Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Sie lächelt wieder seltsam wie vorher. Ihr
nicht mehr junger, aber noch anmutiger Mund
bemüht sich, standzuhalten. Doch es gelingt
nicht recht, er zittert krampfhast. So steht sie
einen Augenblick da und weint lautlos. Was
bedeutet das alles?

Da faßt sie sich und spricht: „Es ist das
Zimmer meines Mieters."

Ihre Stimme sängt sich allmählich wieder:
„Meines besten Mieters! Es sind seine Sachen.
Er liebt sie — jedes einzelne Stück! Er ist viel
fort und im Winter darf ich sein geheiztes
Zimmer benutzen."

„Dürfen Sie —?" fragte ich abwesend,

weil ich sonst nichts zu sagen weiß, und halte
ihre beiden Hände in meinen, und dann nehme
ich, ohne mir dessen richtig bewußt zu werden,
mein Tuch und wische ihr damit die Tränen
weg. Darüber erwachen wir beide zu uns
selbst. Wir sehen uns an und brechen in ein
hemmungsloses Gelächter aus. Schließlich
beruhigen wir uns. Aber sobald unsere Blicke
die Greuel wieder berühren, brüllen wir von
neuem loS. Die arme Frau Jlsebill ist ganz
erschöpft.

„Er ist ein guter und anständiger Kerl!" sagt
sie. „Er hat keine Ahnung, was er mir mit
seinen gräßlichen Sachen antut. Wie sollte er
auch — da sie ihm etwas bedeuten! Na ja,

jeder hat sein Päckchen zu tragen. Mein beson-
deres ist, daß ich dieses Raritätenkabinett
tagtäglich wieder schön finden muß. Meinem
Mieter gegenüber gelingt eS mir auch. Nur, als
Sie so unerwartet kamen-"

Ihre wiedergewonnene Heiterkeit ist in
Gefahr. Aber sie ist tapfer und sagt mit einem
bewundernswerten Lächeln: „War es nicht

mutig von mir, Sie in dieses Zimmer zu
führen?"

Ich beuge mich beschämt über ihre Hand
und erwiderte ernsthaft: „Frau Jlsebill -— so
mutig wie Sie alle Tage sind, möchte ich
wenigstens am Sonntag fein!"

WANDERWEGE

Euch gilt mein Gruß, ihr reichen Wanderwege,
Die ich gegangen hin und nicht gegangen.

Euch gilt mein Sehnen, euch all mein Verlangen,
Euch all mein Träumen, das ich schauend hege.

Für euch hin ich noch unermüdlich rege,

Such täglich euer Grüßen zu empfangen,

Und Lehensklänge, die mir herzwärts drangen.
Sind mir von euch gekommen allerwege.

Und immer wieder muß ich frisch beginnen
Nach jeder Richtung hin euch zu erwandern,

Muß euern Glanz und eure Kraft gewinnen,

Muß mich vereinen mit den fremden Andern,

Muß Seele gehen, leuchtendes Besinnen,

Und jauchzend wieder weiter auf euch wandern. Otto Lautenschlager

A\ NEKOOTEN

Eine Pcpagei°n-Gfsschichte

Eine fromme, vermögende, alte Jungfer besaß einen Papagei, der ihr
'Alles war. So gut sie den Vogel behandelte, so schlecht ging sie mit
ihrer Köchin um, weshalb diese immer wieder ihrer Meinung mit den
Worten „Wenn die Alte nur scho hin wär" Ausdruck gab. Es dauerte
nicht lange und der Papagei hatte sich diese rüden Worte angeeignet.
Sehr zum Entsetzen seines Frauerl, umsomehr als auch der Herr Pfarrer
einen Papagei befaß, der lauter fromme Redensarten nachplappern
konnte. Elm ihren Vogel zu bessern, ersuchte sie den Herrn Pfarrer,
ihren Papagei einige Zeit in Kost zu nehmen, damit er von dem anderen
bessere Redensarten lerne. Aber was mußte sie hören, als sie nach zwei
Wochen das Pfarrhaus betrat; ihr Papagei begrüßte sie mit den
Worten „Wenn die Alte nur scho hin wär", worauf der Papagei des
Herrn Pfarrer feierlich hinzufügte: „Der Herr erhöre unsere Bitte!"

H. G.

Wiens letzter Bohemien

So wird der Maler Hollitzer genannt. Eine große, breite Mannes-
figur, mit Landknechtbart, tiefer Baßstimme, immer gekleidet in der
Pariser Montmartre-Art wie zur Jahrhundertwende. Gemalt hat er
sein letztes Bild auch zu dieser Zeit, aber als Sohn eines reichen Vaters
hat er eS nicht notwendig. Er präsidiert nur an seinem Stammtisch im
Eafe Museum und die Marmorplatte des Cafehaustisches zeigt täglich
neue Karikaturen und Skizzen von seiner Hattd, die er im Gespräch
mit genialem Talent hinwirft. Hollitzer hat nur einen Fehler, er hält
nicht viel vom Wäschewechseln und vom Waschen. Neben vielen anderen
Künstlern sieht man am Stammtisch auch oft den Maler Radler, Mit-
glied der „Sezession" und bekannter Porträtist, eine Mischung von
Beethoven und Schubert im Aussehen. Eines Tages klagte Hollitzer
dem Stammtisch sein Leid, daß eS für ihn halt keine Emotionen mehr
gäbe. Alles sei schon dagewesen, nichts Neues biete ihm das Leben mehr
ufw. Worauf Radler trocken einwarf: „Wie wär's, Karl, wenn Du es
einmal mit an Bad probieren tätest?" H. G.

Aus Bozen

R. Z i n n e r
Register
Robert Zinner: Aus Bozen
Otto Lautenschlager: Wanderwege
H. G.: Wiens letzter Bohemien
H. G.: Eine Papageien-Geschichte
 
Annotationen