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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Hrsg.]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 13.1917

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Kempf, Friedrich: Heimsuchungen und Schicksale des Freiburger Münsters in Kriegsnot, durch Menschenhand und Feuersgefahr: II. Durch Menschenhand
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12 Kempf, Heimsuchungen und Schicksale des Freiburger Münsters in Kriegsnot, durch Menschenhand und Feuersgefahr

genommen hatten. Wir denken uns diese Stand-
bilder so gruppiert, dass die erstere'n an den nächst-
folgenden diagonalen Eckdiensten des früheren im
halben Achteck geschlossenen, romanischen Chors'
einander gegenüber gestanden sind, während das
jetzt die Säule vor dem Hauptportal bekrönende
Standbild der Gottesmutter, die als Hauptpatronin
des ihr geweihten Münsters, Unserer Lieben Frauen
Bau, im 14. Jahrhundert hochverehrt war, möglicher-
weise auf dem ihr gewidmeten steinernen Hochaltar
gestanden haben konnte5. Als man nach dem Ab-
bruch des alten Chores für das Marienbild keine
Verwendung mehr hatte, scheint man ihm auf dem
Lettner einen Platz angewiesen zu haben. Es ist
nämlich in der Fabrikrechnung vom Jahre 1685 die
Rede vom „Marienbild mitten in dem Letterer".

Ob die beiden erwähnten weiblichen Figuren
einer besonderen Mission wegen einander gegenüber-
gestellt sind, oder ob ihnen irgend ein symbolisches
Motiv zugrunde liegt, sei dahingestellt. An den
Pfeilerdiensten der hinteren diagonalen Ecken des
Achtecksschlusses dürften Bildwerke entbehrlich ge-
wesen sein, da sie wohl durch den Hochaltar ver-
deckt worden wären.

Die beiden Engel scheinen im Jahre 1792 der
damals herrschenden Gefühlsweise, — es war das
Jahr, in dem man auch in geschmackloser Weise das
ganze Innere des Münsters grau überstrichen hatte,
nicht mehr zugesagt zu haben, weshalb man sie wohl
irgendwo am Äußern des Baues, wo man gerade
passende Verwendung für sie hatte, aufstellte. Wo-
hin sie zunächst kamen, entzieht sich unserer Kennt-
nis; später haben sie, wie schon erwähnt, auf den
modernen Chorpfeileraufsätzen Verwendung gefunden.
Die Christus- und St. Thomas-Statuen wurden an
Stelle der Engel vorn an die Vierungspfeiler gestellt,
indes die übrigen Standbilder schon früher ihren
Platz verlassen mußten. So lässt sich denn ziem-
lich sicher vermuten, wenn auch vorerst ein direkter
Beweis dafür nicht erbracht ist, dass einst das ganze
Innere des Münsters, Langhaus samt Chor, an den
Pfeilern einen Figuren-Zyklus von eindrucksvoller
Geschlossenheit besaß. Hält man sich die frühere
Gesamtanlage des Baues vor Augen, so würde es
gewiß befremdend erscheinen, wenn die Chorpfeiler
nicht auch mit Figurenschmuck versehen gewesen
wären. Eine Präjudiz hierzu dürfte schon die Auf-
stellung der beiden Skulpturen an den östlichen

1 Vgl. Münsterblätter 3, 46.

2 Will man das Standbild an der Sakristei nicht in den
Kreis der besagten Figuren einbeziehen, so wäre immerhin auch
die Annahme denkbar, daß die Madonna ihren Platz auf der
Konsole, also der weiblichen Gestalt gegenüber, und nicht auf
dem Hochaltar eingenommen haben konnte.

Vierungs- sowie den beiden folgenden Pfeilern ge-
wesen sein.

Dass die Figuren an den Vierungspfeilern höher
stehen als die im Langschilf ist eine durch die Chor-
figuren bedingte Anordnung, deren Standort wegen
der Lage des romanischen Chores3, dessen Boden
um etwa fünf Tritte über dem des heutigen Chor-
bodens lag, höher als jener der Langschiffiguren
gerückt werden mußte. Für die Chorfiguren war
derselbe übrigens auch insofern bestimmt, als er sich
nach der am südlichen Pfeiler angebrachten Figur,
die wegen der Türöffnung in den Hahnenturm nicht
niederer und auch nicht gut höher gestellt werden
konnte, richten mußte.

Noch ein Wort über den heutigen Zustand der
in Rede stehenden fünf Bildwerke. Sie haben leider,
wie schon angedeutet, eine vollständige Überarbeitung
mir dem Schlageisen (neu behauen) erfahren. Nur
das eine Standbild am Sakristeibau blieb davon be-
wahrt; dagegen ist dessen sonstige Verfassung keine
gute mehr, was bei dem ungeschützten Standort,
den es schon seit einigen Jahrhunderten einnimmt,
nicht allzu verwunderlich erscheint. Durch diese
sinnlose Behandlung, oder besser gesagt Misshand-
lung, die sozusagen einer Fälschung der steinernen
Urkunde gleichkommt, hat man das, was den Figuren
einen ganz besonderen Reiz verleiht, den Farben-
schmelz, beseitigt. Sie haben deshalb ihren origi-
nalen Wert und ihre religiöse und künstlerische
Weihe, die sie besitzen, eingebüßt und sind in solcher
Weise zugerichtet worden, dass sie nur noch einiger-
maßen imstande sind, eine Vorstellung von ihrer
einstigen Schönheit zu geben. Es lässt sich nur auf
das lebhafteste bedauern, dass die Bildwerke nicht
mehr in ihrer Ursprünglichkeit erhalten sind. Was
für Gründe mögen es wohl gewesen sein, die Fi-
guren so jämmerlich zu verderben? Von einem
dringenden Bedürfnis zu einer Überarbeitung kann
nicht gesprochen werden. Die Figuren waren ohne
Frage die längste Zeit an geschütztem Orte geborgen,
so dass ein Verwittern oder eine Abblätterung der
Oberfläche, wodurch sich etwa ein Überarbeiten als
notwendig erwiesen hätte, ausgeschlossen erscheint.
Es lässt sich heute noch feststellen, dass der rote
Sandstein, aus dem die Figuren gearbeitet sind —
es ist das gleiche Material, das seit längerer Zeit
wieder für die Instandsetzungen am Münster ver-
wendet wird — kerngesund ist und nirgends sich
ein Anzeichen dafür findet, dass der Stein einmal
unter der Verwitterung zu leiden hatte. So kann es
keinem Zweifel unterliegen, dass wohl hauptsächlich
die ursprüngliche Bemalung der Figuren, die fest

Vgl. Münsterblätter 3, 46; 49.
 
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