich ein wahres Labsal, eine Pille, die ich gegen meine migräncu-
haste Melancholie einnehme. Kraft ist der einzige Mensch, der cs
8»t und aufrichtig mit mir meint!"
„Dadurch, daß er die Frauen schlecht macht", unterbrach mich
höchst unlogisch meine Gattin. „Ich dächte, erst käme die Frau,
dann der Freund! . . . Was hast Du denn gcthan, daß Du von
Küben Stunden hcimgesucht wirst? Das ängstigt mich!" — „Aber
Ki»d, ich bin doch kein Rinaldo Rinaldini!" — „Deine Worte
brühigen mich sehr wenig. Eine Pille ist Dir Tein Freund? -
Jcht möchte ich wissen, als was für ein Medikament Tu mich
"'üenllich betrachtest! — Wofür hast Tu mich denn genommen, he?"
Der schivache Versuch, lächeln zu wollen und die ganze Sache
in's Scherzhafte zu ziehen, erstarb ihr auf den Lippen. Sic schnitt
ein so halb klägliches, halb zorniges Gesicht, daß ich in Helles Lachen
ausbrach. Darauf kehrte sie mir den Rücken, ergriff ihr Taschentuch
und verließ zornig, die Augen voll Thränen, das Zimmer.
Ich machte keinen Versuch, mich mit ihr sofort zu versöhnen,
denn ich glaubte, Vernunft und Ueberlegung würden sich von selbst
bei ihr einstellen und das Ihrige thun. Ich ging in mein Studir-
zimmer und ließ mich nicht eher blicken, bis Klara mich zum Mittag-
essen aufforderte.
Sie sah ernst, aber ruhig aus und sprach ganz freundlich. Ich
machte ihr den Vorschlag, am Abend ein Theater zu besuchen, dessen
Wahl ich ihr freistellte, und mit augenscheinlicher Freude ging
meine Frau darauf ein. Der Friede schien also gesichert. Natürlich
wollte sie, wie alle Provinzialen, ein Stück sehen, das bereits ein-
hundertundfünfzig Mal gegeben war, weil sie es für vorzüglich
hielt. — Da der Tag sehr schön war, machten wir zuvor eine
Promenade durch deu Thiergarten, und ließen uns, um ein wenig
auszuruhen, aus eine Bank nieder.
Aus derselben saß bereits eine überschlanke Frauengestalt, schwarz
gekleidet, das Antlitz nnt dichtem, schwarzen Schleier verhüllt. Ich
beachtete sie anfänglich gar nicht, sondern unterhielt mich lebhaft
mit Klara, bis ich auf einmal dicht neben mir meinen Namen zu
meinem nicht geringen Schreck rufen höre.
Ich sehe mich um; die Dame hat ihre tiefe Hülle zurück-
geschlagen, und starrt mich au . . . Himmel, wo hatte ich diese Züge
schon gesehen?! — Auf der Bühne? — Im Maleratelier? Ich
suche in meinem Gedächtnis;. Diese spitze Nase, die dünnen Lippe»,
diese geschlitzten Augen, diese vorspringeudcn Backenknochen, diese
ganze Kalmückenphysiognomie — wo war ich ihr schon begegnet?
„Sic erkennen mich wohl nicht mehr, Sie kleiner Schäker?"
fängt die dunkle Unbekannte mit gezierter, flötender Stimme an.
Klara's Augen werden groß, ihr Gesicht verlängert sich.
„Verehrte Frau, ich weiß in der That nicht —" eutgegnete ich
achselzuckend.
„Ihre Frau?" fragte die Dame weiter.
„Zu dienen, ja!"
„Na, na", machte sie und drohte schelmisch mit dem Finger,
„Sie sind ein Bocativus, Karl ... ich kenne Sie doch!"
Klaras Augen wurden riesengroß, ihr Gesicht lang wie der Tag
vor Johanni. Auf meiner Stirn schwollen die Adern, und ich fühlte,
wie mir das Blut zu Kopfe stieg. „Aber ich möchte Sie dringend
bitten!" rief ich, und meine Stimme bebte in zurückgchalteucm Zorne.
Die Vergangenheit.
Der folgende Tag wurde mir entsetzlich lang. Die neugierig
gaffende Menge auf den Straßen und in der Kirche — das lang-
weilige und gelangweilte Gesicht des Standesbeamten, die gefühlvolle
Traurede — die Thronen der Umstehenden — das Heulen meiner
Klara, die einen Lärm machte, als ob sie hingerichtet, oder mindestens
doch zeitlebens eingespcrrt werden sollte — endlich das Diner —
die üblichen Toaste — einige Angesäuselte — zum Schluß die Reise
nach Berlin mit dem Morgcnzuge.-
Die ersten Tage der Ehe vergingen mir dagegen sehr schnell.
Ich konnte mit Freiligrath sagen:
In uns'rer Liebe Nacht versunken,
Sind mir cntfloh'n aus Welt und Zeit,
Wir ruh'» und träumen, wir sind trunken
In seliger Verschollenheit.
Die erste fremde Person, die in unsere friedliche Idylle —
pünktlich am fünften Morgen — brach (ich finde keinen anderen
Ausdruck dafür), war Kraft.
