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Münsterbau-Verein <Freiburg, Breisgau> [Hrsg.]
Freiburger Münsterblätter: Halbjahrsschrift für die Geschichte und Kunst des Freiburger Münsters — 13.1917

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Kempf, Friedrich: Heimsuchungen und Schicksale des Freiburger Münsters in Kriegsnot, durch Menschenhand und Feuersgefahr: II. Durch Menschenhand
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https://doi.org/10.11588/diglit.2399#0030

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Kempf, Heimsuchungen und Schicksale des Freiburger Münsters in Kriegsnot, durch Menschenhand und Feuersgefahr

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erreicht werden, der zugleich der unmittelbaren Um-
gebung und dem ganzen Chorumgang einen stim-
mungsvollen Reiz verleiht.

Im Jahre 1819 waren genau hundert Jahre ver-
flossen, dass sechs neue Altäre an die Mittelschiff-
pfeiler gestellt wurden (1719), deren Schöpfer, Rieher,
ihre Kunstweise, wie wir oben gesehen, als etwas
ganz Neues und Besonderes zu schildern wusste.
Ihre Herrlichkeit ist nicht von langer Dauer ge-
wesen, denn ein Beschluss des Direktoriums des
Dreisamkreises vom H.September 1819 sagt: „man
findet es zweckmäßig, dass die Säulen frei gestellt und
die geschmacklos an denselben angebrachten Altäre ganz
weggeschafft werden". Damals wurde eine Münsterbau-
und Verschönerungs-Kommission ins Leben gerufen,
deren Wirksamkeit zwar wohlgemeint und von „Liebe
für den herrlichen Tempel" beseelt war, allein in di-
rektem-Gegensatz zu unserer heutigen Auffassung von
Denkmalpflege steht. Gleichwohl haben die Männer
von damals — es soll das nicht verschwiegen sein
— ihre nicht zu unterschätzenden Verdienste. Durch
ihr überzeugungsvolles Streben haben sie der lange
Zeit vernachlässigten gotischen Kunst zu neuem Er-
wachen verholfen. Sie standen zu Anfang einer
Bewegung, das muss bei allem gewürdigt werden,
die sich erst allmählich, seit gar nicht so langer Zeit,
ihren Weg zur Reife und zur klaren Erkenntnis ihres
Wesens gebahnt hat. Ganz zweifellos wollten sie
nur das Beste und Schönste erreichen und dabei in
allen ihren Herstellungen, deren es nicht wenige
waren, überlieferungsgetreu, d. h, so echt wie mög-
lich sein. Wie aber jedes Werk, das die Unvoll-
kommenheiten seines Werdens an sich trägt, milde
Kritik verdient, so bedürfen auch die Leistungen
jener Zeit, als erste Versuche der nachsichtigen Be-
urteilung. Nur ist die schon erwähnte kurzsichtige
Anschauung zu verurteilen, daß man das Münster
von allen künstlerischen Errungenschaften, die nicht
gotisch waren, entblößen zu sollen glaubte. In sehr
bezeichnender Weise treten diese Anschauungen in
den gefaßten Beschlüssen zutage, „nicht so fast zur
Verschönerung als vielmehr zur Entfernung aller nach
und nach geschmacklos angehängten Verunstal-
tungen dieses herrlichen Kunstwerkes."

Die Vorschläge der Kommission bezogen sich
u. a. auf die Ergänzung des fehlenden Fensterschmucks
in den Seitenschiffen, auf Altäre, Gestühl, Orgel,
Beichtstühle.

Um einige Beispiele herauszuheben, die den
seltsamen Kunstgeist dartun, von dem die Zeit be-
herrscht war, so wurde der unglaubliche Vorschlag
gemacht, dass man dem köstlichen Rokoko-Taufstein1,
„welcher in seiner gegenwärtigen Gestalt durchaus nicht

1 Abbild. Münsterblätter 9, 37. Siehe auch dieses Heft S.50f.

in einen altgotischen Tempel passt, eine andere mit dem
ganzen Gebäude mehr harmonierende Form gibt. Der
Stein selbst ist von der Art, dass er ohne Bedenken
nach jeder Zeichnung umgestaltet werden kann, und
Bauinspektor Arnold wird daher innerhalb sechs Wochen
eine solche Zeichnung vorlegen." Glücklicherweise ist
dieser grausame Gedanke nicht verwirklicht worden,
denn man kann sich etwa vorstellen, was für ein
unglückliches Gebilde entstanden wäre, würde der
frevelhafte Plan zur Tat geworden sein. Wie lange
die stilpuristischen Bestrebungen andauerten, erhellt
daraus, dass noch im Jahre 1866 die Pfarr- und
Kirchen-Stiftungs-Kommission den Wunsch aus-
sprach, dass „mit der Zeit ein Taufstein im gotischen
Stil den gegenwärtigen, im ,Zopfstil' gehaltenen, ersetzen
möge".

Es lässt sich annehmen, dass unter den „ge-
schmacklos angehängten Verunstaltungen" Ausstat-
tungsstücke der Renaissance-, Barock- und Rokoko-
zeit gemeint waren. Dass in dieser Hinsicht viele
Unbegreiflichkeiten begangen wurden, geht daraus
hervor, dass von den Epitaphien und dergl., die
Geißinger- im Jahre 1787 beschrieben und gezeichnet
hat, verhältnismäßig wenig mehr auf uns gekommen
sind. Vor einigen Jahren konnten wir drei künst-
lerisch hervorragende Inventarstücke der erwähnten
Art, die völlig verschollen waren, wieder ans Licht
ziehen. Dieselben befanden sich aufgestapelt auf
dem obersten Dachboden des Hintergebäudes der
Münsterfabrikverwaltung (Herrenstraße 12), wo sie
lange Zeit in wüster Verfassung ihr Dasein fristeten.
Sie waren dergestalt zugerichtet, dass es schien, als
ob es sich nicht mehr der Mühe lohnen würde, sie
wieder ordentlich in Stand zu setzen. Die fraglichen
Denkmäler gehörten einst zum Bestand der Chor-
kapellen. Wohlhabende Adelige, Patrizier, Bürger
und Prälaten hatten hier besondere Andachts- und
Begräbnisstätten für sich und ihre Angehörigen ge-
schaffen, deren im Laufe des 16. Jahrhunderts er-
folgte Ausschmückung sie ganz oder teilweise über-
nahmen. Diese bezog sich nicht nur auf die Errich-
tung von Altären und deren Dotierung für den
Gottesdienst, sondern auch auf den Schmuck der
Wände, der Fenster und die auf ornamentierten
Sockelsteinen angebrachten schmiedeisernen Ab-
schlussgitter gegen den Chorumgang, wobei das öftere
Wiederkehren des Familienwappens, um dadurch die
Herkunft der Stiftung für allezeit zu kennzeichnen,
eine besondere Rolle spielte.

Was nun die wieder zum Vorschein gekom-
menen, in Holz gearbeiteten Ausstattungsstücke be-
trifft, so handelt es sich um ein Altarwerk und zwei

- Abschriften von Epitaphien oder Grabschriften, welche
in Unser Lieben Frauen Münster befindlich seynd. Handschrift
Nr. 498 der Universitätsbibliothek. Siehe auch dieses Heft S. 41 ff.
 
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