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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 26.1928

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Heft 6
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Neumeyer, Alfred: Deutsche Landschaftskunst seit Hans Thoma: Ausstellung im staatlichen Kupferstichkabinett
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Scheffler, Karl: Irrungen, Wirrungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7393#0264
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stimmten Periode vertreten. Die Hamburger Hafenszenen
wirken wie Federzeichnungen, der Sonderburger Hafen wie
eine Pinselarbeit. Das eigentlich Graphische scheint mir in
ihnen weniger enthalten als etwa bei Kirchner. Heckel
kommt reichlich zu Wort und er hält sein Niveau vom ersten
bis zum letzten Blatt. Die einzige gezeigte Radierung von
Schmidt-Rottluff ebenso wie der eine Holzschnitt sind von
hoher technischer Schönheit. Den bedeutenden Abschluß
bildet Kirchner. Die Schweizer Landschaftsholzschnitte ver-

künden mit einer Fülle von „Figur" ein landschaftliches
Totalgefühl, das manchmal an die Arbeiten eines Wolf 1 [über
erinnert. Freilich tritt dazu eine nervöse Empfindsamkeit,
die sich am schönsten in den beiden Radierungen „Der Aus-
sichtsturm" und „Der Heuschober unter Tannen" ausprägt.
Der unerklärbare Zauber hoher Qualität geht von solchen
Blättern aus.

Auch diese Ausstellung lehrt es: nicht in Stilen, in Men-
schen bewegt sich die Kunst aufwärts und abwärts.

IRRUNGEN, WIRRUNGEN

A /fan weiß, wie sentimental die Auffassung vom Künstler,
f*-l vom Talent im bourgeoisen Zeitalter war. Zu den Re-
quisiten gehörten Schlapphur, Sammetjacke, wehende Kra-
vatte und langes Haar; halb Christus und halb Zigeuner. Die
Maler, die Bildhauer wurden in Romanen dargestellt, wie
sie mit dem Ausdruck michelangelesker Sibyllen auf Inspira-
tion warten. Und ein geheimnisvoll schönes Modell, von der
Art der Feuerbachschen Nanna, gehörte auch zu dieser
Romantik

Es ist uns gesagt worden, diese Auffassung wäre von
der Wirklichkeit, von der neuen Zeit längst korrigiert. Es
schien nur so. Die alte Romantik lebt wieder auf. Nicht
nur im Kino, das ja geistig — nicht technisch — im allge-
meinen um fünfzig Jahre hinter der Zeit zurück ist. Selbst
in einer Schilderung des berühmtesten deutschen Dichters
der Gegenwart findet sich ein Abglanz dieser Auffassung.
In Gerhart Hauptmanns neuem Roman „Der Dämon", der
in der Vossischen Zeitung erschien, wird von einem jungen
Bildhauer folgendes gesagt: „Nun aber hatte er eines Tages
dieses Bettelkind aufgegriffen und mit sich ins Atelier ge-
nommen. Seine grazile Erscheinung reizte ihn. Schon lange
hatte er mir leidenschaftlicher Ungeduld ein Modell gewünscht,
an dem er sich begeistern, das gleichsam seine Muse werden
konnte. Er hatte sich darin nicht getäuscht. Mit jedem Tage
glücklicher Arbeit fühlte er, daß ihn dieser unvergleichliche
Fund in unvergleichlicher Weise bereicherte. Erst Wandas
Körper in seiner jungfräulichen Kindhaftigkeit hatte ihn die
Andacht zur Form gelehrt. Sein Modellierholz, sein Meißel,
sein Fingerdruck, früher von einem kalten, verstandesmäßigen
Nachahmungstrieb geleitet, wurden nun, ihm fast unbewußt,
von der lebendigen Gegenwart der Schönheit und von den
Pulsen der Liebe bewegt."

Hauptmann ist ein Künstler von vielen Graden. Er war
sogar Bildhauer, bevor er Dichter wurde. Er sollte wissen,
daß ein Künstler, den ein Modell erst „Andacht zur Form"
lehren muß, gar keiner sein kann, daß das Talent da ist
oder nicht da ist, von Natur, und daß es in allem Wesent-
lichen unabhängig ist von den „Pulsen der Liebe". Es wäre
ein erbaulicher Zustand, wenn das Können oder Nichtkönnen
der Künstler in die Hand einer Frau gelegt wäre, wenn das

Verhältnis zur Natur erst Wärme bekäme, sobald das ge-
liebte Modell erscheint! Werden die Deutschen dieser in
Wahrheit doch etwas marlitthaften Auffassung vom Talent
nicht endlich müde werden? Es scheint nicht so. Obwohl
sie lachen würden, wollte man ihnen erzählen, ein Arzt hätte
das Operieren erst richtig gelernt, als er den Körper der
Geliebten unter dem Messer hatte, obwohl sie wissen, daß
der größte Gelehrte keine „Muse" braucht. Dem Künstler,
dem Talenr gegenüber erleben wir immer aufs neue kol-
portagehafte Idealisierungen. Es zeigt sich, daß der Kreis
derer, die das Talent real zu sehen verstehen, ebenso klein
ist wie der Kreis derer, die das Kunstwerk vom Werk aus
zu begreifen wissen. Was soll man aber sagen, wenn ein
Dichter wie Hauptmann sogar über das Wesen des Talents
schreibt, wie er es tat!

Daß es sich nicht um eine zufällige Entgleisung, nicht
um eine Jugendreminiszenz handelt, beweist etwas anderes.
Otto Grautoff hat es fertig gebracht, ein Buch über einen
der unbegabtesten Bildhauer der Gegenwart zu schreiben,
dessen Name nachsichtig verschwiegen sei. Mit hundert Bil-
dertafeln, auf denen sich schlimmstes Rodin-Epigonentum
breit macht. Das ist nicht weiter wichtig. Diesem mehr als
überflüssigen Buch hat Hauptmann aber ein Gewicht geben-
des Vorwort geschrieben. Sein Name empfiehlt das schlecht-
hin Dilettantische, das mit Idealgewändern priesterlich sich
drapierende Unvermögen. Und das ist sehr ernst.

Er steht leider nicht allein. Es wird neuerdings Mode,
daß Dichter und Gelehrte, Träger berühmter Namen, bil-
denden Künstlern, die sich an sie herandrängen, solche Ge-
fälligkeiten erweisen. Kompromittierende Beispiele könnten
genannt werden. In einer unheilvollen Weise werden damit
die Anschauungen von der Kunst und vom Talent, die gar
nicht klar und streng genug sein können und die schon un-
sicher genug sind, immer weiter verwirrt. Von Männern, die
berufen sind, Führer zu einer reinlichen Kunsrgesinnung zu
sein, und die doch in ihren eigenen Arbeiten nach mancher
Richtung das Vorbildliche geleistet haben.

Was für dich selbst nicht wahr und richtig ist, kann es
auch nie für andere sein.

Karl Scheffler.

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