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ERSTES KAPITEL.

Schöpfung und Urgeschichte.

Michelangelo eröffnet seine Bilderbibel mit der Illustration jener ur-
alten Geschichten, in denen einst das Morgenland seine Vorstellungen
von der Entstehung der Welt und dem Ursprung des Übels und des
Bösen niedergelegt hatte. In den frühesten Culturstaaten des Zwei-
stromlandes entstanden, sind sie nach läuternden Wanderungen endlich
der reinen Gotteslehre des Prophetismus angepasst, in der Folge mit
dem Evangelium der Erlösung verwoben worden. Dem genialen
Künstler,, dem man zuweilen die Ehre erweist, ihn für einen besonders
modernen Geist zu erklären, galten diese Erzählungen ohne allen Zweifel
für mehr als blose Allegorie. Auch ihm war die Welt der Lebens-
baum göttlichen Ursprunges, dessen Mark der aus rätselhaften Tiefen
angeflogene Samen der höllischen Mispel vergiftet hat. Solche Lehren
sind ein Reflex des alten Kampfes zwischen Gut und Böse, des [li^a? ay<uv
Piatos. Wenn Gerechtigkeit, Reinheit und Warheit in der Wertordnung
des Geistes Höheres bedeuten als die Materie und der Weltlauf, so, fol-
gert die religiöse Empfindung, werden sie auch in noch anderem, un-
bedingtem Sinne oben an stehen müssen: m. a. W. die Welt wird von
Gott sein. Dem gegenüber erhebt sich unter dem Eindrucke der über-
wältigenden Realität des Weltwesens der Gnosticismus alter und neuester
Zeit, indem er für den Grund der Welt das Böse erklärt. Freilich
wenn dann im Verlaufe ihres Lebens die Güte und die Selbstverleug-
nung, der Durst nach dem Lichte der Erkenntnis und dem Glänze des
Schönen aufleuchten, so gleicht sie dem Dornbusch der Trauben und
Feigen trägt: ihr großes Wunder ist das Gute, wie dort das Böse.
Beiden tritt der Naturalismus entgegen, der den Knoten zerhaut, indem
er den Gegensatz von Gut und Böse überhaupt streicht, freilich auch
den Zufall. Er löst das Welträtsel durch das Gesetz der allmähligen
Entwickelung, obwol sein verwickeltes Lehrgebäude noch keineswegs
auf ehernen Füßen steht.
 
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