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. JUGEND •

Nr. 27

„Halb zog’s ihn hin, halb sank er hin.

Grethe sühltc ihr Herz vor Freuden hüpsen,
die untersten zwei Stufen jedes Treppenabsatzes
sprang sie mit einem Satz herunter, cs polterte
ordentlich. „Nanu?" sagte einer im ersten Stock,
streckte den Kops zur Küchenthür heraus und
schimpfte: „So'n Radau!"

Es war ihr ganz gleichgültig, sie hopste
weiter; und nun war sie ans dem Hos, zur Hinter-
tlnir heraus — da stand Er! Sehr schneidig,
sehr elegant, das Hütchen schies aus dem Kops,
Stöckchen nnter'm Arm, einen großen Siegelring
aus dem Zeigesinger. Er war nicht allein,
Auguste von Banquiers stand bei ihm. Das
arme Ding hatte nie jemanden, mit dem sie aus-
gehen konnte, da hatte Grethe sie für heute aus-
gefordert; eS thnt ihr ohnehin gut, einem dritten
ihr Glück zeigen zu können.

„Na, Fräulein," sagte Carl zu seiner Braut
und reichte ihr die Hand, „wie steht das Bc-
sinden?" Vor den Leuten nannten sie sich noch
,Sie'.

,Sie'.

Grethe erröthcte über und über, das heißt,
das blanke Roth ihrer Backen und Stirn wurde
noch um eine Schattierung kräftiger. Sie lächelte
ihn liebevoll und verschämt an. Dann gingen
sie, er mit dem Stöckchen wippend, sie, ihr langes
Kleid neben ihm herschleisend.

Tusf vor und vermischte sein sattes warmes Roth
mit dem glänzend braunen Gekränsel der Haare.

„Sag mal, warum hast Du die mitjcbracht?"
fragte Carl heimlich seine Braut. „Da kann
man ja jnr nischt reden!"

,,Lnß man," flüsterte Grethe begütigend, „die
hat ja keine Menschensecle hier, is sremd zuje-
^ogen — nn denn is se erst siebzehn!" Sie
Zuckte mitleidig die Achseln.

»Siebzehn? Was Du nich sagst!" Carl
drehte den Kopf halb und betrachtete die Hinter-
her schreitende. Sie schien seinen Blick nicht zu

bemerken, ging lässig, die Angen niedergeschlagen.

Aber er sah, wie die Vorübergehenden nach ihr
guckten — ein hübsches Mädchen, blas;, sehr blaß,
aber sehr hübsch! Sie war gewiß bleichsüchtig,
ihre Backen waren ivic ans Wachs gebosselt, ganz
voll, ganz iveich, aber ohne Roth; der leuchtende
Mohn mit seiner Purpurfarbe stand gut zu
diesem matten Gelbweiß. Sie hatte ivns von

'ner Dame, was ganz Apartes.

„Was siehste?" fragteGrethe ihre» Bräutigam

und zupfte ihn am Aermcl. „Wohin jehn >vir?"

„Nach — nach — Fräulein Aujuste," — er
blieb stehen und ließ das Mädchen herankommen
— „Fräulein Aujuste, was meinen Sie? Wo

hätte» Sic Lust hinzujehn?"

„Is mir ganz egal," gab sie zurück, ohne

die Lider zu heben.

„Na, denn nach Schönebcrg, Schtvarzen Adler
oder nach Hnlensce; oder >vas meinen Sie zu die
Hasenhaide? In der ,Neuen Welt' is famose
Tanzjelcgenheit. Militärmusik nn so was!"

„Ha!" Auguste stieß plötzlich einen zittrigen
Seufzer ans und schlug die Augen ans, in denen
es begehrlich glänzte. „Tanzen —!" Ihre Nasen-
flügel blähten sich, sie sah ihn starr an, und dann

wiederholte sie noch einmal: „Ha!"

„Na gut," lachte er, „machen wir nach die
Hasenhaide, janz mein Fall. Es jetzt nischt über
so'n richtigen Klimbim. Na, denn man los!"

Grethe hatte eigentlich keine Lust nach der
Hasenhaide, tanzen war nicht ihr Fall; und dann
all die Menschen! Sie wäre gern Hand in Hand
l mit ihm durch den einsamen Wald gestrichen oder
hätte neben ihm im Gras gesessen; mit einem
leisen Seufzer gedachte sie jenes ersten Frühlings-
sonntags im Grunewald, an dem sic sich gefunden
hatten und lange unter den Kiefern hin und her
spaziert waren. Das Wasser schoß ihr in die
Augen, wenn sie an jenen Sonntag dachte!
Aber sie wurde ja gar nicht gefragt.

Die Somincrsonne prallte heiß auf's Pflaster,
die Blücherstraße war endlos; nun gingen sie
alle drei nebeneinander, der junge Mann zwischen
den Mädchen. Er sprach unaufhörlich; seine Be-
gleiterinnen sagten nicht viel, er aber war in
bester Laune.

Gräfin Olga Kras^ewska- (München").

Schaaren von Ausflügler» trotteten rechts
und links, vor und hinter ihnen; die reine Völker-
wanderung. Ehrsame Kleinbürgersleute, der
Vater im schwarzen Sonntagsrock, mit schwieligen
nnbchandschuhtcn Händen; aus der hinteren Rock-
tasche guckt die Milchflasche mit dem Zulp sür
den Jüngsten, den die Mutter schleppt. Die
anderen Kinder — ausgereiht ivie Orgelpfeifen,
alle kaum ein Jahr auseinander — zanken sich
abwechselnd um den Stukenkorb. Köchinnen mit
ihren Soldaten, Mägde noch ohne Schätze, immer
zivei, drei frcundschastlich nntergefaßt, und junge
cigarrcnrauchende Leute, die mit Kennerblick die

holde Weiblichkeit mustern.

„Donnerwetter, die Lange da ist famos! Die
Blasse mit dem rothen Mohn! Reizende Jöhre,"
hörte Carl einen der Jünglinge sagen. Wüthend
sah er um; wie konnie der Kerl sich unterstehn?
Einfach srech! Er suhlte sich förmlich beleidigt
durch jene Bemerkung; was ging das Mädchen
andere Leute an? Sic war erst siebzehn Jahr!

Er guckte verstohlen nach ihr — ob sie was
gehört hatte? Ihr zartes Blaß halte sich um
einen Hauch gefärbt; jetzt schielte sie nach jener
Seite und lächelte. Donnerwetter!

„Fräulein Aujuste, warum lachen Sic?"
fragte er streng. Sie hatte eine ganz komische
Art, den Mund zu verzieh«, so etwas nach einer
Seite hin, daß in der linken Wange ein Grüb-
chen entstand. Die mattgcfärbten Lippen waren
nach innen zu röther, sie waren wie bethaut:
man sah die geraden Zähne dahinter in krank-
haft weißem Schmelz.

„Na," jagte er noch einmal, „unverschämte

Bande! Freche Bengels — was, Fräulein Au-

jnste?" Er ärgerte sich.

Sie antwortete nicht, sie sah ihn nur lvic
vorhin ein Paar Augenblicke starr an und lächelte.
Ganz komische Augen hatte sie, von einem grellen
Hellgrau in schwimmendem, bläulichem Weiß; die
Wimpern waren tiesschwarz und nmsüumten dicht

die Lider wie lange Fransen.

„So was Apartes," dachte Carl; und dann

sah er seine Braut an.

Der Staub wirbelte locker und lose auf, die
Schuhe zeigen sich mit grauem Mehl bcsiebt.

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Otolia (Olga) Gräfin Kraszewska: "Halb zogs ihn hin.."
 
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