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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 14.1916

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Heft 10
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Kunstausstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4751#0539

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UNSTAUSSTELLUNGEN

HAMBURG

Emil Nolde, der bald Fünfzig-
jährige, gehört seiner Malerei nacli
seit etwa zwölf Jahren der „jungen
Generation" an. Es soll hier nun nicht das Stilprogramm
in Frage gestellt, sondern nur kurz untersucht werden,
welche Qualitäten die Malerei dieses Künstlers aufweist.
Eine Übersicht und ausreichende Gelegenheit hierzu
giebt die umfassende Sammelausstellung in der Galerie
Commeter zu Hamburg.

Hier zeigt sich der Künstler im Ganzen genommen
als eine ernste Persönlichkeit von unbezweifelbar reinem,
aus eigenen Quellen strömenden Wollen. Fern liegen
ihm die etwas eilige dekorative Formulierung Pechsteins
oder gar der Hauch von Palais-de-danse-Geist Kirchners,
seiner ehemaligen Kameraden von der „Brücke". Eher
gehört er als geistiger Komplex zu Schmidt-RottlufF
oder Heckel, dessen geistreich-romantische Art freilich
ganz wesentlich zeich-
nerischer orientiert ist.
— Der entscheidende
Wendepunkt in des
Künstlers bisherigem
Schaffen ist das Jahr
1909 gewesen, in wel-
chem er die ersten reli-
giösen Bilder gemalt
hat. Denn seine besten
Eigenschaften scheinen
uns mit Ausnahme sei-
nesFarbensinnes geisti-
ger, ja litterarischer
Art zu sein, und diese
konnten eine schönere,
bedeutendere Anwen-
dung bei den biblischen
Themen finden, als in
den überlebensbunten,
sonst aber ganz natura-
listischen Blumengär-
ten und Viehweiden
seiner früherenProduk-
tion. Die damals und
seither entstandenen
Werke,wie das „Abend-
mahl", „Pfingsten" und
die zyklischen Christus-
bilder sind durch den
gesteigerten ekstati-
schen Ausdruck der
Köpfe, die spärlichen,

BERNHARD FRYDAG, BILDNISBÜSTE. STEIN

primitiven Gesten und die kathedralfensterartige Har-
monie von einer wilden, Grünewaldhaften Mystik
durchtränkt. Auch in dieser Ausstellung hängen zwei
neuere Werke dieser Art: der „Einzug Christ^ in
Jerusalem", ein festlicher Klang von Erdbeerrot, variier-
tem Ocker und Blaugrün, und eine „Grablegung" in
fahlem Gelb mit Schwarz und hellem Blau.

Freilich weicht die Stärke des ersten Eindrucks, in-
folge einer der Konzeption nicht ebenbürtigen Aus-
reifung, bald kritisch-kühlen Erwägungen. Man fragt
sich, warum auf der „Grablegung" der ergreifende
Christuskopf stark modelliert und fast alles andere flach
gemalt ist, so dass die grosse blaue Fläche des Joseph
von Arimathia im Vordergrunde cäsurlos in den
grimassierenden Kopf hinüber schwimmt und so die
stilistische Einheit der Fläche aufgehoben wird. Bei dem
„Einzug in Jerusalem" steht die reizend erdachte Gruppe
des reitenden Christus mit dem zur Mutter strebenden
Eselfüllen starr und kompositionell unverbunden vor

einem molluskenhaft
mit Köpfen ohne Kör-
per tapezierten Hinter-
grand. Hier, und noch
mehr bei dem „Krieg"
(der vor einiger Zeit
auch in der Berliner
Sezession zu sehen war)
drängt sich die Be-
merkung auf, dass das
Irritierende an fast
allen Bildern Noldes
ihre formale Struktur-
losigkeit ist. Die De-
formationen entstehen
nicht notwendig, nicht
aus Formvorstellungen
oder ordnenden Ab-
sichten, sondern wach-
sen gewissermassen
schwammartig auf der
Leinewand als unor-
ganische Zufallsgebil-
de, die auch anders
hättenseinkönnen. Der
Künstler erscheint ge-
radein seinen reichsten
Bildern wie einer, der
die Geister, die er rief,
nicht bändigen kann,
und seine wohl ge-
danklich, nicht aber
formal klaren Vorstel-

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