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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 14.1916

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Heft 9
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Scheffler, Karl: Geschicklichkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.4751#0477
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AUS EINEM JAPANISCHEN SKIZZENBUCU

GESCHICKLICHKEIT

VON

KARL SCHEFFLER

Es vergeht kaum eine Woche, dass uns nicht
Mappen mit Zeichnungen von jungen Künstlern
auf die Redaktion gebracht werden. Sie wollen
ein Urteil hören. Und es ist in neun von zehn
Fällen immer dasselbe: die Zeichnungen verraten
eine überraschende Sicherheit, die dem ersten Blick
wie Reife erscheint, sie sind nie stümperhaft, sondern
immer irgendwie virtuos — es sind Produkte einer
Geschicklichkeit, die im heutigen Deutschland all-
gemein ist. Dass sie allgemein ist, zeigen eben jetzt
wieder die beiden Schwarz-weissausstellungen, die
von der freien Sezession und der Berliner Sezession
veranstaltet worden sind, wie es seit langem schon
die Ausstellungen der graphischen Kabinette offen-
bart haben. Es giebt in diesen beiden grossen
Zeichnungsausstellungen der Sezessionsverbände
eigentlich nicht eine einzige ganz schlechte Zeich-
nung, trotzdem die Jugend versammelt ist; es herrscht,
im Gegenteil, ein merkwürdiges Gleichmass des
Könnens und Wollens, die Künstler der jüngeren
Jahrgänge bewegen sich alle auf derselben Plattform.
Der auftauchende Neuling schon hat etwas Fertiges.
Man merkt es jedem Strich an, dass der Zeichner
genau weiss, was die Schwarz-weisskunst kann und

was sie nicht kann, was sie darf und soll. Das
Wunderbarste ist, dass eine gewisse Gabe, den Natur-
eindruck in das Liniengewebe der Zeichnung zu
übersetzen, angeboren erscheint. Es verursacht diesen
modernen Zeichnern keine Mühe, vor der Natur
vom Motiv, vom Naturvorbild zu abstrahieren, sie
alle kennen dieKunst„wegzulassen",in Abkürzungen
zu schreiben und das Gesehene in freier Weise aus-
zudrücken. Haben sie alle darum nun die echte
künstlerische Phantasie? Haben sie ursprüngliches
Talent? Man darf in den meisten Fällen sagen, dass
die Phantasie wohlgeschult ist und dass man mehr
Talent, wie die jungen Leute mitbringen, gar nicht
zu haben braucht^ wenn man nicht Ungewöhnliches
erstrebt. Fast niemals aber ist dieses Talent im
Wind und Wetter des Lebens mühsam gewachsen
und dabei eigentümlich geworden. Es stehen hinter
diesem Talent nicht naive menschlische Charaktere.
In Naturgeschichtsbüchern wird erzählt, dass die
Araber auf die keimenden Dattelpalmpflanzen Steine
wälzen, damit der Schössling es schwerer habe sich
emporzuarbeiten; denn dadurch würden die Bäume
doppelt gross und früchtereif. Das Verfahren wird
vom sich selbst erziehenden Talent heute nicht

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