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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 31.1932

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Heft 1 und 2
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Scheffler, Karl: Altamerikanische Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7616#0040
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Altamerikanische Kunst

von KARL SCHEFFLER

Zwischen dem Ethnologen und dem Kunstgelehrten (dem Künstler, dem
Kunstfreund) besteht, immer noch, eine gewisse Gegnerschaft. Der Ethno-
loge sagt, eigentlich gehöre alles vom Menschengeist und von Menschen-
händen Hervorgebrachte ins Bereich der Völkerkunde, und vor allem
gehöre die Kunst hinein. Er sagt, Völkerkunde sei die Wissenschaft von
den Kulturen der Rassen und Völker, die Kunst aber sei nur ein Teil
der Kulturleistungen, wenn auch eine Spitzenleistung. AVollte man diese
Beweisführung gelten lassen, so müßten Universalmuseen eingerichtet
werden. Es ist der Scherz gemacht worden, ein solches Museum wäre
erst vollständig, wenn das ganze Land überdacht und jeder Gegenstand
mit einer Nummer- und Namentafel versehen wäre, vom „pflügenden
Bauern" bis zur Lokomotive, vom Modell der „Dame im Ballkleid" bis
zu ihrer künstlerischen Darstellung auf der Bildtafel. Dieses Paradox zeigt,
daß der Begriff der Völkerkunde anders gefaßt werden muß: die beschrei-
bende Völkerkunde hat sich auf die Völker der vorgeschichtlichen Zeit
und auf die sogenannten Naturvölker zu beschränken. Auch diese Völker
hatten und haben zwar etwas wie eine Kultur; doch entwickelt sie sich
nicht vor unseren Augen, sie hat nicht einen dramatisch bewegten Ab-
lauf, es fehlt ihr das, was wir Geschichte nennen. Völker aber, die eine
Geschichte haben, deren Kultur sich im Gestaltwandel dahinbewegt, kön-
nen kaum noch Gegenstand der Völkerkunde sein: sie gehören vielmehr
der Volkskunde (die etwas ganz anderes ist), der Geschichtsschreibung,
der Kunstgeschichte oder auch einer Universalgeschichte.
Der Ethnologe und der Historiker haben sich in der Forschungsarbeit
so zu teilen, daß dieser im wesentlichen einen Ablauf, jener dagegen Zu-
stände erforscht. Der Mensch ist ein Objekt der Völkerkunde, insofern er
Glied der Familie, eines Stammes, eines Volkes, einer durch gemeinsame
Sitten und Lebensformen gebildeten, sprachlich geeinten Gesellschaft ist;
ein Objekt der Geschichte ist er, insofern er Raum und Zeit gliedert und
handelnd das Gestern dem Morgen verbindet. Dort veranschaulicht er ein
Müssen, hier ein Wollen.

Nun ist aber die Frage keineswegs entschieden, welche Völker als ge-
schichtlich anzusprechen sind und welche nicht. Die Ethnologen sind be-
reit, die europäischen Völker dem Historiker zu überlassen, soweit nicht
die vorgeschichtliche Zeit in Betracht kommt; dagegen billigen sie kaum
schon den asiatischen Völkern eine Geschichte zu. Diese Einschätzung ist,
was China und Japan betrifft, allerdings korrigiert worden, wie sie vorher

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