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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 26.1928

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Heft 10
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Grossmann, Rudolf: Ausdrucksstudien bei den Irren
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https://doi.org/10.11588/diglit.7393#0416
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NACH P. P. RUBENS, DER BESESSENE. LITHOGRAPHIE VON J. SCARLITT DOVIS

AU S D R U C K S ST U D I E N BEI DEN IRREN

VON

RUDOLF GROSSMANN

Man hört heute viel von Ausdrucksforschung
und Physiognomik, und von hier aus me-
thodisch theoretisch Abgeleitetes über Anlage und
Charakter. Traktate über Mimik, Schädellehre, ja
selbst Lokalisationsversuche menschlicher Eigen-
schaften am Schädel gab es und wird es immer
geben. Die neuzeitliche Graphologie ist ja auch
nichts anderes als die Lehre von den menschlichen
Ausdrucksbewegungen und im gewissen Sinne auch
auf das Kunstwerk anwendbar. Die Erforschung
des menschlichen Gesichtes nach Ausdruck in Ruhe
und Funktion, die vom Verstandesmenschen oder
Rationalisten abgelehnt wird, seine physiognomi-
sche Deutung ist noch ein unsicher umrissenes
Gebiet. Oft sind im schnellen Wechsel einer Phy-
siognomie Nuancen ausschlaggebend. Der Betrach-
ter bemerkt sie wohl, ohne aber genau angeben
zu können, worin sie bestehen. Hinzukommt, daß
der Beobachtete den Wechsel oft selbst nicht wahr-
nimmt, da manche Gesichtsmuskeln willentiich kon-
trahiert werden, andere aber unbewußt reflekto-
risch, ferner daß bei starken Gemütsbewegungen

unsere Sympathie so sehr mitspielt, daß eine ge-
naue Beobachtung unmöglich wird, und daß ferner
bei den Erwachsenen die Quelle, aus der der Aus-
druck stammt, lange nicht mehr so ungetrübt ist
wie beim Kind. Außere Umstände variieren noch
die Beobachtungsmöglichkeit; es gibt Köpfe, die
das Licht gleichmäßig auffangen und zurückwerfen,
deren Mimik dadurch geglättet und nicht leicht
wahrnehmbar wird, und solche, in denen wie von
selbst sich Kontraste durch starke Schattenmassen
markieren.

Wie ist es nun mit der Ausdrucksbewegung
bei den Irren? Künstler, wie Raffael, Bruegel,
Kaulbach, Ostade, Frans Hals und viele andere, haben
öfters Wahnsinnige zu ihrem Bildvorwurf gewählt.
Bei den Irren ist eine gewisse Distanz möglich.
Wir können sie weder durch Logik zur Vernunft
bringen, noch sonst ihnen helfen, wir können nur
dem hemmungslosen Spiel ihrer Leidenschaften zu-
sehen. Allerdings kurbeln ihre Gemütsbewegungen
auch oft ganz mechanisch ab, reizen aber gerade
durch die Isoliertheit ihres Ausdrucks. Wir weinen

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