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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1902)
DOI Artikel:
Fischer, Theodor: Ueber das Restaurieren
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0396
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Tleber äas Reslaupreren.

Die Zeit, rvo in Deutschland kein unrestauriertes Bauwerk von
künstlerischer Bedeutung zu finden sein roird, ist nicht mehr sern. Vor
siebzig Jahren etwa fing's an: Dome, Kirchen und Schlösser begann
man stilrein zu machen in eiserndem Zorn über die vermeintliche Ver-
zopsung, und die Wellen, die dieser romantische Wind ausgeregt hat,
breiteten sich dann aus in immer weiteren Bogen bis zu den fernsten
Dörfern. Nun plätschern sie Gemeindevorständen und Pfarrherren um
die Ohren, daß diese nicht anders können, als Gelder sammeln, um ihr
Rathaus, ihren Torturm oder das Kirchlein „stilgerecht wiederherzustellen".
Am anderen Ende steht ein guter Teil der Künstler händeringend und
staunend, wie aus gutem Willen so viel Uebles entstehen kann. Einem
Einzelnen Vorwürse zu machen, wäre sür die romantische Zeit wie sür
die heutige, ach so oernünstige, ganz verkehrt; der Zeitgeist muß alle
Schuld aus sich nehmen. Das ist wohl in Acht zu halten, denn sonst
könnte einem der gerechte Zorn über dies und jenes in die Kehle steigen,
während wir die Sache doch möglichst ruhig betrachten wollen. Was
hilst es uns auch, uns darüber aufzuregen, daß unsere schönsten Dome,
der Bamberger, der Münchner zum Beispiel, glatt ausgerüumt wurden,
wie mit der Bürste einer übereisrigen Scheuersrau? Alles was die
Jahrhunderte Eigenes hineingetragen, Bilder, Denkmäler, Altäre und
Kanzeln, alles warf marr hinaus, weil es nicht der Bauzeit angehörte.
Daß es ihr garnicht angehören kanrrte, da die Alten in Jahrhunderten
bauten, nicht in Jahren, wie wir eilfertigen Leute, wer dachte daran?

Leichtgläubige Optimisten meinen, daß solche puristische Sünden
heute nicht mehr zu befürchten seien. Leider täuschen sie sich. Die
Gegenstände der Reinigungswut sind freilich nicht mehr die Dome
und großen Kirchen; die hat man ja fast alle schon besorgt. Jetzt
sinds die Kleinstadt- und Landkirchen, die Tortürme und was sonst etwa
noch aus alten Zeiten übrig geblieben ist. Da muß eine Barockkanzel entfernt
und durch eine sertig aus der Kunstanstalt bezogene gotische crsetzt werden;
dort ist das zopfige Orgelgehüuse dem Lübkebelesenen Pfarrer ein Dorn
im Auge. Hier rnuß das Stadttor von seiner Renaissancehaube besreit
werden, um endlich wieder im echten Stil himmelan zu streben, und
dort wird ein einfach-biedermeierischer Sitzungssaal im Renaissancerathaus
nicht sür entsprechend befunden. Es sind sreilich die letzten kleinen
Wellen, die meist unbeachtet nagen, dasür aber sind's ihrer mehr als
der großen und sie verrichten um so gründlichere Arbeit. Jüngere Künstler
werden sich selten zu solchen Taten finden lassen.

Was soll geschehen, wenn wirklich Baufälligkeit, Brnnd oder allzu-
große Abnützung eine Erneuerung unvermeidlich macht? Das ist nun
sreilich eine Frage, die allgemein mit zwei Worten nicht beantwortet
werden kann. Es wäre sehr bequem, zu sagen: wir nehmen gar keine
Rücksicht auf das Historische, wir arbeiten modern. Das geht wohl an,
wo, wie bei der Kreuzkirche in Dresden, der wichtigste und größte Teil
cines Gebäudes oder Raumes neu zu erstellen ist; auch wenn cin Neu-
hinzugefügtes, ein Ein- oder Anbau, odcr wenn der vollständige Ersatz
unbrauchbar gewordener Gegenstände in Betracht komrnt, ist die An-
wendung unserer, wie es scheint, nun glücklich geborenen eigcnen Sprache

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