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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 14.1916

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Heft 8
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Waldmann, Emil: Das griechische Kultbild im Berliner Museum
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https://doi.org/10.11588/diglit.4751#0396

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DAS GRIECHISCHE KULTBILD

IM BERLINER MUSEUM

VON

EMIL WALD MANN

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Die Statue der sitzenden Göttin ist etwas über
lebensgross, das Material ein schöner grob-
körniger parischer Marmor, der sehr viel Licht saugt
und in der Gesamtwirkung etwas fein Flimmerndes
hat. Spuren vonBemalungsind nicht mehrvorhanden,
bis auf ein fast ausgeblichenes Palmettenband auf
der Rückseite des Thrones. Der Erhaltungszustand
ist überraschend gut für eine griechische Statue.
Abgesehen von den leider fehlenden Händen und
abgesehen davon, dass einige Teile des Thrones,
die aber vorhanden sind, abgebrochen waren, zeigt
das Werk nur eine wesentliche Beschädigung: eine
Korrosion an der rechten Gesichtshälfte, die das
rechte Auge angegriffen, aber glücklicherweise den
Mund unberührt gelassen hat. So lässt sich die
Frage der Ergänzung durchaus einwandfrei beant-
worten: die Unterarme waren vorgestreckt und
hielten irgendein Attribut, das die Art der Göttin
kennzeichnete, vielleicht eine Frucht, eine Blume,
eine Schale oder ein Tier, etwa eine Taube. Da
sich von den Attributen keine Spur erhalten hat.

so ist einstweilen noch nicht zu sagen, um welche
Göttin es sich handelte, ob um eine mütterliche
Gottheit, ob um Aphrodite oder vielleicht gar um
eine Stadtgöttin. Doch dies ist vom künstlerischen
Standpunkt aus nicht allzu belangreich. Auch so
spricht die Schönheit des Werkes mit unmittelbarer
Gewalt.

Die Frauenfigur sitzt auf ihrem Throne und
schaut mit lächelndem Ausdruck den Betrachter an,
etwas rätselvoll, aber durchaus nicht aufdringlich.
Sie hat jene passive Schönheit, die nicht lockt und
reizt, sondern „sich selber selig" ist, wie Mörike
von dem Schönen schlechthin sagte. Was das Lächeln
des feingeschwungenen Mundes bedeuten soll, wissen
wir nicht, aber wir dürfen annehmen, dass ein ganz
bestimmter Ausdruck nicht beabsichtigt war, sondern
dass der Künstler mit diesem sogenannten Lächeln
ganz allgemein nur seelischen Ausdruck geben wollte,
Güte, Liebe, Gnade, eine Welt von Empfindungen,
die sich einer strengen Ausdeutung verschliessen
und gerade dadurch so reich sind; ein Lächeln, in

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