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Dic Vergangenheit.

den David, einen Clown haben, der dic Stimme des Gewissens
übertäubt. — Und die Krone Ihrer Verbrechen ist, daß Sie mein
Herz stahlen, zugaben, daß ich meine reine Hand in die Ihre legte!"

Jetzt riß mir die Geduld. „Madame", rief ich, „Sie spielen
sich in einem Grade auf, als ob Sie den Böttcher - Karl oder
Schlosscr-Edc zum Gatten genommen hätten. Glauben Sie, ein
Mann von 40 Jahren habe noch nie in seinem Leben geliebt?
Das können Sie nur von einem Idioten verlangen, aber nicht von
einem vernünftigen Menschen! Was Sie mir aber in Betreff der
Nurrini, dieser Hopfenstange, und der orientalischen Schönheit, der
Selica, vorwerfen, das verbitte ich mir, das ist eine Majestäts-
bcleidigung gegen meinen guten Geschmack. — Mag die Prüderie bei
Ihnen zu Haus sein, hier ist sie es nicht! — Wir leben in einer
Weltstadt! — Und ich war Künstler! Der Ton ist bei uns freier,
das heißt aufrichtiger, wie in anderen Kreisen!"

„So ist es recht! Sie pochen noch ans Ihr scandalöses Leben,
^2ie werfen mir meine Heimath vor, Sie beleidigen und verhöhnen
mich noch!"

„Fällt mir nicht ein! Ich habe Ihren, nur durch Ihr Alter
zu entschuldigenden Ideen die Sprache der klaren, ruhigen Vernunft
^utgegengehalten. — Glauben Sie etwa, ich liebte Sie nicht, als ich
Ihnen die Rechte meiner Frau einräumte?"

„Ihre Liebe ist von der meinigen sehr verschieden!"

„Jawohl, bei mir ist es die Liebe eines gereiften Mannes,
und bei Ihnen — bei Ihnen —“

„Nun, bei mir?"

„Die überspannte Idee eines sentimentalen Backfisches!"

„Ach, mein Herr, das ist zu viel! Das ist mein Tod! — Das
überlebe ich nicht! . . Ach, meine Nerven!" — Damit sank Klara

schluchzend auf das Sopha und ich lief erregt im Zimmer auf
und ab.

Da öffnete sich leise die Thür; Eugen Kraft steckte sein grinsendes
in's Zimmer und rief mit wahrhaft mephistophelischem Lächeln:
»Karl, bist Du glücklich?"

m

Der hatte mir gerade noch gefehlt!

Mit einem Sprunge stürzte ich mich auf den entsetzten Komiker,
^'griff ihn am Rockkragen, zog ihn in die Stube und rief, ihn
schüttelnd: „Sie moderner Hanswurst Sie, glauben Sie etwa, der
Mensch heirathet, um glücklich zu sein? — Tie Ehe ist eine Buße
sür uns're Junggesellcnsünden! Und je. . ."

Ich hielt inne; der Athem war mir knapp geworden.

Kraft schnitt eine entsetzliche Grimasse und fragte in bescheidenem,
ichüchterncn Tone: „Sie entschuldigen, wie weit ist es denn von
hler »ach Dalldorf?" Und damit eilte er zur Thürc hinau-.'.

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„Das ist zu viel, mein Herr!" rief Klara. „Ich gehe zu meiner
Mutter! Noch heute reise ich nach Neu-Strelitz!"

Sowie sie verschwunden war, trat Kraft, der im Korridor ge-
blieben, wieder ein.

„Du siehst nett aus, Karl!" sagte er uach einer Pause zu mir,
der ich auf einen Stuhl niedergesunken war und verdrießlich vor
mich hinstarrte. „Gerade wie Augustus, als er dic Depesche er-
hielt: „Varus futsch — Legionen dito!" — Also fünf Tage hat
das Glück doch gedauert! — Es ist immer eine schöne Erinnerung
für die ganze Lebenszeit, und Deine Erzählungen kannst Du alle
mit den Worten beginnen: „Als ich noch verheirathet war —" . .
Sitz' nicht so geschlagen da, Mensch! Auch das ist zum Guten!
Leute, wie wir, dürfen nun einmal nicht heirathen!"

„Verschone mich mit dem Unsinn!" entgegnete ich ärgerlich.
„Du wirst doch nicht glauben, daß ich so ohne Weiteres in dic
Blamage willigen werde, daß mir meine Frau sechs Tage nach der
Hochzeit davonläuft!"

„Nun, Karl, ob früher oder später, darauf kommt's doch am
Ende nicht an!"

„Laß' Deine Possen! Helf' mir lieber ein Mittel ersinnen,
wie ich die ganze Situation mit ejnem Schlage ändern kann!"

„Versöhne Dich mit Deiner Frau!"

„Ich um Verzeihung bitten, wo ich derselben nicht bedarf?
— Nein!"

„Dann kehre den Spieß um!"

„Wie meinst Du das?"

Kraft trat leise zu mir und flüsterte mir in's Ohr: „Sie muß
ebenfalls eine Vergangenheit haben, die Du ihr zum Vorwurf
machen kannst!"

Ich stutzte, daun lachte ich.

„Ein siebzehnjähriges Kind in solch' kleiner Stadt — unmöglich!
Ich möchte wissen, wie sic da zu einer Vergangenheit kommen sollte!"

„Ich sagte: haben muß! Wenn sie keine hat, muß ihr eben
eine angedichtet werden!"

„Wie soll ich denn das machen?"

„Das ist Deine Sache!"

Ich überlegte. So Unrecht hatte Kraft nicht, aber wie —
wie?! — Ich ging unruhig im Zimmer auf und ab; dann übcrkam
mich wieder das Komische der Situation: ein Ehemann, der in dem
Vorleben seiner Frau absichtlich nach einem dunklen Punkt sucht,
der dabei eigentlich gar keiner sein soll.-Ich lachte.

Kraft schüttelte mir die Hand und wollte sich eben entfernen,
als draußen heftig an der Klingel gerissen wurde. — Ich öffnete.

Bor mir stand ein etwas verlebter, junger, schlanker Mann,
hochblond, blaß, im Radfahrer-Kostüm.

„Sie wünschen?"
fragte ich erstaunt.

„Sind Sie Herr
Ebert?"

„Allerdings!"

„Dann erlauben
Sie, daß ich Sie um-
arme, lieber Ebert!"

Kaum hatte er
diese Worte mit hoher,
unangenehm klingen-
der Stimme gespro-
chen, so lag der Rad-
fahrer an meiner
Brust.

24*
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Die Vergangenheit"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Graetz, Theodor
Entstehungsdatum
um 1893
Entstehungsdatum (normiert)
1888 - 1898
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 99.1893, Nr. 2524, S. 211

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Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
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