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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 14.1916

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Heft 9
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Scheffler, Karl: Geschicklichkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.4751#0478

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befolgt. Es ist zu früh fertig. Denn es ist nicht ge-
zwungen von selbst auf die Lösungen zu kommen,
es geht nicht den Weg durch viele Lügen zur
Wahrheit, durch viele Misserfolge zur endlichen
Einsicht, sondern es sieht den Vorbildern früh schon
ab, wie es gemacht wird. Die Gabe der Rezeptivität
ist ausserordentlich verbreitet. Das moderne Talent
ahmt nicht unmittelbar nach, auch nicht eigentlich
eklektizistisch, aber es ahmt mittelbar nach. Es
braucht nur eine Andeutung und gleich regt sich
Nachempfindungskraft; hat es erst das Stichwort
empfangen, so agiert es auf der Bühne der Zeit als
sei es selbständig. Welcher Art die Anregung ist,
bleibt oft dem Zufall überlassen. Denn das junge
Talent hat „die ganze Leier". Es kann so, aber es
hätte auch anders gekonnt. Dabei ist es keineswegs
gesinnungslos, sondern im Gegenteil immer irgend-
wie fanatisiert. Es nimmt es furchtbar übel,wenn man
es „geschickt" nennt,denn es ist ihm das Pathos der Un-
fruchtbarkeit eigen. Es hält sich selbst für „intuitiv".
Goethe sagte von den jungen Dichtern seiner
Zeit, sie sollten nicht glauben gross Poeten zu
sein, wenn ihnen ein glatter Vers leicht gelänge,
weil eine gebildete Sprache für sie dichte und
denke. Ahnlich liegt der Fall heute mit unsern
jungen Zeichnern. Der Form, die sie von ihren
Meistern übernehmen, ist jene Anschauungsphantasie
eigen, die sie persönlich zu haben scheinen. Die
wieder neubelebten graphischen Techniken sorgen
für künstlerische Stimmung, die impressionistische
Skizzistik befreit ohne weiteres vom subalternen
Naturalismus, das kubistische oder expressionistische
Glaubensbekenntnis macht die Dinge wie von selbst
konstruktiv. Man muss sich vorstellen, ein Volk
wäre durch eine Revolution zu einer freieren
Regierungsform gelangt. In diesem Falle wird jeder
meinen und sagen, er sei freier als die Väter, ja, er
wird es im gewissen äusserlichen Sinne auch sein;
als Persönlichkeit aber, tief im Menschlichen wird
keiner freier und schöpferischer durch eine neue
Regierungsform. Im inneren Sinne frei kann sich
jeder nur selbst machen. Das ist es, was unsere
jungen Künstler nicht einsehen. Sie glauben zu sehr
an geistige Massenbewegungen — sie glauben an
den „Stil". Daher, bei aller Anstrengung verschieden
zu sein und sich persönlich hervorzuthun, diese
hastig bewegte Gleichförmigkeit in Ausstellungen,
wie die beiden Sezessionen sie jetzt veranstaltet
haben. Am lebendigsten in diesen Ausstellungen
wirken nicht die Emporstrebenden, sondern einige
der längst Anerkannten. Zu Mittelpunkten werden

zum Beispiel, die prachtvollen Zeichnungen Ober-
länders. (Dessen Anwesenheit zugleich in beiden
Sezessionshäusern übrigens ein reizender Witz ist.)
Am lebendigsten wirken Zeichner, die persönlich
in ihrer Weise und in den Grenzen ihres Talents
zu einem Abschluss gekommen sind, wie der eben-
falls in beiden Lagern heimische Th. Th. Heine, wie
Gulbransson oder der verstorbene R. Wilke. Der
alteThoma steht mit seinen ehrlichen, empfindungs-
vollen Landschaftszeichnungen persönlicher da, als
viele Zeichner, deren Strich weitaus „freier" zu
sein scheint; und das Sievogt-Kabinett der Freien
Sezession ist so voll von Beweisen einer genialischen,
spielfrohen Ursprünglichkeit, dass alle Geschicklich-
keit ringsum dagegen ganz wesenlos erscheint.

Diese Geschicklichkeit beherrscht nicht nur die
Zeichenkunst, sondern auch die graphischen Tech-
niken. Die Radiernadel kritzelt hastig und nervös
pikante Wirkungen zusammen, die Lithographien
weisen überall dieselbe daumierhafte, malerische
Breite auf, und der Holzschnitt wird von allen
Künstlern, die sich seiner bedienen, mit derselben
gekünstelten Primitivität und raffinierten Derbheit
traktiert. Die Folge ist auch hier eine Erstarrung
im Grundsätzlischen, die sich allgemein so äussert,
dass die ganze Schwarzweiss-Kunst der Jugend in
einer revolutionären Weise konventionell erscheint.
Sie ist das, was man bezeichnet, wenn man Werke
der Dichtkunst literarisch nennt. Zweifellos Kunst,
aber nicht ursprünglich gewachsene, sondern künst-
lich gezogene Kunst. Hiermit hängt es dann eng
auch zusammen, dass die Talente sich zwar früh
entwickeln und schnell fertig oder gar reif er-
scheinen, dass sie einen gewissen Punkt der Ent-
wicklung aber selten eigentlich überschreiten. Auf
der andern Seite ist eine Folge dieser formalistischen
Haltung, dass die Zeichenkunst der jungen Talente
nicht volkstümlich wird. Achselzucken und Hin-
weise auf die Genies, die auch nie volkstümlich
gewesen seien, thun es nicht. Genies stehen ja hier
nicht in Frage, sondern Talente der Zeit, die ge-
radezu berufen wären unmittelbar auf das Volk zu
wirken. Wo doch sogar besonders begabte Zeichner,
wie Oberländer, Heine, Gulbransson und Wilke
volkstümlich geworden sind, oder wo selbst Slevogt
doch täglich mehr auf die Deutschen zu wirken
beginnt. Eine falscheKünstlervornehmheit beherrscht
grosse Teile der Jugend, wenn sie die populäre
Wirkung grundsätzlich verachtet. Mit kultivierter
Geschicklichkeit entfremdet man sich der Mitwelt;
aber man gelangt damit auch nicht in die Nachwelt.

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