Ich hatte mein reizendes Weibchen, die in der Haube aller-
liebst anssah, beim Kopf und küßte sic herzhaft ab — als das falten»
teidje Gesicht des Komikers durch die halbgeöffnete Thüre schaute.
„Bist Du glücklich, Karl?" — „Ja!" — ,,'n Morgen!" Und
svrt war er.
Natürlich großes Erstaunen meiner Frau, Fragen, wer das
wäre, u. s. w. Ich erzählte ihr harmlos Alles, und sie verlangte
darauf, daß ich dem Weiberfeinde, dem ungeschliffenen Patron, die
Thür weisen solle.
Da legte ich aber ein entschiedenes Veto ein und erklärte, daß .
dies nun und nimmer der Fall sein werde. „Sichst Du, liebes
Kind", schloß ich meine ruhige und etwas umständliche Rede, „ich
habe von meinem früheren, sehr schicksalsrcichen Leben eins behalten:
die fatale Rückerinneruug, welche mich zu Zeiten sehr weich und
wehmüthig stimmt. In solchen Augenblicken ist dann Kraft's Er
scheinen, sind seine tollen Späße und drolligen Bemerkungen für
'"ich ein wahres Labsal, eine Pille, die ich gegen meine migräncu-
haste Melancholie einnehme. Kraft ist der einzige Mensch, der cs
8»t und aufrichtig mit mir meint!"
„Dadurch, daß er die Frauen schlecht macht", unterbrach mich
höchst unlogisch meine Gattin. „Ich dächte, erst käme die Frau,
dann der Freund! . . . Was hast Du denn gcthan, daß Du von
Küben Stunden hcimgesucht wirst? Das ängstigt mich!" — „Aber
Ki»d, ich bin doch kein Rinaldo Rinaldini!" — „Deine Worte
brühigen mich sehr wenig. Eine Pille ist Dir Tein Freund? -
Jcht möchte ich wissen, als was für ein Medikament Tu mich
"'üenllich betrachtest! — Wofür hast Tu mich denn genommen, he?"
Der schivache Versuch, lächeln zu wollen und die ganze Sache
in's Scherzhafte zu ziehen, erstarb ihr auf den Lippen. Sic schnitt
ein so halb klägliches, halb zorniges Gesicht, daß ich in Helles Lachen
ausbrach. Darauf kehrte sie mir den Rücken, ergriff ihr Taschentuch
und verließ zornig, die Augen voll Thränen, das Zimmer.
Ich machte keinen Versuch, mich mit ihr sofort zu versöhnen,
denn ich glaubte, Vernunft und Ueberlegung würden sich von selbst
bei ihr einstellen und das Ihrige thun. Ich ging in mein Studir-
zimmer und ließ mich nicht eher blicken, bis Klara mich zum Mittag-
essen aufforderte.
Sie sah ernst, aber ruhig aus und sprach ganz freundlich. Ich
machte ihr den Vorschlag, am Abend ein Theater zu besuchen, dessen
Wahl ich ihr freistellte, und mit augenscheinlicher Freude ging
meine Frau darauf ein. Der Friede schien also gesichert. Natürlich
wollte sie, wie alle Provinzialen, ein Stück sehen, das bereits ein-
hundertundfünfzig Mal gegeben war, weil sie es für vorzüglich
hielt. — Da der Tag sehr schön war, machten wir zuvor eine
Promenade durch deu Thiergarten, und ließen uns, um ein wenig
auszuruhen, aus eine Bank nieder.
Aus derselben saß bereits eine überschlanke Frauengestalt, schwarz
gekleidet, das Antlitz nnt dichtem, schwarzen Schleier verhüllt. Ich
beachtete sie anfänglich gar nicht, sondern unterhielt mich lebhaft
mit Klara, bis ich auf einmal dicht neben mir meinen Namen zu
meinem nicht geringen Schreck rufen höre.
Ich sehe mich um; die Dame hat ihre tiefe Hülle zurück-
geschlagen, und starrt mich au . . . Himmel, wo hatte ich diese Züge
schon gesehen?! — Auf der Bühne? — Im Maleratelier? Ich
suche in meinem Gedächtnis;. Diese spitze Nase, die dünnen Lippe»,
diese geschlitzten Augen, diese vorspringeudcn Backenknochen, diese
ganze Kalmückenphysiognomie — wo war ich ihr schon begegnet?
„Sic erkennen mich wohl nicht mehr, Sie kleiner Schäker?"
fängt die dunkle Unbekannte mit gezierter, flötender Stimme an.
Klara's Augen werden groß, ihr Gesicht verlängert sich.
„Verehrte Frau, ich weiß in der That nicht —" eutgegnete ich
achselzuckend.
„Ihre Frau?" fragte die Dame weiter.
„Zu dienen, ja!"
„Na, na", machte sie und drohte schelmisch mit dem Finger,
„Sie sind ein Bocativus, Karl ... ich kenne Sie doch!"
Klaras Augen wurden riesengroß, ihr Gesicht lang wie der Tag
vor Johanni. Auf meiner Stirn schwollen die Adern, und ich fühlte,
wie mir das Blut zu Kopfe stieg. „Aber ich möchte Sie dringend
bitten!" rief ich, und meine Stimme bebte in zurückgchalteucm Zorne.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die Vergangenheit"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1893
Entstehungsdatum (normiert)
1888 - 1898
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 99.1893, Nr. 2523, S. 205
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg