HANS GRISEBACH, DAS KRONPRINZENZELT, BERLIN
UNSTAUSSTELLUNGEN
WINTERTHUR
Die Stadt Winterthur in der
Schweiz hat sich ein neues Museum
gebaut, das am a. Januar mit einem
Festakt eröffnet worden ist. Über das Haus und die
Sammlung werden wir noch berichten. Heute teilen
wir die Rede mit, die Heinrich Wölfflin bei der Abend-
veranstaltung des Winterthurer Kunstvereins gehalten
hat, wie sie der Referent der „Neuen Züricher Zeitung"
aufgezeichnet hat. Denn die allgemeinen Bemerkungen,
die diese Ansprache enthält, interessieren weit über den
unmittelbaren Anlass heraus.
„Jeder ist heute beschenkt worden, jedem öffnet der
Museumsbau seine Pforten. Die Physiognomie Winter-
thurs wird eine neue, und der Name Winterthur muss
künftig anders ausgesprochen werden. Um eine Familien-
angelegenheit gewissermassen handelt es sich bei dieser
MuseumseröfFnung, nicht um eine blosse Staatsaktion,
wie dies etwa bei der Eröffnung eines Weltmuseums
der Fall ist, das ein grosser Staat aus Pflichten der Kultur-
repräsentation errichtet. Die Bevölkerung einer solchen
kleinen gewachsenen Stadt wie Winterthur, deren Siede-
lungsjahresringe man noch so deutlich verfolgen kann,
stellt trotz den mancherlei fremdenElementen doch einen
lebendigen Organismus dar, wo man sich gegenseitig
kennt, wo die Häuser ihre Geschichte haben. Da ist
man versucht, sich gewisse Vorstellungen zu machen,
wie die Kunst und ein Museum in einer solchen Stadt
aussehen müssten. Man könnte sich denken, dass da jede
Stunde des Tages ihre künstlerischen Reflex erhalten
hätte, dass die Poesie der Stube, der Gasse, das Lied der
Maschinen und Fabriken, die Jahreszeiten, die Natur
ihre Schilderung durch die Kunst finden würde. Eine
solche Kunst wäre nicht etwa eine Utopie. Das Holland
des siebzehnten Jahrhunderts, das Zeitalter Rembrandts
308
*si
UNSTAUSSTELLUNGEN
WINTERTHUR
Die Stadt Winterthur in der
Schweiz hat sich ein neues Museum
gebaut, das am a. Januar mit einem
Festakt eröffnet worden ist. Über das Haus und die
Sammlung werden wir noch berichten. Heute teilen
wir die Rede mit, die Heinrich Wölfflin bei der Abend-
veranstaltung des Winterthurer Kunstvereins gehalten
hat, wie sie der Referent der „Neuen Züricher Zeitung"
aufgezeichnet hat. Denn die allgemeinen Bemerkungen,
die diese Ansprache enthält, interessieren weit über den
unmittelbaren Anlass heraus.
„Jeder ist heute beschenkt worden, jedem öffnet der
Museumsbau seine Pforten. Die Physiognomie Winter-
thurs wird eine neue, und der Name Winterthur muss
künftig anders ausgesprochen werden. Um eine Familien-
angelegenheit gewissermassen handelt es sich bei dieser
MuseumseröfFnung, nicht um eine blosse Staatsaktion,
wie dies etwa bei der Eröffnung eines Weltmuseums
der Fall ist, das ein grosser Staat aus Pflichten der Kultur-
repräsentation errichtet. Die Bevölkerung einer solchen
kleinen gewachsenen Stadt wie Winterthur, deren Siede-
lungsjahresringe man noch so deutlich verfolgen kann,
stellt trotz den mancherlei fremdenElementen doch einen
lebendigen Organismus dar, wo man sich gegenseitig
kennt, wo die Häuser ihre Geschichte haben. Da ist
man versucht, sich gewisse Vorstellungen zu machen,
wie die Kunst und ein Museum in einer solchen Stadt
aussehen müssten. Man könnte sich denken, dass da jede
Stunde des Tages ihre künstlerischen Reflex erhalten
hätte, dass die Poesie der Stube, der Gasse, das Lied der
Maschinen und Fabriken, die Jahreszeiten, die Natur
ihre Schilderung durch die Kunst finden würde. Eine
solche Kunst wäre nicht etwa eine Utopie. Das Holland
des siebzehnten Jahrhunderts, das Zeitalter Rembrandts
308
*si