Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Hrsg.]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 10.1914

DOI Artikel:
Münzel, Gustav: Der Mutter Anna-Altar im Freiburger Münster und sein Meister
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.2546#0076

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Münzel, Der Mutter Anna-Altar im Freiburger Münster und sein Meister

67

aus Freibur-g i. Br. gekommen sind, zeigen eine Stilart, Gegenstand nicht innerlich ergreifen und erschöpfend

die sie der Schule des Breisacher Meisters angliedert, zur Darstellung bringen kann? Eine solche Charak-

Charakteristisch dafür sind die kreisförmig um den teristik erfasst das Wesen des Mannes nicht. Es

Kopf gestellten, schneckenförmig gedrehten einzelnen mag sein, dass die virtuose Technik wie den ersten

Locken bei Johannes dem Täufer, wie sie sich in Eindruck so auch das erste Urteil bestimmt. Allein

der gleichen Anordnung bei dem Engel des Matthäus bei tieferem Eindringen wird eine andere Auffassung

in der Predella zu Breisach finden. Ferner ebenfalls dieses Urteil verdrängen. Es zeigt sich dann, dass

bei dem Johannes dem Täufer die eigenartige Raffung hinter dieser krausen und ungewöhnlichen Form

des Mantels, die an das Gewand der Madonna in doch mehr steckt als ein leeres Spiel der Hand.

Rotweil und an den Johannes den Evangelisten in Der wahre Schlüssel zum Verständnis des Künstlers

Nürnbergerinnert. Wei-
ter gehören noch dazu
die Ansätze zur Schlei-
fenbildung am Gewände
der Madonna. Auch die
Durchbildung der Ge-
sichter vonJohannes und
Lukas weist in die
gleiche Richtung. Doch
ist die Qualität dieser
Stücke nicht so, dass
sie dem Meister selbst
zugeschrieben werden
können, es sind Arbei-
ten seiner Schule. -
Wenn man die Ge-
samterscheinung des
Meisters beurteilen will,
so hat man mit seinem
komplizierten künstle-
rischen Charakter zu
rechnen '. Ist es tatsäch-
lich richtig, dass wir es
mit einem Manne zu tun
haben, der im wesent-
lichen charakterisiert ist,
wenn man in ihm einen
Künstler sieht, der sein

Abbild. 10. St. Felix und Regula.
Skulpturen in der Pfarrkirche zu Reute.

liegt nicht in dem Aus-
gehen von seiner un-
gemein großen techni-
schen Fertigkeit, erliegt
vielmehr in anderen
Eigenschaften seiner
Persönlichkeit, in sei-
ner ausgesprochenen
Phantasiebegabung und
der Heftigkeit seines
Wesens. Er ist ein voll-
wertiger Zeuge für seine
gärende Zeit mit ihren
stärksten Erschütterun-
gen religiös-geistiger
und politisch-wirtschaft-
licher Art. Die Phan-
tasie ist seine Grund-
begabung, ihre unbe-
dingte Herrschaft be-
stimmt sein Verhältnis
zur realen Welt, es ist
Umformung und Steige-
rung. Daher tritt in sei-
nen Werken in immer
steigendem Maße die
Erfassung der Wirklich-
keit zurück und an ihre

eminentes Können rein bravourmäßig verwendet und Stelle der Wille zum selbstgeschaffenen Ausdruck. Es

dem daher jede wahre Innerlichkeit abgeht?2 Ein ist ein echt deutscher Typus, dieser ausgesprochene

Mann, dem der äußere Effekt alles ist, der durch den Phantasiekünstler. Die damalige Zeit brachte den

Glanz seiner Mittel blenden will, der selbst keine größten Repräsentanten dieses Typus, Grünewald,

starke Innerlichkeit besitzt und daher auch seinen

1 Wie schwer es ist, dem Künstler gerecht zu werden,
zeigt auch Kraus, der zu keinem wirklichen Urteil kommt.
Wie hätte er sonst bei Besprechung des Breisacher Altars
(Kunstdenkmäler Badens VI, 1 S. 59) sagen können: „Die Be-
handlung von Haupthaar und Bart ist an allen Gestalten zwar Verfassung die große technische Geschicklichkeit,

etwas konventionell, gleichwohl aber durchaus originell und voll- dje spielende Leichtigkeit der Hand verbunden. Ist

hervor, dem unser Meister weder in der Größe der
Persönlichkeit noch in der sonstigen künstlerischen
Richtung, aber in der Vorherrschaft der Phantasie
und in der Steigerung des Audrucks verwandt ist.
Zu seinem Unglück war mit dieser geistigen

endet, wenn auch manchmal das Streben nach Bewegung und Be-
lebung zu gewissen Übertreibungen veranlaßt." Mehr kontra-
diktorische Gegensätze kann man kaum in einen Satz bringen.
Und dabei nennt er gerade die Behandlung von Haar und Bart
etwas konventionell, die so selbständig und ungewöhnlich wie
möglich ist.

2 So der erwähnte Aufsatz von DCieppel?) a. a. O. S. 106.

eine solche Geschicklichkeit schon an sich ein ver-
hängnisvolles Geschenk, das die größten Gefahren
in sich birgt, so doppelt in der Zeit, aus der heraus
er geboren wurde, und zumal für ihn wegen der Art
seiner künstlerischen Tätigkeit als Bildschnitzer. Der
 
Annotationen