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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 1.1890

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Graul, Richard: Die Renaissance in Belgien und Holland
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https://doi.org/10.11588/diglit.3941#0077
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DIE RENAISSANCE IN BELGIEN UND HOLLAND.

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hat. Wenn ich hier an die Malerei seit den Ge-
brüdern van Eyck im allgemeinen und an die
Miniaturmalerei im besonderen erinnere, wie sie in
den südlichen Provinzen der Niederlande und in dem
burgundischen Nachbarlande während des 15. Jahr-
hunderts geübt wurde, so weise ich auf sehr nahe
liegende Beispiele hin, welche sehr gut die Selb-
ständigkeit dieser „modernen" nordischen Phantasie-
richtung bezeugen.

Aber vielleicht wird von manchem dieser autoch-
thone Trieb in der Kunst diesseits der Alpen gegen-
wärtig etwas zu auffällig in den Vordergrund der
Betrachtung gerückt, wenn es gilt, den Beginn der
Renaissance in Frankreich oder in Deutschland und
in den Niederlanden zu schildern. Wenn der Hin-
weis auf diese nordische Selbständigkeit mit einem
herzlichen Bedauern über das Eindringen der frem-
den welschen Formen schliesst, dann ist das gewiss
eine etwas voreilige Nutzanwendung der jetzt so
beliebten Lehre vom Nationalitätsprinzip in der
Kunst. Solch retrospektiver Chauvinismus gehört
zu den jüngsten Erscheinungen der Kunsthistorie.
Er hat auch die Erkenntnis der, Renaissance in den
Niederlanden zu trüben versucht, indem er jene
selbständige Strömung der Renaissancebewegung,
welche die naturalistischen Traditionen des 15. Jahr-
hunderts weiterführt, allzusehr in das Vordertreffen
schob.

Aber diese Richtung war im ersten Drittel des
IC. Jahrhunderts denn doch nicht so mächtig, dass
sie die Einwirkung der italienischen Formenwelt
hätte überwinden können, um in stetiger Entwick-
lung überzuleiten zur echt national gefärbten Renais-
sanceströmung seit den vierziger Jahren. Denn die
nationale Richtung hätte sich nicht bilden können
ohne das Interregnum jener naiv italienisirenden
Stilrichtung, welche überall diesseits der Alpen als
das hervorstechendste Merkmal der Frührenaissance
erkannt wird. Entstanden doch auch bald innerhalb
der aus tastenden Versuchen hervorgegangenen und
in naiven Anlehnungen an die Formeuwelt Italiens
sich gefallenden St röniungder 1'rülirenaissancenament-
lich in den dreissiger Jahren eine grosse Menge
überaus reizvoller und stilistisch mustergültiger
Werke, besonders auf dem Gebiete der dekorativen
Plastik. Ewerbeck hat diesen Werken grosse Auf-
merksamkeit zugewandt und das Beste in meist wohl-
gelungenen Aufnahmen aus allen Landschaften der
Niederlande zusammengetragen. Nicht minder um-
sichtig isl die Wahl von Gegenständen der späteren
Zeil erfolgt

Der naiv italienisirende Stil der Frührenaissance
hat sich nicht weit über die vierziger Jahre des
1(5. Jahrhunderts behauptet, mit der Herrschaft über
die fremden Ziermittel begann sich einesteils der
Drang nach volkstümlich selbständiger Schöpfung,
nach Hervorkehrung des eignen Wesen mächtig zu
regen und andernteils brach sich eine streng klassi-
sche Strömung Bahn. Beide Richtungen laufen eine
Zeitlang ziemlich unabhängig neben einander her,
bis sie zu Beginn des 17. Jahrhunderts sich einander
so nähern, dass bald aus ihrer Verbindung eine viel-
fach eigenartige Dekorationsweise entsteht.

Der Dekorationsstil in den Niederlanden bis um
die vierziger Jahre des IG. Jahrhunderts hatte sich
vorwiegend in den Grenzen des Flachreliefs gehalten:
er verwendet das vegetabile Ornament; als häufigste
Zierglieder beobachten wir Baluster, Pilaster, Me-
daillons, Putten, Delphine, endlich Trophäen und
vereinzelt auch Grottesken. Die neue, im volks-
tümlichen Naturalismus der Vergangenheit wurzelnde
Umbildung des Stiles seit den vierziger Jahren
huldigte ganz anderen Idealen. Die neue Richtung
gefällt sich in derber plastischer Hervorhebung der
dekorativen Gliederungen; der vegetabile Schmuck
wird lebensvoll, naturalistisch behandelt, er kommt
eigentlich erst recht zur Geltung. Der Kreis der
italienischen Zierformen hat sich erweitert. Der
figürliche Schmuck gewinnt eine erhöhte Bedeutung.
Putten, gelegentlich auch Tierbildungen genügen
nicht mehr: Fabelwesen aller Art und Gattung in
natürlicher und phantastischer Bildung beginnen in
der Ornamentation eine wichtige Rolle zu spielen.
Die Karyatiden, die Masken werden ausserordentlich
häufig. Das Roll- und Beschlagwerk, die Kartusche
und Maureske treten hinzu.

Fast gleichzeitig mit dieser neuen Formen-
sprache, als deren Hauptvertreter Corneljs Floris
gelten kann, arbeiten eine Anzahl in Italien gebil-
deter Architekten an einer wichtigen Reform im
streng klassischen Sinne. Ihr Hauptziel ist der
Wohllaut der Verhältnisse in der Architektur. Da-
bei wird die Fülle des ornamentalen Details einge-
schränkt und die Formen ernüchtern.

Ewerbecks Aufnahmen von Werken der vor-
geschrittenen Renaissance bis zum Ausgang des
Klassicismus im 17. Jahrhundert sind vollständig
ausreichend, um einen Einblick in alle Wandlungen
zu gewähren. Sie umfassen auch mit gleicher
Sorgfalt Werke der Architektur wie des Kunst-
bandwerks. Auf einzelnes einzugehen müssen wir
uns bei der Überfülle des Gebotenen versagen, um
 
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