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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Editor]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 10.1914

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Münzel, Gustav: Der Mutter Anna-Altar im Freiburger Münster und sein Meister
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https://doi.org/10.11588/diglit.2546#0067

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Münzel, Der Mutter Anna-Altar im Freibunger Münster und sein Meister

Niederrotweil den Altar habe arbeiten lassen. Das
ist gar nicht anzunehmen. Durch den Klerus, die
Orden, durch die Patronats- oder Grundherrn, durch
fromme Stiftungen der verschiedensten Art, auf
Grund von Familien- oder religiösen Beziehungen
konnten in die kleinsten Plätze und abgelegenen
Klöster die hervorragendsten Kunstwerke kommen,
wofür ja zahlreiche Beispiele zu Gebote stehen. Um
nur ein paar Namen zu nennen, Isenheim, Lauten-
bach, Tiefenbronn waren wahre Schatzkammern der
Kunst, ohne dass diese kleinen Orte und Klöster
irgend eine besondere kirchliche, politische oder
wirtschaftliche Bedeutuug gehabt hätten. Für Rotweil
spricht nun ein besonderer Umstand, der in dieser
Frage noch gar keine Beachtung gefunden hat, es ist
die Tatsache, daß es kirchlich der reichen und mäch-
tigen Abtei St. Blasien im Schwarzwald seit dem
14. Jahrhundert inkorporiert war. Von der Bautätig-
keit der Abtei in Rotweil ist uns noch eine Nach-
richt erhalten1. So konnten kleinere Orte sehr wohl
den Orientierungspunkt abgeben, es konnte eine
Stadt reizen, etwas Ähnliches zu besitzen, womög-
lich in reicherer Form, als es ein kleinerer Ort in
der Nähe hatte. Aber wir brauchen in unserem
Falle gar nicht einmal anzunehmen, dass gerade das
Niederrotweiler Werk bestimmend war, oder dass
es allein bestimmend war, dem Bildhauer den Hoch-
altar im Münster zu übertragen. Der Künstler war,
nur nach dem, was wir heute noch feststellen kön-
nen und wovon wir später noch reden werden, mit
verschiedenen Arbeiten in der Gegend, darunter
auch mit einer im Freiburger Münster vertreten.
Ein so beschäftigter, und wie aus den Aufträgen her-
vorgeht, geschätzter Künstler konnte den Hochaltar
in Breisach in Arbeit bekommen, ohne dass man
deshalb unmittelbar an den Altar in Niederrotweil
zu denken brauchte. Das sind Überlegungen, die
mindestens die gleiche Wahrscheinlichkeit haben, als
die Annahme, dass das kleine Rotweil den Altar im
Münster zu Breisach nachgeahmt habe. Eine ent-
scheidende Beweiskraft hat aber in unserer Frage,

1 Vgl. zu der kirchlichen Stellung von Rotweil die Nach-
weise bei Krieger, Topographisches Wörterbuch des Großherzog-
tums Baden 2 (Heidelberg 1905), Sp. 685. Das Stiftungsbuch
von Abt Caspar I. von St. Blasien (in Mones Quellensammlung
zur badischen Landesgeschichte 2 [Karlsruhe 1854], S. 67) er-
wähnt die Errichtung eines neuen steinernen Pfarrhauses zu
Rotweil im Jahre 1527, erbaut von Abt Johann III. (1519—1532).
Unter diesem Abt wie unter seinem Nachfolger Gallus (1532
bis 1540) wurden übrigens in St. Blasien selbst große Altar-
arbeiten gemacht. Abt Caspar erwähnt in seinem Stiftungsbuch
unter anderen besonders zwei A'täre und drei geschnittene Ta-
feln mit Bildern in der Frauen-Kapelle, Arbeiten, die schon
unter Abt Johannes begonnen waren. Vgl Mone a.a.O. S. 67 f.
Vgl. auch .Kraus, Badische Kunstdenkmäler 3 (Freiburg 1892),
S. 76 ff.

da keinerlei Urkunden darüber vorhanden sind, nur
die stilkritische Erwägung. Nur sie kann das Ver-
hältnis der beiden Werke zueinander feststellen.

Vergleicht man die Marienkrönung des Nieder-
rotweiler Altars mit der des Breisacher Werkes, so
tritt unverkennbar die größere Ruhe und Mäßigung
des Rotweiler Altars gegenüber dem Breisacher her-
vor. Die Szene vollzieht sich auf beiden Altären
auf Wolken in bewegter Luft. Die Gewänder beim
Rotweiler, trotzdem sie reiches Faltenwerk, eine
starke Knitterung zeigen, haben doch immer noch
den Charakter eines Stoffes, der tatsächlich zur Be-
kleidung dienlich ist und auch wirklich dazu ver-
wendet wird, während beim Breisacher der Stoff
vollständig verweht und auch gar nicht mehr die
Funktion einer Bekleidung erfüllen soll. Die Figur
Christi mit der Auflösung des Mantels in bandartig
zusammengenommene Schlingen, die um den Körper
herumwehen, erinnert übrigens stark an ähnliche
Motive in der ostasiatischen Kunst. Das Gewand
nimmt bei den Figuren des Breisacher Altars einen
ornamentalen Charakter an. Auf dem Rotweiler Altar
wirkt das Gewand der Madonna, so maniriert die
feine plissierte Fältelung des Mantels und seine ge-
bauschte Anordnung und Raffung um den Körper
der Madonna herum auch ist, doch noch verhältnis-
mäßig ruhig und organisch gegenüber dem der Ma-
donna im Breisacher Altar mit seinen exzentrischen
Schleifen, Schlingen, Zipfeln und schraubenförmigen
Zusammenziehungen. Ahnlich verhält es sich auch
mit den beiden Gewändern von Gottvater. Genau
wie bei den Gewändern liegt die Sache mit dem
Haar der Madonna und dem Bart und Haar von
Gottvater. Der starke Bart- und Haarwuchs von
Gottvater in Rotweil tritt ganz zurück gegen den
von Gottvater im Breisacher Altar, der in wilder Be-
wegung fast das ganze Gesicht und einen großen Teil
der Brust bedeckt, was ihm beinahe das Aussehen
eines Waldgeistes verleiht. Das Haar der Madonna
in Rotweil fließt in schweren einfachen Locken an
der Gestalt hinunter und wird zum Teil von den
Händen über der Brust festgehalten und nur eine
kleine Lockenpartie auf einer Seite wird leicht in
die Höhe getrieben, während die Madonna auf dem
Breisacher Altar von einem Wirbel krauser, in die
Luft gewehter Lockengebilde auf beiden Seiten um-
geben ist. Ganz ähnlich verhält es sich mit der Bil-
dung der Kronen, der Haltung der Weltkugel, die
in Rotweil von der Hand Gottvaters gehalten wird,
während sie in Breisach frei auf dessen Knie schwebt,
der Bewegung der Engel, Stellung der Füße, die
bei Gottvater auf dem Breisacher Altar überhaupt
nicht mehr auf einem Wolkenboden ruhen, sondern
die er dort frei in der Luft hält. Nach alledem kann
 
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